Kunststoff ist ein langlebiges Material. Oft sogar zu langlebig. Der Joghurtbecher könnte einfach so im Kühlschrank stehen bleiben, er würde seine Funktion wohl auch in dreissig Jahren noch einwandfrei erfüllen. Das Joghurt hingegen ist dazu bestimmt, in der nächsten Zvieripause ausgelöffelt zu werden. Wohin aber mit dem Becher? Würden wir ihn zusammen mit den Küchenabfällen kompostieren, würde es je nach Sorte rund 400 bis 600 Jahre dauern, ehe er abgebaut ist. Wird der Becher verbrannt, setzt er zwar nutzbare Energie frei, belastet die Umwelt dafür mit CO2. Doch obwohl moderne Kehrichtverbrennungsanlagen die Hitze aus den Verbrennungsöfen sinnvoll nutzen — Turbinen produzieren Strom und mit der Abwärme werden im Winter Häuser beheizt —, wäre es ökologischer, das Plastik zu recyceln. Das Sammeln, Waschen, Sortieren und Einschmelzen ist weniger energieaufwendig, als Rohöl zu fördern, zu neuem Kunststoff zu verarbeiten und hierher zu transportieren. Dazu kommt, dass die fossilen Rohstoffe immer knapper werden und schon ihre Förderung ökologisch bedenklich ist.

Allerdings lässt sich Kunststoff nicht so einfach wiederverwerten wie etwa Glas. Es gibt nicht den Kunststoff, es gibt zahlreiche Kunststoffsorten. Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) und Polyvinylchlorid (PVC) sind die häufigsten. Je nach Verwendung muss das Material stabil sein, weich oder dehnbar. Deshalb kann man Gummibärlitüte, Joghurtbecher und Gartenschlauch auch nicht einfach zusammenschmeissen und daraus wieder hochwertiges Material gewinnen. Erst muss sortiert werden. Das ist aufwendig und teuer. Und am Ende bleibt immer noch ein Rest übrig, der nicht weiterverarbeitet werden kann und nur noch zum Holz- oder Betonersatz taugt.

Kunststoff zu recyceln ist also schwierig — aber nicht unmöglich. In Deutschland kommen Plastikverpackungen nicht in den Kehricht, sondern landen zusammen mit Aluverpackungen in der sogenannten «Gelben Tonne». Ausserdem sind viele PET-Einwegflaschen mit Pfand versehen und können direkt in den Laden zurückgebracht werden. 2012 kam Deutschland damit insgesamt auf eine Recycling-Quote von knapp 60 Prozent. In der Schweiz lag die Quote im selben Jahr nur bei 50 Prozent. Zwar behauptet die Schweizer Fremdenverkehrsagentur Schweiz Tourismus, wir seien Weltmeister im Recycling, dies bezieht sich jedoch nur auf die Wiederverwertung von Alu und Glas. Beim Sammeln und Trennen von Kunststoff bleiben wir bisher offenbar hinter unserem nördlichen Nachbarn zurück. Allerdings sei das deutsche System nicht so vorbildlich, wie es auf den ersten Blick scheine, erklärt der stellvertretende Leiter der Abfallbewirtschaftung im Bundesamt für Umwelt (BAFU), Michael Hügi. Denn die Sortierung sei immer noch viel zu teuer und die effektive Verwertungsquote in Deutschland gar nicht so viel besser. «Da gibt es keine grossen Unterschiede zu unserem System, ausser bei den Kosten», so Hügi.

Steuerbefreiungen für Recyclingbetriebe

Das sieht das deutsche Umweltbundesamt (UBA) anders. Richtig sei, dass es sich bei den erwähnten knapp 60 Prozent nur um Verpackungsmüll handle, sagt Franziska Krüger, Mitarbeiterin des UBA in Dessau-Rosslau, alle anderen Kunststoffabfälle würden nicht systematisch recycelt. «Natürlich ist das Recycling der Pfandflaschen auch ein Grund, wieso die Quote so hoch ist», gibt Krüger zu. Auch Kunststoffabfälle, die zu minderwertigen Holz- und Betonersatzprodukten weiterverarbeitet werden, würden dazugezählt. Unterm Strich werden in Deutschland laut einer Studie zu Produktion, Verarbeitung und Verwertung von Kunststoffen, die 2013 von PlasticsEurope in Auftrag gegeben wurde, 57 Prozent aller Kunststoffabfälle aus Haushalt, Gewerbe und Industrie verbrannt. Keine glänzende Quote. In der Schweiz liegt die Verbrennungsquote laut BAFU gemäss Zahlen von 2011 allerdings bei knapp 90 Prozent. Ein Unterschied, der — wenn auch wegen der unterschiedlich erhobenen Daten etwas schwer zu vergleichen — nicht ganz unerheblich scheint. Wie sieht es in Deutschland mit den Kosten aus? Die seien schwer zu eruieren, so UBA-Mitarbeiterin Krüger, jedenfalls werde das Kunststoff-Recycling nicht aus Steuergeldern finanziert, auch wenn die Recyclingbetriebe von Steuerbefreiungen profitierten. Die eigentlichen Kosten trügen die Hersteller, die sie wiederum auf die Produktpreise abwälzten.

Deutlich wird: Beim Recycling geht es ums Geld. Laut Schweizer Umweltschutzgesetz (USG 30d) kann der Bundesrat nur dann vorschreiben, «dass bestimmte Abfälle verwertet werden müssen, wenn dies wirtschaftlich tragbar ist und die Umwelt weniger belastet als eine andere Entsorgung und die Herstellung neuer Produkte». Wann aber ist etwas wirtschaftlich tragbar? «Wenn die Finanzierung für ein schweizweit flächendeckendes Sammel-, Transport- und Verwertungssystem gesichert ist, es einen Abnehmermarkt für das Rezyklat gibt und sich die Verwertung auch ökologisch lohnt», sagt Michael Hügi vom BAFU. Derzeit wird die Verwertung von PET, Alu und Glas in der Schweiz über eine Gebühr finanziert, die wir beim Kauf gleich mitbezahlen. Ein ähnliches System für Kunststoff einzuführen, wäre mit hohem administrativem Aufwand verbunden.

Das Ende des Abfallidylls

Für die grüne Nationalrätin Aline Trede darf der Verwaltungsaufwand jedoch kein Argument gegen Kunststoff-Recycling sein. «Ich hätte auch nichts gegen eine befristete Subventionierung», sagt Trede und fragt: «Wer sagt denn, dass eine Senkung der CO2Emissionen nichts kosten darf?» Subventioniertes Recycling wäre in der Schweiz allerdings ein Novum, wie ein Blick in die Geschichte der hiesigen Abfallbeseitigung zeigt. Noch vor 100 Jahren war dies in der Schweiz gar kein Thema. Die Güter waren teuer, und Gebrauchsgegenstände hatten eine längere Lebensdauer. Aufgrund materieller Knappheit wurde wiederverwendet, was noch irgendwas taugte. Holz- und Papierabfälle landeten im Heizofen. Küchenabfälle wurden verfüttert, Glas und Metallteile im Freien deponiert. Nicht optimal, aber durch die geringe Menge unproblematisch. Erst die Erfindung des Kunststoffs und der Einwegverpackung setzte dem schweizerischen «Abfallidyll» ein Ende. Nach dem Zweiten Weltkrieg vervielfachte sich die Kehrichtmenge, mit der Konsum- und Wegwerfgesellschaft kam die Überforderung. Noch bis 1964 versenkte die Schweizer Armee Munition im Thunersee, und bis in die Achtzigerjahre gab es zahlreiche «wilde» Mülldeponien. Erst 1971 kam die erste wirksame gesetzliche Grundlage. Die schiere Grösse der Abfallberge war ein erster Impuls fürs Recycling: Die Müllmenge musste verkleinert werden. Ein zusätzlicher Faktor waren die hohen Rohstoffpreise. So wurde beispielsweise die Altglas-Sammlung von der Glasindustrie eingeführt. Diese kam in Bedrängnis, als die Preise für neues Glas nicht mehr tragbar waren. Günstigerer Rohstoff musste her. Die Erfolgsmodelle Alu-, Glas- und PET-Recycling wurden dementsprechend weder vom Staat erzwungen, noch waren sie das Resultat ökologischer Weitsicht. Vielmehr trieben Sachzwänge und wirtschaftliche Interessen die Abfallverwertung voran.

BAFU setzt auf Privatwirtschaft

Auf eine entsprechende Entwicklung hofft das Bundesamt für Umwelt auch bei den noch nicht rezyklierten Kunststoffen. BAFU-Mitarbeiter Hügi ist überzeugt, dass das Bedürfnis, Kunststoffe zu recyceln, in Zukunft wachsen wird. Steigende Kunststoffpreise und die Sorge um Erdölvorräte und CO2-Emissionen deuten bereits darauf hin. «Wir sind zuversichtlich, dass sich das von selbst positiv einpendeln wird», so Hügi. Bis dahin beobachtet das BAFU wohlwollend die privatwirtschaftlichen Recyclinginitiativen (siehe Kasten). Erst wenn sich die freiwilligen Massnahmen bewährten, könne eine Branchenvereinbarung getroffen und dann auf dem Verordnungsweg eine Sammelpflicht eingeführt werden. Die Vorgehensweise des Bundes stösst bei einem der grössten Kunststoff-Recycling-Betriebe der Schweiz, der InnoRecycling AG aus Eschlikon, auf positive Resonanz. Gemeinsam mit der Schwesterfirma InnoPlastics schmilzt InnoRecycling Kunststoff zu Regranulat ein und verkauft dieses an die Hersteller von Kunststoffprodukten. Das Unternehmen hat kein Interesse daran, dass der Bund eine Sammelpflicht durchsetzt, selbst wenn dadurch die Recyclingindustrie gefördert würde. «Es käme zu Marktverzerrungen», erklärt Markus Tonner, Geschäftsführer von InnoRecycling. Er ist davon überzeugt, dass Kunststoff-Recycling landesweit gewinnbringend funktionieren wird. Staatliche Fördergelder würden nur falsche Anreize schaffen.

Umweltschutz kommt zu kurz

Es reisst sich also niemand um eine staatlich verordnete Kunststoffsammelpflicht. Nicht die Industrie, nicht der Bund und auch nicht die Gemeinden, welche — da ist sich Markus Tonner sicher — froh sind, wenn sie ihre Kehrichtverbrennungsanlagen auslasten können. Auf der Strecke bleibt dabei der Umweltschutz. Um hier etwas zu bewegen, wäre mehr Einsatz nötig. Sicher würden dabei auch Fehler gemacht. Wäre das schlimm? Mit dem deutschen System werden immerhin Jahr für Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen Kunststoff rezykliert. Mehrere hunderttausend Tonnen CO2-Emissionen werden dadurch verhindert, mehrere hunderttausend Tonnen Erdöl eingespart. Dabei entstehen — learning by doing — zukunftsträchtige Technologien, Know-how wird erarbeitet. Während die Schweiz das Geschehen beobachtet und analysiert.