Dass es eine kulturelle und eine biologische Vielfalt gibt, ist unbestritten. Nur die Ökonomen halten permanentes Wirtschaftswachstum nach wie vor für den Königsweg, obwohl kaum mehr jemand versteht, warum die Wirtschaft so verrückt spielt: Wie war das noch mit dem Franken-Euro-Kurs? Irgendwie schlecht für unseren Produktionsstandort, heisst es. Dafür gibt’s die italienische Salami und die Ferien in Griechenland jetzt noch günstiger.

Irgendwann hat sich die Idee verbreitet, Ökonomie sei eine exakte Wissenschaft, die mit ihren computergestützten Modellen jede Situation erfassen, berechnen und steuern kann. Ihre Vertreter benutzen Schlagwörter wie «Gewinnmaximierung», «Kosten-Nutzen-Analyse» oder «Reformdruck». Kritiker wie der deutsche Volkswirtschaftsprofessor Niko Paech sprechen von der «Diktatur des Wachstums» (siehe Streitgespräch Paech/Lotter). Das öffentliche Unbehagen äussert sich in Sprüchen, die sich vorzugsweise mit der Unzuverlässigkeit der Protagonisten befassen: «Ein Ökonom ist jemand, der reich wird, indem er anderen erklärt, wieso sie arm sind.» Oder: «Für den Ökonomen ist das wirkliche Leben ein Spezialfall.» Die dominierende Monoökonomie steckt in einer Krise wie die landwirtschaftliche Monokultur und schmeckt ähnlich fade. Es ist Zeit, dass ökonomische Vielfalt die Einfalt ablöst. Wer sich mit der Materie befasst, entdeckt interessante Ansätze.

Plurale Ökonomie

Die VertreterInnen der pluralen Ökonomie verfolgen ein klares Ziel: Sie wollen die Vielfalt in den Wirtschaftswissenschaften sichtbar machen und die Dominanz der herrschenden Meinung an den Wirtschaftsfakultäten brechen. Als Pioniere gelten Studierende, die im Jahr 2000 in Paris die Bewegung für eine «post-autistische Ökonomie» starteten. In Deutschland lau­fen die Fäden beim Netzwerk Plurale Ökonomik zusammen, welches die Kampagnenseite pluralowatch.de betreibt; demnächst soll ein Ranking zur Vielfalt der Lehre an verschiedenen Wirtschaftsfakultäten präsentiert werden. Weltweit haben sich Pluralos aus über 30 Ländern in der International Student Initiative for Pluralism in Economics (ISIPE) zusammengeschlossen, die erreichen will, dass sich die Ökonomie wieder vermehrt in den Dienst der Gesellschaft stellt. In einem Manifest heisst es: «Wir massen uns nicht an, die endgültige Richtung zu kennen, sind uns aber sicher, dass es für Studierende der Ökonomie wichtig ist, sich mit unterschiedlichen Perspektiven und Ideen auseinanderzusetzen.»

Solidarische und Gemeinwohl-Ökonomie

Nachhaltige Wirtschaftsformen gab es schon lange vor dem Siegeszug der gewinnorientierten Marktwirtschaft. Bei der Nutzung von Gemeingütern (Commons) ging und geht es weniger um Profitmaximierung, im Vordergrund steht die Förderung des Gemeinwohls. Beispiele dafür gibt es in der Schweiz zuhauf, etwa in Form von landwirtschaftlichen Allmenden. Nebst Migros und Coop ist auch die Nagra, die ein Endlager für Atommüll suchen soll, als Genossenschaft organisiert. Die solidarische Ökonomie ist eher eine soziale Bewegung. Der Fairtrade-Bereich gehört dazu wie Vertragslandwirtschafts-Kooperativen, selbstverwaltete Beizen und Tauschkreise. Gefördert werden flache Hierarchien, die Demokratisierung der Entscheidungen über Produktion und Verteilung, Kooperation statt Konkurrenz, Solidarität zwischen Betrieben, politisches Engagement für eine gerechtere Gesellschaft und ökologische Nachhaltigkeit. Verwandte Ziele verfolgt auch die Allianz der Gemeinwohlökonomie mit ihrer Plattform ecogood.org. Hier steht die Gemeinwohl-Bilanz im Fokus, mit der Betriebe sich in einem partizipativen Verfahren nach den genannten Kriterien einschätzen und verbessern können. Bis jetzt sind über 1700 Unternehmen dabei. Mittelfristig sollen sich auch Gemeinden und Regionen beteiligen, indem sie etwa zertifizierte Firmen bei Auftragsvergaben bevorzugen. Leider haftet der solidarischen Ökonomie das Stigma von Hippiekommunen und Dauervollversammlungen an. Zu Unrecht: Ihr Kernprinzip, die Gemeingüterwirtschaft, ist als «Creative Commons» aus der Softwareentwicklung nicht mehr wegzudenken. Sie könnte bald auch die physische Produktion auf den Kopf stellen.

Peer-to-Peer und Sharing Economy

Was mit Musikdateien, Mitfahrgelegenheiten und Couchsurfen angefangen hat, entwickelt sich zum Milliardengeschäft. Der Branchenprimus Airbnb bedrängt das Hotelgewerbe, Carsharing wird in Städten zur Norm. Gemäss dem Wirtschaftsmagazin Forbes sollen die Umsätze der Share Economy 2015 um über 25 Prozent wachsen, was sie für die etablierte Wirtschaft zu einer «zersetzenden Kraft» mache. Tatsächlich klingt das Peer-to-Peer-Geschäftsmodell wie eine antikapitalistische Utopie: Wieso nach exklusivem Eigentum streben, wenn man teilen kann? Peers sind Gleichgestellte und KollegInnen, die Hierarchie ist flach. Mit einem Internetzugang und einer Plattform können lokale Ressourcen, Gegenstände, Maschinen, Produktionsanleitungen und Fähigkeiten effizient getauscht und genutzt werden. Konsum und Produktion werden damit kollaborativ, die Abhängigkeit von Grosskonzernen reduziert sich drastisch. Sobald Geld fliesst, lässt sich aus dem Vermittlungsdienst allerdings auch ein Geschäft machen, und es zeichnet sich ab, dass in solchen Fällen eher das Teilen kommerzialisiert als der Kapitalismus abgeschafft wird. Die Entwicklung hat aber das Potenzial, den Konsumwahn zu dämpfen und zur Lokalisierung der Wirtschaftskreisläufe beizutragen. Das Anhäufen von Dingen, für deren Nutzung man zu wenig Zeit hat, wirkt uncool. Entscheidend ist der unkomplizierte Zugang genau dann, wenn man etwas braucht. Suffizienz ist in der Share Economy nicht zwingend enthalten, sollte aber angestrebt werden.

Glücksökonomie und das gute Leben

Glück und Zufriedenheit sind höchst subjektiv und lassen sich nicht so einfach berechnen wie das Bruttosozialprodukt. Die beiden Faktoren deshalb zu ignorieren, hilft aber nicht weiter. Schliesslich sind Menschen keine Maschinen; Emotionen, soziale Sicherheit und Bestätigung sind den meisten wichtiger als maximaler Profit. Inzwischen gilt in der Burnout-Gesellschaft die Freiheit, über die eigene Zeit zu verfügen und auch einmal abschalten zu können, als begehrtes Luxusgut. Die Glücksökonomie erforscht solche Zusammenhänge und wird zunehmend beachtet, zum Beispiel von Coca-Cola: Der weltgrösste Verkäufer von ungesunden Süssgetränken finanziert ein wissenschaftliches Happiness-Institut samt Studien und Kongressen, bei denen GlücksforscherInnen wie Spitzensportler vor dem Markenlogo posieren. Wie wäre es, wenn sich auch die Politik vermehrt um den Glücksfaktor kümmern würde? Als Paradebeispiel gilt der Himalayastaat Bhutan, wo das «Bruttosozialglück» erhoben wird. Die BewohnerInnen dieser buddhistischen Monarchie scheinen gemäss Umfragen im internationalen Vergleich überaus glücklich zu sein. Allerdings haben sie kaum politische Mitspracherechte und die hinduistische Minderheit wird diskriminiert, weshalb Bhutan nicht als Vorbild taugt. Derweil ist das südamerikanische «bien vivir» (das gute Leben) zum Exportschlager geworden. Ecuador und Bolivien haben das ursprünglich von den indigenen Andenvölkern verwendete Konzept als anzustrebendes Ziel in die Verfassung aufgenommen. Im Gegensatz zum hedonistischen Glücksverständnis Europas gehört dazu auch eine harmonische Beziehung zur Natur, ohne die es kein gutes Leben geben kann.

Grüne Wirtschaft: Nachhaltiges Wachstum oder fröhliches Schrumpfen?

Die «grüne Wirtschaft» ist ein Überbegriff für verschiedene Ansätze, Ökologie und Ökonomie mit dem Ziel der Nachhaltigkeit zu vereinen. VertreterInnen der Umweltökonomie möchten Firmen zwingen, die externalisierten Kosten für Verschmutzung und Umweltzerstö­rung selber zu bezahlen, etwa über den Handel mit CO2-Emissionszertifikaten. Die Global Commission on the Economy and Climate sieht im Klimawandel zwar ein gravierendes Problem, aber auch eine Chance für einen energieeffizienten Umbau der Wirtschaft, Innovationen und langfristiges Wachstum. Im Gegensatz dazu halten Kritiker wie Niko Paech ein nachhaltiges oder grünes Wachstum für einen Widerspruch in sich, weil Wachstum immer den zusätzlichen Verbrauch von Ressourcen beinhalte. Die VertreterInnen der ökologischen Ökonomie verweisen auf die beschränkten Ressourcen unseres Planeten: US-Professor Herman Daly hatte bereits 1977 in seinem Buch «Steady-State Economics» gefordert, die Wirtschaft müsse auf einem langfristig tragbaren Niveau stabilisiert werden. Die AnhängerInnen der «Wachstumsrücknahme» (décroissance oder degrowth) gehen noch einen Schritt weiter: Sie fordern, die Wirtschaft in den reichen Nationen müsse erst einmal kontrolliert schrumpfen, da der Westen weit über seine Verhältnisse lebe. Weil das abschreckend tönt, heben sie den damit einhergehenden Gewinn an Lebensqualität hervor, etwa durch ein verstärktes Gemeinschaftsgefühl in vernetzten Kleinstadt- und Quartierinitiativen. Auch in der Schweiz gibt es für diese Idee Ansprechpartner, unter anderem das Netz der Wachstumsverweigerer (Réseau Objection de Croissance) mit dem Magazin «Moins» in der Romandie oder die Gruppen Décroissance Bern, Vision 2035 in Biel und Neustart Schweiz in Zürich und Basel.

Und wie passt das alles zusammen?

Ein Strassenwitz aus Moskau: «Alles, was die Kommunisten uns über den Kommunismus erzählt haben, war eine grosse Lüge. Aber leider hat sich alles, was uns die Kommunisten über den Kapitalismus erzählt haben, als wahr erwiesen.» Die Zeit der Systemkämpfe scheint vorbei. Jede Form von alternativer Ökonomie muss zuerst beweisen, dass sie im real existierenden Kapitalismus überleben kann. Es gibt viele Sachzwänge, aber wenig Raum, um neue Rezepte in grösserem Stil auszuprobieren. Darum sind Küchen und Gärten wichtige Experimentierfelder. Die österreichische Ethnologin und Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen erzählt in einem Interview, wie der Besuch einer mexikanischen Marktköchin namens Anna in der Küche der Uni-Mensa in Bielefeld zum Schlüsselmoment für die Entwicklung der Bielefelder Subsistenzperspektive wurde — als eine andere Sichtweise auf die Wirtschaft im Kleinen, welche die unmittelbare Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ins Zentrum stellt. Dieser feministische Ansatz hat bereits Mitte der 1970er Jahre vieles vorweggenommen, was in diesem Artikel beschrieben wird. Ökonomie kommt schliesslich von «oikos», dem Haushalt. Wer könnte darüber besser Bescheid wissen als Menschen wie Anna, die Köchin vom Isthmus von Tehuantepec?