Niko Paech, Deutschlands führender Wachstumskritiker, kreuzt die Klingen mit Wolfgang Lotter, bekannt als Deutschlands Wachstumspapst. Der eine sieht in der materiellen Beschränkung den einzigen Weg in die Zukunft, der andere im Wirtschaftswachstum. Lotter stört sich daran, dass der reiche Westen die aufstrebenden Länder zum Verzicht anhalten will, für Paech sind selbst Sharing Websites wie Airbnb ökologisch heikel, weil sie das Wachstum beschleunigen.

Greenpeace: Herr Paech, ich habe gehört, Sie seien noch nie in New York gewesen. Was haben Sie gegen diese Stadt?

Paech: Also, ich habe ja schon viel gelesen über New York. Ich glaube, das ist eine interessante Stadt. Ich mag Jazz, auch Urban Gardening interessiert mich sehr. Ich war halt bloss noch nie dort.

Sie verzichten zugunsten Ihrer Idee der Suffizienz und der Postwachstumsökonomie. Worum geht es denn da?

P: Die Postwachstumsökonomik ist die Wissenschaft einer Welt nach dem Wachstum. Dabei geht es erstens um die Analyse von Wachstumsgrenzen, zweitens um die Identifikation relevanter Wachstumszwänge und drittens um die Entwicklung von Bedingungen, unter denen eine Wirtschaft ohne Wachstum, also eine Postwachstumsökonomie, gestaltet werden kann.

Geben Sie mir einen Eindruck davon?

P: Es geht um den Rückbau der entgrenzten industrialisierten Fremdversorgung sowie um den Aufbau regionaler Wirtschaftsstrukturen und einer urbanen Subsistenz, letztlich also um Versorgungsmuster, die ohne Geld, Markt und Staat funktionieren. Und dann gibt es noch ein viertes Element: Suffizienz, die Kultur der Genügsamkeit.

Warum ist Wachstum denn schlecht?

P: Schon die thermodynamische Betrachtung zeigt, dass es unmöglich ist, im Rahmen industriell-arbeitsteiliger Produktion etwas zu erschaffen, ohne einen ökologischen Preis dafür zu zahlen. Konzepte rund um die Nachhaltigkeit oder grünes Wachstum, die in den letzten vierzig Jahren versucht haben, diese Zwangsläufigkeit zu umgehen, sind nicht nur gescheitert, sondern haben oft auch noch zusätzliche Schäden angerichtet. Und es gibt auch psychische Wachstumsgrenzen — vom Burnout-Syndrom bis zur Zunahme von Depressionen.

Kurz gesagt bedeutet Wirtschaftswachstum also, dass die Natur und die Menschen leiden…

P: Genau.

Herr Lotter, warum muss unsere Wirtschaft wachsen?

Lotter: Weil es noch nie so viele Menschen gegeben hat, denen es so gut geht. Weil wir länger leben als vor dem Industriekapitalismus. Weil dieses System so viel Wohlstand geschaffen hat, dass breite Massen daran teilhaben. Menschen in Schwellenländern führen heute ein besseres Leben. Bei allen Problemen, die Herr Paech teils richtigerweise nennt — es geht um eine andere Frage …

Und zwar?

L: Um die Frage: Was ist genug — und für wen? Das müsste man fragen, statt das Ende des Wachstums zu fordern. Ich habe oft das Gefühl, dass die Frage, wie wir eine weniger vergeuderische postindustrielle Gesellschaft aufbauen könnten, von einer kleinen Minderheit in den reichen Ländern dazu benutzt wird, um anderen Grenzen zu diktieren. Wo satte, ältere, weisse, reiche Herren jungen, hungrigen Menschen in Entwicklungsländern sagen: «Kinder, ihr braucht nicht so viel — ich hab ja schon alles.»

Und was kann man dagegen tun?

L: Die Frage ist doch, wie wir einer digitalisierten, entwickelten Gesellschaft die soziale Dividende gezielt einsetzen: zur Entwicklung der persönlichen Talente. Verzicht hat historisch in jedem System immer Zwang zum Verzicht bedeutet. Das hat etwas Totalitäres. Herr Paech lebt das ganz zwanglos. Er verzichtet beispielsweise auf ein Mobiltelefon. Fast wäre es nicht zu diesem Gespräch gekommen, weil ich ihn kaum erreichen konnte.

Finden Sie, er schadet dadurch seiner eigenen Idee?

L: Ich glaube nicht. Mehr von etwas bedeutet nicht zwangsläufig besser. Die jüngere Generation verzichtet ja auch auf Autos und setzt auf Carsharing oder ÖV. Was wiederum ein gutes Beispiel für meine These ist: So eine ressourcenschonende Infrastruktur aufzubauen, ist ohne Wachstum undenkbar.

Sie sind ja ziemlich erfolgreich mit dem Wirtschaftsmagazin «brand eins», Herr Lotter. Stimmt es Sie nicht traurig, dass Herr Paech nicht einmal ein Handy braucht, um noch erfolgreicher zu sein? Mittlerweile wird überall zugunsten sozialer oder ökologischer Ziele auf Wachstum verzichtet. Im Westen haben wir mehr oder minder ein Nullwachstum. Wir leben in einer Nullzinswelt, ganz wie Herr Paech sich das erträumt hat. Allerorten spricht man von Sharing Economy und sogar Axe wirbt für seine Deos mit dem Slogan «Weniger ist mehr».

L: Das ist doch nichts als ein Modegag. Weniger ist eben nicht mehr. Das ist ein leeres Schlagwort geworden — um mehr abzusetzen. Die meisten Menschen wollen mehr, nicht weniger. Man muss doch mal schauen, für wen der Kapitalismus historisch in die Bresche gesprungen ist: für die Masse. Massenproduktion dient der Masse jener, die weniger Geld haben. Reiche kaufen nichts vom Fliessband.

Herr Paech, diese Sharing Economy, Webseiten wie Airbnb, die Leuten helfen, ihre Wohnung kurzfristig unterzuvermieten — ist das Ihr gelebter Traum? Da wird Vorhandenes doch besser genutzt.

P: Das ist ziemlicher Quatsch. Airbnb-Reisende haben vielleicht den historisch grössten ökologischen Rucksack überhaupt. Weil sie noch mehr reisen können. Es ist ja billiger geworden. Sharing kann sogar zu einer Beschleunigung des Wachstums führen. Auch Carsharing ist keine Erfolgsstory, zumal es den motorisierten Individualverkehr geradezu verherrlicht und ihm jetzt auch noch das Mäntelchen der Ökologieverträglichkeit überstreift. Das führt doch immer mehr Leute ans Auto heran! Nur innerhalb einer nicht wachsenden Wirtschaft könnten Sharing-Konzepte dazu beitragen, so etwas wie eine Dematerialisierung unserer Daseinsform zu ermöglichen.

Herr Lotter, diese Grenzen des Wachstums, auf die sich Herr Paechs Modell stützt, gibt es die? Ich bin seit meiner Kindheit traumatisiert vom baldigen Weltuntergang, den der Club of Rome vorhergesagt hat.

L: Grenzen des Wachstums, wie sie der Club of Rome und sein Statthalter Dennis Meadows 1972 definiert haben, gibt es nicht. Da wurde in einer Konsumgesellschaft, die wegen ihres Erfolgs Zukunftsängste entwickelte, die Idee von Überbevölkerung und der kommenden Apokalypse weitergesponnen, die schon 200 Jahre zuvor der englische Pfarrer und Ökonom Thomas Malthus formuliert hatte. Meadows Prognosen haben sich nicht bewahrheitet — die Welt ist nicht untergegangen. Aber es gibt Grenzen des Wachstums und zwar der politischen Utopien, solange es demokratisch zu und her geht.

Ihre Sharing Economy der Zukunft, Herr Paech, ist doch nur mit einer harten Elite durch zusetzen. Das wäre nahe am «real existierenden Sozialismus»: eine Instanz, die in der Lage wäre, Gemeingut so zu verteilen, dass immer noch alles funktioniert. Daran glaube ich nicht mehr. Das würde sehr, sehr schnell in eine totalitäre Verteilung kippen, bei der Ressourcen aus ideologischen Gründen zugeteilt würden.

P: Schauen Sie sich doch mal die historische Erfahrung an, wie marktwirtschaftliche Systeme immer wieder Gewalt hervorgebracht haben, eben weil sie real und monetär an Grenzen stossen …

L: «… Gewalttätig, schmutzig und kurz war das Leben vor der Marktwirtschaft», wenn ich Thomas Hobbes zitieren darf …

P: Wir können vielerorts beobachten, wie gut autonome Tauschstrukturen in kleinen, überschaubaren Netzwerken funktionieren. Dies hat mit Zwang, den ich genau wie Sie ablehne, nichts zu tun. Womit Malthus aber Recht behält, ist die Zunahme von Verteilungskrisen. Zu sagen, Malthus lag total daneben, erinnert mich an jemanden, der von einem 80-stöckigen Hochhaus springt und nach 40 Stockwerken sagt: «Bis jetzt ist alles gutgegangen. Die Erfahrung lehrt: Es gibt keinen Aufprall.» Meadows und Malthus als widerlegt zu betrachten, ist leichtfertig.

Herr Paech, hat Ihre Idee der Wachstumsbeschränkung immer die Folgen, die Sie sich wünschen? Ist es beispielsweise nicht so, dass Sie die Erdölwirtschaft sogar noch stützen, wenn Sie einen gemässigten Verbrauch dieser Ressource fordern — und so verhindern, dass Erdöl schon bald so knapp und teuer ist, dass wir uns einen Ersatz suchen müssen?

P: Diese angebliche Geschichte des Fortschritts durch Ersatzmittel ist nichts als eine Umverteilung jeweiliger Chancen und Risiken. Die Probleme werden einfach in die Zukunft verschoben. Deswegen glaube ich nicht, dass wir durch Preise irgendetwas lösen können. Deshalb müssen wir den Verbrauch dieser Ressource durch Sparsamkeit strecken.

Herr Lotter, ist das, was Herr Paech da fordert, überhaupt noch vereinbar mit der Marktwirtschaft? Am Anfang habe ich noch gedacht, dass seine Vorstellungen gut mit Ihrem Zivilkapitalismus des verantwortungsvoll konsumierendem Kapitalisten vereinbar seien, aber jetzt kommen mir Zweifel …

L: Mir auch. Und er bedient sich in seiner Verteidigung von Malthus eines falschen Konzepts. Als ob alles in der Summe immer gleich bliebe wie ein Kuchen, den man aufzuteilen habe. Dabei ver­danken wir fast alle Fortschritte dem menschlichen Geist — und unserer Fähigkeit, zu automatisieren, aus wenig mehr zu machen. Das sind keine Spielchen. Da geht es um Gesundheit und so weiter. Ich halte es für falsch, zu behaupten, alles, was uns die Moderne gebracht habe, sei falsch. Kein Sozialstaat könnte ohne Dividende aus Fortschritt und Automation leben. 1910 konnte ein Bauer 10 Personen versorgen. 1990 waren es 144! 1990 haben 18,7 Prozent der Menschheit gehungert, 2014 waren es nur noch 12 Prozent. Das hat uns die Marktwirtschaft in Indien und China gebracht.

P: Der Klimawandel und die Erschöpfung vieler Ressourcen, die uns diese ganze Entwicklung gebracht haben, sind eben auch kein Spiel. Zu sagen, das stimme nicht, das beruhe auf einer altertümlichen physikalischen Haltung, heisst, dass man sich einer Religiosität hingibt. Dem Glauben an die Machbarkeit, an die Erringung einer neuen Physik. Was Herr Lotter befürwortet, kann in eine Eskalation führen, die letztendlich Totalitarismus, Bürgerkriege und Verteilkämpfe mit sich bringt. Wir sollten jetzt schon einüben, welche Praktiken Post-Wachstums- oder sogar Post-Kollaps-tauglich sind. Das hat etwas mit dem Prinzip der Verantwortung zu tun. Suffizienz ist meines Erachtens keine Frage der Begrenzung, sondern eine Frage der Aufklärung.

L: Ich möchte, dass wir mit Optimismus statt Alarmismus in die Zukunft gehen. Mit Freude, nicht mit Drohungen und apokalyptischen Szenarien. Können wir nicht eine Weiterentwicklung dessen anstreben, was wir haben? Mit einem Denken in weiteren Zügen?

Herr Paech, was sagen Sie den Indern und Chinesen, die sich gerade aus der Armut schuften?

P: Asien braucht gute Vorbilder, etwa eine fröhliche, demokratische und freie Postwachstumsökonomie in Europa, die man übernehmen kann — aber nicht muss. Ich sag’s noch mal: Das sogenannte Erfolgsmodell Asien wird ins Chaos führen. Die Chinesen sind schon jetzt nicht mehr in der Lage, ihr Wirtschaftsmodell aufrechtzuerhalten, ohne Afrika zu plündern.

Herr Paech, Sie haben vorhin Herrn Lotter Religiosität vorgeworfen. Wenn man sich die Rednerlisten von Postwachstumskonferenzen anschaut, vermisst man die Kritiker. Zuletzt in Leipzig trat kein einziger auf. Ist das nicht eine Postwachstumssekte?

P: Nein. Unter den Postwachstumstheoretikern gibt es ein Hauen und Stechen. Beispielsweise zwischen den eher marxistischen Denkern und den eher konservativen, zu denen ich mich zähle. Bis auf ein paar Freaks aus dem Bereich der Tiefen­ökologie oder dem Dragon Dreaming geht es beim Postwachstum um eine Gegentheorie zur religiösen Wachstumsverklärung. Bei der Suffizienz geht es um Befreiung vom Wachstumszwang.

Und wenn es stimmt, dass auch menschliche Ressourcen verschleissen, wenn uns also die Fortschritte, die Herr Lotter preist, letztlich fertig machen, weil wir nicht mehr können vor Reiz­ überflutung und Stress, dann geht es doch bei der Suffizienz um die Rückkehr zur Überschaubarkeit, zu einem besseren und verträglicheren Leben. Wir haben einen Punkt erreicht, bei dem das vormals Rückschrittliche, Einfachere das revolutionär Fortschrittlichere ist.

L: Das halte ich für eine religiöse Verklärung der eigenen Gesinnung. Mit weniger Wohlstand werden wir es nicht schaffen, mehr Menschen versorgen zu können. Und zu den Umweltproblemen: Es gibt mittlerweile Hardliner wie Chandran Nair, den einflussreichen indisch-chinesischen Umweltlobbyisten, die sagen, China könne seine Umweltprobleme nur mit einer Verschärfung der Diktatur lösen. So was macht mir Sorgen.

P: Herr Lotter, jetzt widersprechen Sie sich. Die Chinesen haben sich doch genau wegen der von Ihnen befürworteten Entwicklungen in diese Sackgasse befördert!

L: Wer sagt Ihnen denn, dass beispielsweise die Parteiführung in China genau Ihre Argumente nicht einfach nutzt, um die eigene Macht zu vergrössern? Sie liefern ja die besten Argumente dafür …

P: Es ist doch lächerlich, wenn man aus purer Angst vor Regulierung jetzt einen Laissez-faire-Kapitalismus fordert. Jedes Kind versteht, dass auf einem endlichen Planeten nicht immer noch mehr möglich ist. Und eine Bemerkung zu Ihren lebensverlängernden Entwicklungen durch den Fortschritt in der Landwirtschaft: Gesundheit kann mit besserem Essen und mehr Bewegung effektiver hergestellt werden als durch ständig höhere Produktivität.

L: Ich sage ja nicht, dass Wachstum problemfrei sei, aber wir brauchen mehr. Mehr Wissen, wie man Bedürfnisse befriedigen kann, ohne an die physischen Grenzen zu geraten.

Wolf Lotter (1962) war ursprünglich Buchhändler und Historiker. Als Journalist gehörte er zu den Mitbegründern des Wirtschaftsmagazins «brand eins», für das er nach wie vor Essays verfasst. Zu seinen Kernthemen gehört der Übergang von der Industrie- zur Wissensgesellschaft. Sein Buch «Verschwendung — Wirtschaft braucht Überfluss» befasst sich mit «den guten Seiten» des Verschwendens.

Niko Paech (1960) gilt als Deutschlands bekanntester Wachstumskritiker. Der Volkswirtschafter und Professor an der Universität Oldenburg ist mit seinem Buch «Befreiung vom Überfluss» bekannt geworden. Paech lebt, was er selber fordert. Er sagt, er sei erst einmal in einem Flugzeug gesessen und tausche selber Dinge auf dem Oldenburger Verschenkmarkt, den er als Beauftragter der Stadt mit initiiert hat.