Kalifornien gilt als innovativ und dem Rest der USA stets einen Schritt voraus. Eine seit vier Jahren anhaltende Dürre trübt dieses Bild. Verarmte Landarbeiter sind auf Wasserspenden angewiesen, Bauern legen ihre Äcker brach und in den Städten vertrocknen Parks. Die globale Erwärmung setzt dem kalifornischen Traum erstmals natürliche Grenzen.

Porterville ist eine kleine Stadt im San Joaquin Valley, rund drei Stunden Autofahrt nördlich von Los Angeles. In der Iglesia Emmanuel im östlichen Teil der Stadt haben sich zehn Frauen zusammengefunden, um für Regen zu beten. Pastor Roman Hernandez streckt seine Arme himmelwärts und fleht: «Gott, stehe uns bei in dieser schweren Stunde. Mach, dass bald wieder Regen fällt. Danke für dein Erbarmen.» Der Pastor wirkt abgekämpft. Tiefe Furchen laufen über seine Stirn. Am Morgen hat er mit einem australischen Journalisten gesprochen. Dann kam eine Delegation des Bundesstaates und der US-Zentralregierung vorbei, gefolgt von einem Tross Kameraleuten. Ausserdem ist ein Filmteam des französischen Fernsehens da. «Gut, dass ihr hier seid», sagt er. «Das hier ist der Ground Zero der kalifornischen Dürre.»

12,5 Millionen vertrocknete Bäume

Kalifornien, mit 38,8 Millionen Einwohnern der grösste und wirtschaftsstärkste Bundesstaat der USA, erlebt das vierte Jahr einer historischen Dürre. Seit den ersten Aufzeichnungen vor 119 Jahren sind die Durchschnittstemperaturen um 1,5 °C gestiegen, 2014 war das wärmste Jahr überhaupt. Klimawissenschaftler der University of Minnesota haben es anhand von Baumringanalysen zum trockensten seit rund 800 nach Christus erklärt. Laut dem US Drought Monitor befinden sich derzeit 93 Prozent Kaliforniens im Zustand einer «ernsthaften» und 47 Prozent gar im Zustand einer «aussergewöhnlichen» Dürre. Wissenschaftler des US Forest Service schätzen, dass seit Beginn der Dürre rund 12,5 Millionen Bäume* abgestorben sind. Im vergangenen Jahr musste der Gouverneur erstmals den Ausnahmezustand verhängen.

Es war im September 2014, als sich die Dürre auch bei Pastor Hernandez in die Kirche schlich. «Als ich meine Hände wusch, spürte ich plötzlich Sand zwischen den Fingern. Der Wasserdruck war ungewöhnlich tief und das Wasser stank modrig.» Ein befreundeter Monteur bestätigte des Pastors Befürchtung: Das 15 Meter tiefe Bohrloch reichte nicht mehr hinunter bis zum Grundwasserspiegel — wie ein zu kurzer Strohhalm, der am Glas klebt und nicht mehr in die Limonade hinabreicht. Überraschend war das für den Pastor nicht: Seit Anfang Jahr hatten ihm immer mehr Menschen anvertraut, dass das Wasser aus ihren Hahnen nur noch tropfe. Anders als im Zentrum und im Westen der Stadt sind die bescheidenen Häuser im Osten nicht ans kommunale Versorgungsnetz angeschlossen. Sie hängen am Grundwasser des Landstücks, auf dem sie stehen. Nach Angaben des Bezirks Tulare sind von September 2014 bis April dieses Jahres 996 Haushalte trockengelaufen, die meisten im Osten von Porterville. Pater Hernandez ist jedoch überzeugt, dass es mehr sind und mittlerweile bis zu 10 000 Menschen betroffen sind: «Ich kenne meine Gemeinde. Die illegalen Migranten tauchen in keiner Statistik auf.»

Pastor Roman Hernandez betet mit seiner Gemeinde in Porterville für ein Ende der vierjährigen Dürre. © Samuel Schläfli

Inzwischen ist der Kirchenvorplatz zur Anlaufstelle für Dürreopfer aus Porterville geworden. Das Büro für Notfalldienste von Tulare hat dort 16 öffentliche Duschen eingerichtet. Gleichzeitig begann der Pastor, Trinkwasser zu organisieren. In einem roten Frachtcontainer neben den Duschen lagern verschweisste Pakete mit Halbliterflaschen, die Hilfsorganisationen und Unternehmen gespendet haben. Jeden Abend kommen Familien mit dem Auto, um zu duschen und Trinkwasser zu holen.

Wasserkrise im Ghetto

Lai Phengthavy ist eine der Frauen, die jeden Abend zur Iglesia Emmanuel fahren — mitsamt ihren fünf Kindern. Viele der eingeschossigen Holzhäuser in ihrer Siedlung, in denen vor allem mexikanische Landarbeiter leben, sind in erbärmlichen Zustand; die weisse Farbe blättert ab, die Scheiben sind teils eingeschlagen, Abfall liegt herum. Lai Phengthavy wirkt erschöpft und sieht mit ihren 33 Jahren aus, als hätte sie bereits mehr Leid erfahren als andere in ihrem ganzen Leben. Sie kam mit 5 aus Laos in die USA und lebt seit 14 Jahren in Porterville. Ihr Haus ist nicht grösser als eine bescheidene Dreizimmerwohnung, sie hat weder Arbeit noch einen Mann und lebt vom Sozialgeld für ihre Kinder.

Lai Phengthavys Grundwasserleitung lief im Februar trocken. Seither ist sie auf Wassertanks und -flaschen angewiesen. © Samuel Schäfli

Die Grundwasserleitung von Lai Phengthavy lief im Februar trocken. Seither steht auch auf ihrer Veranda ein Plastiktank, der 300 Gallonen (1136 Liter) fasst und einmal pro Woche von der Gemeinde gefüllt wird. Das muss zum Kochen, Geschirrspülen und für die Toilette reichen. Die Waschmaschine hat Lai aus dem Wohnzimmer hinters Haus geschafft, denn ohne fliessendes Wasser ist sie sinnlos. Nun bringt sie die Kleider in die Wäscherei oder weist die Kinder an, kleine Sachen von Hand zu waschen. Das Abwaschwasser in der Küche sammelt sie in einem grossen Becken, um damit die Bäume im Garten zu giessen, die der Dürre trotzten. In Kalifornien beträgt der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Person und Tag 470 Liter (in der Schweiz rund 350 Liter), in einigen Gebieten beläuft er sich auf gar bis zu 2200 Liter. Könnte Lai mit ihrer Familie nicht vor der Kirche duschen, würde das Wasser niemals reichen. Eine Möglichkeit wäre, das Bohrloch zu vertiefen, doch das würde mehrere tausend Dollar kosten. «Manchmal möchte ich das Haus einfach verkaufen und wegziehen», klagt die junge Frau.

Aufregung im Brotkorb der USA

Porterville liegt im San Joaquin Valley, einem Tal, das sich kurz nach Los Angeles etwa 500 Kilometer bis auf die Höhe des Deltas hinter San Francisco hinaufzieht. Im Sommer wird es bis zu 40 °C heiss, die Winter sind mild und die Sonne scheint fast ununterbrochen. Kein Wunder, kamen Pioniere Ende des 19. Jahrhunderts auf die Idee, hier Landwirtschaft zu betreiben. Heute werden Orangen, Pfirsiche, Mandarinen, Kiwis, Tomaten, Heu, Baumwolle, Mandeln und Pistazien gepflanzt. Es gilt als produktivste Landwirtschaftszone der USA. Nicht umsonst wird Kalifornien als «Breadbasket» des Landes bezeichnet. Die Hälfte des in den USA gewonnenen Gemüses und der Früchte kommt aus Kalifornien, darunter 92 Prozent der Erdbeeren, 90 Prozent der Tomaten und 91 Prozent der Trauben.

Dank Tausenden von Grundwasserbohrungen und einer Armada von Staudämmen und Aquädukten ist aus dem Tal ein Garten Eden geworden. Manche sprechen vom weltweit grössten Geoengineering-Projekt. Allein für die beiden grössten Aquädukte im San Joaquin Valley, das California State Water Project und das Central Valley Project, wurden seit den 30er Jahren über 40 Staudämme hochgezogen und mehr als 2000 Kilometer Kanäle, Pipelines und Tunnels gebaut. 1400 Dämme sind heute über ganz Kalifornien verteilt. Die hydrologische Karte des Bundesstaates wurde mit den Bauten neu gezeichnet, Wasserangebot und Landwirtschaft wurden immer wieder ausgebaut. Heute fliessen

80 Prozent des vom Menschen genutzten Wassers zur Bewässerung von Nutzpflanzen in die Landwirtschaft. Doch seit der Dürre sind die meisten Aquädukte leer.

Über 1600 Quadratkilometer liegen durch die Dürre im Central Valley brach. Vertrocknete Orangenbäume bei Exeter © Samuel Schläfli

Bei Exeter, wenige Kilometer von Porterville entfernt, wird mir schlagartig bewusst, was das für die Bauern bedeutet. Mehrere hundert Orangenbäume liegen entwurzelt und vertrocknet in einem staubigen Acker. Es ist ein Bild der Verwüstung, des schleichenden Todes. Das vertrocknete Orangenfeld ist kein Einzelfall. Mehr als 1600 Quadratkilometer liegen im Central Valley derzeit brach, rund fünf Prozent des gesamthaft bewirtschafteten Landes. Laut einer Studie der University of California fehlen der Landwirtschaft wegen der Dürre derzeit acht Milliarden Kubikmeter Oberflächenwasser. Das wird der Industrie voraussichtlich 2,2 Milliarden Dollar an Umsatzverlusten und Mehrkosten aufbürden. 17 000 Jobs seien gefährdet, so die Autoren, die meisten davon im San Joaquin Valley.

Ausgetrocknete Stauseen

Wenige Kilometer östlich von Porterville liegt der Lake Success. Als ich mit dem Auto beim Stausee ankomme, befestigen Jacob Dunlap und Dennis Bailey auf einer Landzunge gerade einen neuen Bootssteg. Beide sind in der Umgebung aufgewachsen. Ich frage Dunlap, wie hoch der Wasserstand im Vergleich zu den Vorjahren sei. «Siehst du die Linie dort?» Er zeigt auf einen hellen Strich im vertrockneten Gras des Ufers, etwa 20 Meter oberhalb des Wasserspiegels. «Das war der normale Stand bis vor drei Jahren.» Und er fährt aufgeregt fort: «Der hohe Felsen dort, der nun etwa 50 Meter vom Seeufer im Trockenen steht, war einst von Wasser umspült. Und die Bäume davor standen direkt am Ufer! So was haben wir noch nie erlebt.» Manche Dämme halten noch knapp 10 Prozent ihrer ursprünglichen Wassermenge. Ende letztes Jahr standen die Pegel der Flussläufe, für die Langzeitdaten vorhanden sind, bei durchschnittlich 25 Prozent der Normalwerte.

Der Lake Success ist in seinem Wasserpegel in den letzten drei Jahren um 20 Meter gesunken. © Samuel Schläfli

Dunlap zeigt auf die 4000 Meter hohen Gipfel der Sierra Nevada. «Üblicherweise sind sie in dieser Jahreszeit alle weiss.» Jetzt sind sie braun. Der fehlende Schnee hat Konsequenzen für ganz Kalifornien. Das Schmelzwasser der Sierra Nevada füllte jeweils die Wasserreservoirs, mit denen im Sommer die Felder des Central Valley bewässert und die Städte mit Gebrauchswasser versorgt wurden. Bei Messungen im April — dann erreicht die Schneedecke erfahrungsgemäss ihren Höchststand — betrug sie dieses Jahr gerade noch fünf Prozent des historischen Durchschnitts. Es war der Tag, an dem der demokratische Gouverneur Kaliforniens, Jerry Brown, auf einem schneefreien Flecken Gras auf über 2000 Meter Höhe mit amerikanischem Pathos verkündete, dass fortan sämtliche Städte 25 Prozent Wasser einsparen müssten — obligatorisch, unter Androhung von Bussen. Das war ein Novum in der Geschichte Kaliforniens.

Der Gouverneur hat allen Grund, um die Zukunft des Staates zu fürchten. Die Wahrscheinlichkeit, dass hohe Temperaturen mit geringen Niederschlägen zusammenfallen, hat in den vergangenen 20 Jahren stark zugenommen. Das zeigen Modellrechnungen des Klimawissenschaftlers Noah Diffenbaugh von der Stanford University. In einer Studie prophezeien Wissenschaftler der University of California, dass — bedingt durch den Klimawandel — die Dürrephasen zunehmen und länger dauern werden — gemäss ihren Simulationen bis zu 12 Jahre lang.

Mittlerweile werden in den Restaurants von Los Angeles und San Francisco nur noch Gläser mit Eiswasser an den Tisch gebracht, wenn die Gäste explizit danach fragen. Das sonst omnipräsente Zischen der Wassersprinkler ist zumindest tagsüber vielerorts verstummt. Der Rasen in öffentlichen Parks und entlang der Strassen verfärbt sich langsam braun. Los Angeles bezahlt den Einwohnern neuerdings eine Prämie, wenn sie im Garten statt Rasen dem Klima angepasste Sukkulenten pflanzen. Trotzdem wird immer noch Golf auf sattgrünen Fairways gespielt, Aquaparks öffnen auch diesen Sommer wieder ihre Tore und die Wohnquartiere in Beverly Hills sehen nach wie vor aus wie kleine Oasen.

Selbst während der Dürrezeit – der Golfrasen ist immergrün. © Samuel Schläfli

Zustände wie in Entwicklungsländern

Conner Everts hat 38 Jahre Erfahrung, wenn es um Wasser in Kalifornien geht. Er hat für Wasseringenieurbüros gearbeitet, für NGOs und Regulierungsbehörden. Heute ist er Berater beim Environmental Water Caucus, einer Dachorganisation mit über 30 angeschlossenen Umweltverbänden. Everts ist einer der heftigsten Kritiker der Wasserpolitik Kaliforniens. «Wir haben hier teils Zustände, wie man sie sonst nur in Entwicklungsländern antrifft», hat er mir in seinem Büro in Santa Monica gesagt. Um die Ursachen und die Folgen der Wasserkrise besser zu verstehen, soll ich in den Nordwesten des San Joaquin Valley fahren, wo sich eine weltweit einzigartige Mandelmonokultur etabliert hat.

Tatsächlich hat sich in Kalifornien die Anbaufläche von Mandeln in nur 20 Jahren auf fast 4000 Quadratkilometer verdoppelt. Inzwischen kommen 80 Prozent der weltweit gehandelten Mandeln aus dem «Sunny State». Um die Bäume, die allesamt zur gleichen Zeit blühen, noch bestäuben zu können, werden jährlich über eine Million Bienen ins San Joaquin Valley gekarrt. Ich habe mich bei Stewart & Jasper Orchards in Newman zu einem Besuch angemeldet. «Big Ag» (für «Big Agriculture») nennt Conner Everts solche landwirtschaftlichen Industrieunternehmen. Die Firma produziert auf 800 Hektaren jährlich 800 000 Tonnen Mandeln, die in der eigenen Fabrik geschält und verpackt werden. Der Grossteil der Ernte wird nach Japan und Südkorea verschifft. Seit Asien die Mandel als magischen Gesundmacher entdeckt hat, sind die Exporte stetig gestiegen. Derzeit liegt der Preis mit rund acht Dollar pro Kilo im Grosshandel auf einem Allzeithoch. Mit solchen «High Value Crops» lassen sich fantastische Gewinne erzielen.

80 Prozent der weltweit gehandelten Mandeln stammen aus Kalifornien. Sie verbrauchen doppelt so viel Wasser wie die meisten Gemüsesorten. © Samuel Schläfli

Der Firmensitz liegt etwas ausserhalb von Newman mitten in den Mandelplantagen. General Manager Ray Henriques lädt mich zu einer Spritztour in einem beigen Pick-up-Truck ein, einem Ford Super Duty, dessen Kühlerhaube mir bis zur Brust reicht. Kurz hinter den grossen Schäl- und Aussortieranlagen und den Lagerhallen tauchen wir ein ins Meer der Mandelbäume. Sie stehen in endlos langen Reihen, so dass die Zwischenräume mit Maschinen gut befahrbar sind. Die Plantagen sind menschenleer. Bewässert werden sie vollautomatisch, geerntet wird maschinell. Das Unternehmen beschäftigt nur gerade 25 Feldarbeiter.

High Value Crops wie Mandeln oder Pistazien sind in die Kritik geraten. Mittlerweile weiss jeder Kalifornier, dass für die Mandelproduktion rund doppelt so viel Wasser verbraucht wird wie für das meiste Gemüse oder Getreide. Dass die Mandelproduzenten in einem Trockengebiet wie dem San Joaquin Valley so viel Wasser monopolisieren, stösst vielen sauer auf — insbesondere in den Städten. Conner Everts kritisiert den industriellen Mandelanbau seit Jahren: «Mandeln konnten im San Joaquin Valley nur gewinnbringend produziert werden, weil das Wasser viel zu billig war und noch immer ist.» Bis vor zwei Jahren kostete ein «Acre Foot», rund 1,2 Millionen Liter Wasser, 70 Dollar. Erst infolge der Dürre ist der Preis nun mancherorts auf über 2000 Dollar gestiegen. Der zu tiefe Wasserpreis hat auch dazu geführt, dass kalifornisches Wasser heute in Form von Mandeln billig nach Asien exportiert wird — «auf Kosten der Steuerzahler», wie Everts betont. «Die subventionieren nämlich die Staudämme und Aquädukte, von denen die Industrie profitiert.»

Henriques klagt, dass die Dürre auch seinem Unternehmen arg zugesetzt habe. Auf 162 Hektaren mussten die Bäume ausgerissen werden. Das entspricht einem Fünftel des Ertrags, also einer Gewinneinbusse von etwa vier Millionen Dollar, wie der Manager im Kopf überschlägt. Vier Leute habe er entlassen müssen. Ob er die Kritik am hohen Wasserverbrauch der Agrarindustrie und der Mandelfarmer nicht gerechtfertigt finde, will ich wissen. «Schau», antwortet er, «Farmer sind Geschäftsleute und produzieren, was immer profitabel ist. Vor 40 Jahren war es Baumwolle, heute sind es Mandeln. Würden sich Kaktusse gut verkaufen, würden wir Kaktusse pflanzen. Wir leben im Kapitalismus, so läuft das nun mal!» Auf ökologische Bedenken angesprochen, zum Beispiel auf die Möglichkeit, dass der Boden einmal ausgelaugt und die Wasserreserven aufgebraucht sein könnten, geht er nicht ein.

Orangenplantagen in der Nähe von Porterville: In dieser trockenen Gegend können nur mit Bewässerungsanlagen Früchte wachsen. © Samuel Schläfli

Der Fisch ist schuld

Schuld an der Wasserkrise sind laut Henriques weder die Industrie noch die Landwirtschaft. Schuld seien vielmehr die Fürsprecher eines fünf Zentimeter langen, beinahe durchsichtigen Fisches namens Delta Smelt. Tatsächlich war er der Grund, weshalb die Behörden die Wasserzuleitungen aus dem Sacramento-San Joaquin River Delta über die beiden grossen Aquädukte, von denen die meisten Bauern im Tal abhängig sind, drastisch gedrosselt oder sogar eingestellt haben. Hätten die Umweltschützer nicht den Ehrgeiz, diesen Fisch vor dem Aussterben zu bewahren, würde auch heute noch genügend Wasser ins Tal fliessen, sagt Henriques.

Der Delta Smelt ist zum neuen Symbol eines alten Kampfs zwischen Bauern und der Agrarindustrie auf der einen und Umweltschützern auf der anderen Seite geworden. «Big Ag» hat eine Kampagne gegen den Endangered Species Act eröffnet, auf den sich die Umweltschützer berufen, um den Delta Smelt zu schützen. Entlang der Interstate 5 stehen Schilder, welche die «Congress Made Water Crisis» beklagen, sowie Karikaturen von Abgeordneten der Demokratischen Partei, die sich für den Act eingesetzt haben. Fakt ist: Der Delta Smelt war einst die am meisten verbreitete Fischart im 2800 Quadratkilometer grossen Delta. Wegen seiner nur einjährigen Lebensdauer und einer relativ geringen Reproduktionsrate gilt er als Indikator für die Gesundheit des Ökosystems. Bei den letzten Auszählungen im April konnten die Biologen nur noch einen einzigen Delta Smelt fangen, früher waren es jeweils rund hundert gewesen. Der reduzierte Zufluss von Frischwasser, die zunehmende Verunreinigung durch Pestizide und Dünger sowie höhere Wassertemperaturen haben dem Fisch zugesetzt.

Politik in Zeiten der Dürre: Verantwortlich für die Wasserkrise sollen demokratische Politiker sein. © Samuel Schläfli

Hochkonjunktur für Driller

Um die ausbleibende Wasserzufuhr durch die beiden grossen Aquädukte auszugleichen, sind viele Bauern und Agrarunternehmen auf Grundwasser umgestiegen. Henriques liess für Stewart & Jasper Orchards vier neue Löcher bohren. Die «Driller» frohlocken, dass ihre Auftragsbücher über die nächsten zwölf Monate hinaus gefüllt seien. Und sie berichten von Anrufen vieler aufgebrachter Bauern, deren Grundwasserleitungen trockenlaufen und die in einer zusätzlichen, tieferen Bohrung die einzige Möglichkeit sehen, ihre Ernte zu retten.

In Tulare, dem Bezirk mit der höchsten Landwirtschaftsproduktion im Central Valley, wurden bis April 660 neue Grundwasserbohrungen gemeldet. Letztes Jahr waren es in der gleichen Periode 383 gewesen, vor fünf Jahren noch 60. «Es ist wie im Wilden Westen», hat mir Everts erklärt: «Kalifornien ist der einzige US-Bundesstaat ohne Grundwasser-regulierung. Jeder kann so viele Löcher bohren und so viel Wasser pumpen, wie er will.» Werden in normalen Jahren rund 30 Prozent des Wasserverbrauchs im Central Valley über das Grundwasser gedeckt, dürften es dieses Jahr etwa 75 Prozent sein, wie Jay Famiglietti, ein Hydrologe der University of California ausgerechnet hat. Noch nie war der Verlust in den Grundwasser führenden Gesteinsschichten so hoch. Seit 2011 hat Kalifornien 30 Billionen Liter Wasser seiner Gesamtreserven verloren, zwei Drittel davon beim Grundwasser.

Verheerend ist nicht nur die starke Zunahme der Bohrlöcher, sondern auch, dass sie immer tiefer werden: Reichten früher 30 bis 60 Meter, um an Grundwasser heranzukommen, sind mittlerweile 300 bis 600 Meter nötig. Oft wird über tiefe Bohrungen auch das Wasser der Nachbarn abgesaugt. Abgesehen vom sozialen Sprengstoff, den der Run auf Grundwasserquellen birgt, warnen Hydrologen auch vor einer ökologischen Zeitbombe: Die wasserführenden Gesteinsschichten könnten sich wegen der übermässigen Wasserentnahme selbst bei länger anhaltendem Regen nicht mehr erholen. Dann könnte sich die Erde — wie in der Vergangenheit bereits beobachtet — weiter absenken, wodurch Grundwasserspeicher für immer verlorengehen würden.

Ein Geschenk Gottes

An einem meiner letzten Tage im Tal besuche ich noch einmal Pastor Hernandez in Porterville. Er wirkt erleichtert und sagt: «Ein Geschenk Gottes hat uns erreicht.» Auf neun Paletten sind über 1800 Halbliter-Wasserflaschen mit der Aufschrift «Nestlé Pure Life» gestapelt. Es ist Grundwasser aus Sacramento, welches das Unternehmen normalerweise teuer verkauft. «Umverteilung von Wasserreichtum» nennt Conner Everts das sarkastisch. Pastor Hernandez ist es egal, woher das Wasser kommt. Hauptsache, er muss seine Gemeindemitglieder nicht mit leeren Händen gehen lassen.

«Umverteilter Wasserreichtum»: Wasserflaschen von Nestlé werden vor der Iglesia Emmanuel eingelagert für die spätere Vergabe an Bedürftige. © Samuel Schläfli

Die Angst jedoch bleibt. Bald kommt der Sommer mit seinen hohen Temperaturen. «Wahrscheinlich werden wir dann Dinge sehen, die wir hier noch nie erlebt haben», sagt Hernandez. Eine mexikanische Frau habe kürzlich zu ihm gesagt: «Pastor, ich bin ohne Mutter in einem kleinen Dorf in Mexiko aufgewachsen. Wir hatten kein Geld und ich hatte bis zu meinem zehnten Lebensjahr keine eigenen Schuhe. Aber wir hatten zumindest Wasser.» Das war vor einigen Wochen. Seither habe er die Frau nicht mehr gesehen. Der Pastor vermutet, dass sie nach Mexiko zurückgekehrt ist — als erster Klimaflüchtling aus Kalifornien.

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Die in diesem Artikel recherchierten Zahlen und Fakten stammen aus dem Mai 2015. Mittlerweile hat der Sommer in Kalifornien die Lage weiter verschärft.