«Die meisten Industrie­ und Produkt­designer sind Knechte der Industrie», sagt Ursula Tischner. Im Interview erzählt die renommierte Design­-Forscherin und ­Beraterin, wo sie die Zukunft nach­haltigen Designs sieht, wie Produktdesign mit Suffizienz zusammen geht und wie sich mit ihm ganze Systeme neu denken lassen.

Greenpeace: Mit einer Produktdesignerin über Suffizienz zu reden, ist ein Wagnis. Das Interview könnte nach fünf Minuten bereits beendet sein …

Ursula Tischner: Wohl kaum! Es gibt unter uns Designern einige — und ich gehöre dazu —, die sich auf Nachhaltigkeit spezialisiert haben. Wir arbeiten beispielsweise schon lange an Lösungen, mit denen sich Produkte verhindern lassen.

Produktdesigner verhindern Produkte?

Ja, die zentrale Frage für nachhaltigkeits­orientierte Designer lautet: Wie können wir Produkte verhindern, dem Unternehmen aber trotzdem Gewinn bescheren, denn dafür wer­ den wir ja bezahlt.

Und, wie schaffen Sie das?

Indem wir mehr auf Dienstleistungen set­zen. Wir möchten den Leuten das Leben nicht über den Verkauf von Produkten erleichtern, sondern mit Sharing-­Systemen. Bei den Autos gibt es das schon länger. Da ist aber noch viel mehr möglich.

Ein Beispiel, bitte!

Ein amerikanisches Teppichunternehmen fing schon vor längerer Zeit damit an, seine Auslegeware nicht mehr zu verkaufen, sondern zu vermieten. Das Unternehmen bietet eine Dienstleistung an, die «Schöner Bodenbelag» heisst. Eine andere Firma garantiert Bauern eine gute Ernte — sie kümmert sich mit biologi­schen Methoden darum, dass das Gemüse auf den Feldern gedeiht. Der Bauer bezahlt für diesen Service.

Die Umstellung dürfte nicht für jede Firma einfach sein.

Für die grossen Unternehmen, die bisher immer nur Produkte verkauft haben, ist sie deutlich schwieriger als für kleine Start­ups, weil sie in all den Jahren eine umfangreiche Infrastruktur für Produktionskapazitäten und Vertriebssysteme aufgebaut haben. Für jünge­re Firmen ist es einfacher, in die Sharing­-Eco­nomy einzusteigen. Zum Glück gibt’s jede Menge von denen.

Die Sharing-­Economy boomt ja nachge­rade …

Bei den Autos passiert viel, jedes grosse Automobilunternehmen in Deutschland bietet mittlerweile Carsharing­-Systeme an, sogar Mercedes und BMW. Man merkt, dass sie ver­standen haben, wohin die Reise geht. Sie kau­fen jetzt auch kleine Start-­up­-Unternehmen und bauen deren Dienstleistungen in ihre Stra­tegie ein. Die Konsumenten sind aber noch recht zögerlich. Noch immer dominiert die Vorstellung, dass man Dinge kaufen muss, wenn man sie benutzen will. Die Idee des Ei­gentums ist stark in unseren Köpfen verankert. Aber es sind Veränderungen bemerkbar.

Haben Sie selber schon erreicht, dass ein Unternehmen einen radikalen Wandel ein­leitete?

Ja. Beispielsweise bei einem Unterneh­men, das Abfallbehälter an Entsorger und Städte verkaufte. Mit uns haben sie Konzepte entwickelt, dass sie diese künftig vermieten. Davon profitieren alle: Die Städte und Gemein­den müssen die Behälter nicht mehr kaufen, was Geld spart, die Entsorger müssen sich nicht mehr um die Instandhaltung kümmern, und das Unternehmen kriegt sein Material zurück und hat über längere Zeit einen garantierten Mietertrag. Das sind Beispiele, die Spass machen, weil es Win­-win­-win­-Situatio­nen sind: Insgesamt wird weniger verbraucht, das System wird geschlossen betrieben und ist deshalb effizienter als der konventionelle Pro­duktverkauf.

Es scheint, als seien Sie über die Jahre von der Produktdesignerin zu einer Art Sha­ring­ und Kreislauf-­Spezialistin geworden.

Ja, das hat was. In unserem Büro haben wir einst mit Ökodesign angefangen und gesagt: Wir gestalten alles, was Produkt ist, ökologi­scher. Dann wechselten wir zum Designen von Service, wo wir sagten: Das Ökoprodukt alleine ist nicht gut genug, wir müssen das ganze System von Produkt und Dienstleistung zusam­men designen, weil wir dann auch die Nut­zungsphase mitgestalten können. Wir hatten erkannt: Ökoproduktdesign ist ok, aber es wird die Probleme nicht lösen, die wir jetzt haben, wir müssen da sehr viel systemischer rangehen.

Dies vor dem Hintergrund, dass bessere, effizientere Produkte nicht unbedingt zu Suffizienz führen, weil der Rebound­-Effekt die Einsparungen gleich wieder zunichte macht?

Richtig. Oft wird die höhere Produkteffizi­enz dadurch aufgehoben, dass die Leute die Produkte öfter und unbedachter benutzen. Oder dadurch, dass wir einfach mehr Produkte brauchen, weil es beispielsweise mehr Single­ Haushalte gibt. Auch das globale Wirtschafts­wachstum sorgt dafür, dass insgesamt mehr Produkte hergestellt werden und der Ressour­cenverbrauch nach wie vor steigt.

Was resultierte aus dieser Einsicht?

Dass wir uns die grösseren Systeme an­ schauten, die für den Energieverbrauch rele­vant sind, etwa die Mobilität, den Tourismus und die Landwirtschaft. Wir fragten uns, wie wir diese ganzen Systeme nachhaltiger gestal­ten könnten, an welchen Schrauben man dre­hen muss, um insgesamt ökologischer und sozial sinnvoller zu wirtschaften.

Und wo stehen Sie jetzt?

Wir haben ein grosses europäisches Projekt gestartet, das sich «innonatives» nennt und für «native Innovators» steht. Das haben wir unter www.innonatives.com kürzlich gelauncht. Es ist eine offene Innovations­ und Designplattform. Kreative auf der ganzen Welt können gemeinsam Nachhaltigkeitspro­jekte und nachhaltigkeitsorientierte Design­ projekte bearbeiten. Wir haben auch ein Crowdfunding, um guten Projekten zum Start zu verhelfen. Die ersten Projekte sind gerade erst abgeschlossen, die nächsten bereits in Planung. Wir wollen die Plattform langfristig betreiben.

Es kommen immer mehr sogenannt ökolo­gische Produkte auf den Markt, oftmals ziemlich chic verpackt. Sie scheinen einem «Kauf mich, ich bin öko, also gut!» zuzuru­fen. Ist aber nicht jeder bewusste Verzicht — auch auf vermeintlich gute, ökologische Produkte — im Zweifelsfall die bessere Ent­scheidung?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Wenn man ein Produkt gut designt, also beispielswei­se langlebig und so wertig, dass die Leute es lieben, weil sie es ganz toll gebrauchen können und es wirklich zu einem Lieblingsstück wird — das ist ja auch eine Produktdesign-­Qualität —, dann wollen die das vielleicht ihr ganzes Leben lang benutzen. Manche Designer schaffen das. Das krasse Gegenteil davon ist das Fast­-Fashi­on-­Konsumgut, bei dem es nur darum geht, Sachen zu stylen, damit sie neu aussehen, ob­ wohl nichts daran neu ist. Der einzige Zweck besteht darin, den Konsumenten zu suggerie­ren: «Hey, ihr braucht was Neues, werft das alte Zeug weg, auch wenn es noch gar nicht kaputt ist, wir haben ein cooles Styling. Ihr müsst das kaufen, damit ihr wieder happy seid.» Das ist genau das Gegenteil von nach­haltig.

Die Handy­ und die Computerbranche funktionieren so.

Der Trend hat sich von der Bekleidungsin­dustrie leider auf viele andere Segmente ausge­breitet, angefangen bei den Möbeln — ich sage nur: das freundliche Möbelhaus aus Schweden … Und dann eben die Handys: Die neuste Gene­ration hat runde Ecken, die nächste dann wie­der eckige — und die Technologie ist, na ja, ein wenig weiter entwickelt, aber nicht so sehr, und trotzdem braucht man jetzt jedes Jahr ein neues Smartphone. Das ist völliger Schwachsinn und falsch verstandenes Design. Seine Funktion erschöpft sich darin, die Konsum­- und Weg­werfgesellschaft anzutreiben.

Welchem Zweck dient gutes Design?

Es hilft, Probleme zu lösen. Etwa indem es Dinge so gestaltet, dass sie den Menschen gut tun und nicht nur der Industrie Profite ver­schaffen. Seit dem Bauhaus gibt es die Idee, dass Designer gesellschaftlich sinnvolle Dinge tun sollten. Viele jüngere Designer befassen sich sehr engagiert mit diesem Thema und es gibt immer wieder Protagonisten, die gute Bücher schreiben und öffentliche Reden hal­ten. Leider muss man sagen, dass dieses Be­wusstsein im Alltag der Mainstream-­Produkt-­ und Industriedesigner noch nicht wirklich angekommen ist, insbesondere nicht in den deutschsprachigen Ländern. Natürlich verste­he ich, dass die Kollegen Zwänge haben, von der Industrie abhängig sind und deshalb tun, was von ihnen verlangt wird, nämlich Produkte zu designen, die …

… nach einem halben Jahr weggeworfen werden müssen?

Genau. Manche Designer bezeichnen sich sogar als die Strichjungen der Industrie. Sie sagen: «Wenn die das wollen, dann machen wir es eben, es fragt ja keiner nach Nachhaltig­keit.» Das ist so das, was ich zu hören kriege. Ich sage dann jeweils: «Leute, das könnt ihr nicht viel länger so weiter betreiben, die Zeiten werden sich ändern.» Es gibt ja immer mehr Gesetze, die den Unternehmen Produktverant­wortung auferlegen, die Konsumenten werden bewusster und es gibt Zwänge, weil Ressour­cen nicht mehr so günstig verfügbar sein wer­den. Ich glaube, dass sich Designer, die das nicht verstehen, längerfristig nicht im Markt halten können, auch wenn sie derzeit noch ganz gut von ihrer Arbeit leben.

Was lässt Sie hoffen?

Es gibt eine jüngere Generation von Desig­nern, die nicht so arbeiten wollen, wie wir das noch gelernt haben. Sie sagen sich schon jetzt: «Wir wollen etwas machen, das sinnvoll ist.» Klar, die wollen auch einen coolen Job haben und berühmt werden, das wollen immer noch alle. Aber sie wollen nicht ihr ganzes Leben mit irgendwelchen Aktivitäten verbrin­gen, die sie nicht sinnvoll finden. Und wenn es nicht der Bewusstseinswandel der jetzigen Designer ist, so ist es vielleicht die nachkom­mende Generation, die mit ihrer heutigen Sozi­alisierung dafür sorgen wird, dass sich eine Menge ändert.

Wo setzt die Politik punkto Suffizienz an?

Es gibt da wenig, was sich auf Suffizienz bezieht. Die Politiker fürchten sich davor, Ver­zicht und Beschränkung zu thematisieren. Man kann zwar sehen, dass in der Politik inzwi­schen mehr über nachhaltigen Konsum gespro­chen wird, aber man ist weit davon entfernt, entsprechende Gesetze zu machen. Es geht mehr um Fragen wie: Wie können wir die Kon­sumenten erziehen und bilden? Was brauchen die, damit sie ihr Verhalten ändern? Wie geht soziales Lernen vor sich, wie geht Verhaltens­ veränderung und was kann die Politik dazu beitragen?

In Ihren Vorträgen sprechen Sie oft von Effizienz, erwähnen die Suffizienz aber nicht speziell. Warum?

Ich glaube, dass viele Leute ohnehin bald weniger konsumieren werden — gezwungener­massen, weil es ja leider diese prekären Arbeitsverhältnisse gibt, wo die Leute trotz drei oder vier Jobs ihre Familie nicht ernähren können. Es gibt Menschen, die von der Gesellschaft im Stich gelassen werden, und viele Jugendliche, die ihre Schulbildung nicht zu Ende bringen oder keine Jobs mehr kriegen. Diese Entwicklungen finde ich per­sönlich sehr beängstigend. Es gibt ja Experten, die voraussagen, dass die Systeme zusammen­brechen werden, dass wir anarchistische Zu­stände haben werden. Dann würde es hier richtig abgehen. Ich hoffe das nicht. Aber die Lebensstile werden sich ändern müssen, da bin ich mir sicher.

Sind Teilen und Zusammenstehen in der näheren Zukunft die grösseren Themen als Effizienz und Suffizienz?

Ja, wir sind in einem Zeitalter der Koope­ration und das wird sich noch verstärken. Wir werden es nur schaffen, die Krisen halbwegs zu meistern, wenn es uns gelingt, den verbreite­ten Egoismus und die Machtpolitik einzudäm­men. Wir müssen stattdessen schauen, was wir gemeinsam an coolen und interessanten Projekten machen können. So entsteht eine neue Bewegung — viele Ansätze gibt es bereits. Wir können nicht weiter auf die Politik und die Unternehmen warten, sondern müssen das selber in die Hand nehmen. Dabei möchte ich helfen, zum Beispiel auch mit unserer offenen Innovationsplattform.

Was empfehlen Sie Leuten, die Angst vor Konsumverzicht haben?

Einfach mal den Fernseher in den Keller stellen, den Laptop nach der Arbeit zuklappen und in der gewonnenen Zeit schöne Dinge tun, beispielsweise mit Freunden und Familie ko­chen oder Sport treiben. Und leckere, fleischlo­se Gerichte ausprobieren. Bei schönem Wetter mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zum Einkau­fen fahren, auf dem lokalen Wochenmarkt einkaufen, vor allem langlebigere Produkte bevorzugen, die man in zwei Jahren immer noch besitzen möchte. Und öfter mal freund­lich mit den Nachbarn reden.

Die Designforscherin Ursula Tischner studierte Architektur, Kunst und Produkt-­Industrial Design. Nach ihrem Masterabschluss war sie mehrere Jahre an der Schnittstelle von Design und Umweltfor­schung am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie tätig. Seit 1996 betreibt sie in Köln eine Agen­tur für nachhaltiges Design, berät Unternehmen und Regierungen, publiziert regelmässig und unterrichtet an Hochschulen, darunter auch schon an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK).