Gleich vier Initiativen beschäftigen sich mit der Frage, wie das Essen auf unsere Teller kommt. Abgestimmt wird über Spekulationsstopp, Ernährungssicherheit und Fair Food. Für die Ernährungssouveränitäts‐Initiative werden derzeit Unterschriften gesammelt. Greenpeace verschafft einen Überblick.
Die Vielfalt der vorgeschlagenen Ansätze mag auf den ersten Blick verwirren. Doch die Initiativen ergänzen sich gut. «Da sie gestaffelt zur Abstimmung kommen, garantiert das eine spannende Debatte über die kommenden Jahre», findet Maya Graf, Nationalrätin der Grünen aus dem Kanton Baselland und Co‐Präsidentin der Fair‐Food‐Initiative. Dabei entstehen auch ungewöhnliche Koalitionen von bäuerlichen und anderen Interessengruppen aus verschiedenen Ecken des politischen Spektrums. Das vielfältige Engagement zeigt, dass die Landwirtschaft als Grundlage unserer Ernährung die Menschen beschäftigt.
Spekulationsstopp‐Initiative
Art. 98a (neu) Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln.
Der Ursprung der Spekulationsstopp‐Initiative liegt in der Empörung über die Preisblase bei Grundnahrungsmitteln, die in den letzten Jahren Millionen Menschen in den Hunger getrieben hat, während sich Banken und Investoren bereicherten. Der Zusammenhang von Spekulation und Nahrungsmittelpreisen ist inzwischen gut belegt. International laufen Kampagnen mit ähnlichen Zielen (zum Beispiel von Foodwatch). In den USA und der EU ist der Handel mit Terminkontrakten auf Nahrungsmittel eingeschränkt worden, verschiedene Banken und Pensionskassen haben sich unter dem öffentlichen Druck freiwillig aus diesem Bereich zurückgezogen. Lanciert von den JungsozialistInnen (Juso) und unterstützt von Solidar Suisse und weiteren Hilfswerken, geniesst die Initiative auch viel Sympathie unter den Schweizern Bauern und Bäuerinnen. Der Bauernverband hat vorerst Stimmfreigabe beschlossen. Bei der Debatte in den Räten setzte sich allerdings die Finanzlobby durch — Bund und Parlament empfehlen die Ablehnung. Über die Initiative mit dem eingängigen Slogan «Mit dem Essen spielt man nicht!» wird am 28. Februar 2016 abgestimmt!
Ernährungssicherheits‐Initiative
Art. 104a (neu) Ernährungssicherheit: Der Bundstärkt die Versorgung der Bevölkerung mitLebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltigereinheimischer Produktion …
Die Ernährungssicherheits‐Initiative des Schweizerischen Bauernverbands wurde im Juli 2014 eingereicht. Der vorgeschlagene Verfassungsartikel mit vernünftigen Anliegen wie dem Schutz des Kulturlands und der Stärkung der einheimischen Produktion klingt gut und tut niemandem weh. Trotzdem gibt es Kritik von Pro Natura und der Agrarallianz: Die Initiative sei unnötig; die berechtigten Anliegen seien in der Verfassung und in der vom Parlament beschlossenen Agrarpolitik 2014—17 bereits berücksichtigt. «Ernährungssicherheit» gilt in der Land‐wirtschaftsdebatte international als Codewort für eine hoch intensive Produktion mit viel Düngemitteln und Agrochemie. Das Argument: Für die Ernährung der wachsenden Bevölkerung müsse der Flächenertrag mit technischen Hilfsmitteln erhöht werden. Die Initiative riecht deshalb nach einer Mogelpackung: Insider vermuten, es gehe dem Bauernverband in Wirk‐lichkeit darum, die vom Parlament beschlossenen Subventionen für extensive Nutzungen wieder in Richtung Produktionszuschüsse zu leiten. Das hängt aber von der Interpretation des Artikels ab — und somit von Bund und Parlament, falls die Initiative angenommen würde.
Fair‐Food‐Initiative
Art. 104a (neu) Lebensmittel: Der Bund stärkt das Angebot an Lebensmitteln, die von guter Qualität und sicher sind und die umwelt‐ und ressourcenschonend, tierfreundlich und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Er legt die Anforderungen an die Produktion und die Verarbeitung fest.
Die Schweiz importiert rund 50 Prozent aller Nahrungsmittel. Die Liberalisierung des Welthandels führt zu billiger Konkurrenz aus Ländern, in denen tiefe Standards für den Umwelt‐, Tier‐ und Landschaftsschutz gelten und ArbeiterInnen zu Minimallöhnen ausgebeutet werden. Die Fair‐Food‐Initiative der Grünen Partei will, dass für importierte Lebensmittel vergleichbare Qualitätsstandards wie in der Schweiz gelten sollen. Als Druckmittel hat die Initiative bereits gewirkt: Der Nationalrat hat entschieden, Lebensmittel vom sogenannten Cassis‐de‐Dijon‐Prinzip auszunehmen, womit es keinen erleichterten Import aus der EU geben wird. Die Initiative hat auch präventive Bedeutung und versteht sich als Beitrag zur europäischen Kampagne gegen das TTIP-Handelsabkommen, das zurzeit zwischen den USA und der EU ausgehandelt wird. Es besteht die Befürchtung, dass der europäische Markt mit Industriefood made in USA (inklusive Gentech und Hormonfleisch) überschwemmt wird.
Initiative für Ernährungssouveränität
Art. 104c Ernährungssouveränität: Zur Umsetzung der Ernährungssouveränität fördert der Bund eine einheimische bäuerliche Landwirtschaft, die einträglich und vielfältig ist, gesunde Lebensmittel produziert und den gesellschaftlichen und ökologischen Erwartungen der Bevölkerung gerecht wird.
Die Initiative für Ernährungssouveränität ist die ambitionierteste des Quartetts. Das Prinzip der Ernährungssouveränität beinhaltet die Ansätze der anderen Initiativen weitgehend, geht aber deutlich weiter. Sie verlangt unter anderem ein Verbot von Exportsubventionen, den Schutz des freien Saatguttauschs unter Bäuerinnen sowie die Stärkung des direkten Bezugs von Landwirtschaftsprodukten durch die Konsumenten. Dies entspricht international den Forderungen der Kleinbauernbewegung Via Campesina. Hinter der Initiative steht eine Koalition um die Kleinbauerngenossenschaft Uniterre, die vor allem in der Romandie verwurzelt ist. Mit dabei sind verschiedene Betriebe der regionalen Vertragslandwirtschaft (etwa die Gartenko‐operative ortoloco und die Jardins de Cocagne).