Dschungel in HD: Unser Kolumnist auf Safari durch die TV-Kanäle.

Drastik jeder Prägung drückte man mir aufs Auge, ein Sammelsurium des Abwegigsten, und in alles war die gleiche unterschwellige Botschaft verpackt: Pass auf, Mensch, die Welt ist tückisch, brutal und vernichtend in den paar Gegenden, die noch naturbelassen sind. Zwei Wochen lang sah ich mich auf Feldforschung vor der Glotze mit beisswütigen Schlangen, tückischen Haien und gigantischen Schwärmen von Killerbienen konfrontiert, einem Bestiarium des Schreckens, zu dem mir Kommentatoren jeden Negativ-Superlativ lieferten. Programmiert war unter anderem auch Semiwissenschaftliches über «Fluss-Monster», über Riesenwelse «mit mörderischem Ruf», in der eine Liste verdeutlichte, wie viele Leichenteile man durch die Jahrhunderte in den «oft als Menschenfresser dargestellten» Tieren gefunden haben will. Im Gruseldrama «They Nest» futterten Myriaden von afrikanischen Kakerlaken ganze Dorfbevölkerungen und im nur leicht seriöseren Dokfilm «Horror auf acht Beinen» erfuhr ich nicht viel mehr als dass die australische Sydney-Trichternetzspinne einem in 15 Minuten den Garaus macht. Eltern, die ihre Kinder nur schon wegen Fuchsbandwürmern und Zecken nicht mehr ins Freie lassen, würden nach dieser geballten Ladung Tod und Verderbnis zusammenbrechen.

© Manu Hophan

Inszenierte Gefahren

Der urbanisierte Mensch redet zwar von seinem «Stadtdschungel», aber wie die Natur wirklich sein kann, «davon hat er immer weniger Ahnung», sagt der deutsche Natursoziologe Rainer Brämer. Eine Mitschuld daran trägt für ihn durchaus das Fernsehen, welches «die Realität versimpelt und die Wahrnehmungsfähigkeit verkümmern lässt». Lange Zeit habe auf vielen Sendern das «Bambi-Syndrom» grassiert, das zu niedlichen bis kitschigen Betrachtungen von Pflanzen, Tieren und Landschaften führte, und heute setze man eben auf den schnellen Kick, auf brachiale Dramatik. «Eine differenzierte Wahrnehmung der Umwelt scheint es kaum mehr zu geben.» Nicht zuletzt deshalb, weil die Lust auf eigene Streifzüge abnimmt. «Im Convenience-Zeitalter muss alles bequem erfahrbar sein. Und mittlerweile lässt sich ja fast jedes Bedürfnis elektronisch abdecken.»

Die Frage ist bloss: Sind inszenierte Gefahren ein Bedürfnis? Ein Marginalsender wie DMax, der sich grossspurig «Factual Entertainment Channel for Men» nennt, scheint davon überzeugt zu sein. Die Macher lassen Bear Grylls, einst Mitglied einer britischen militärischen Spezialeinheit, wie irr und «Ausgesetzt in der Wildnis» in Alaska herumhecheln, wo er sich nach einer Lawine, mächtig Eisregen und einem Schneesturm mit Zitaten wie «Drei tödliche Gefahren habe ich schon überlebt» brüsten darf. Mitunter hält er sein blutig geschundenes Gesicht vor die Kamera und liefert den Merksatz: «In der Natur hat man nie alles unter Kontrolle.» Auf Pro7 zeigt man die Maschinen der «Ice Pilots» vorzugsweise in Blizzards und mit dem Hinweis: «Der schlimmste Alptraum wird fast zur Realität.» Und der Sender N24 versucht mit reisserischen Drehs wie «SOS! Todesangst auf hoher See» Wellen von archaischen Ängsten zu bewirken. Beim normalerweise dezenten Anbieter Arte schliesslich bringt ein Vulkan wie der Masaya in Nicaragua «immer Tod und Verwüstung», weil er «eine ungeheure Zerstörungskraft hat».

Den Kindern die Natur näherbringen

Überdrehte Action, als Naturkunde ausgegeben — das kennt man seit dem tolldreisten Australier Steve Irvin, der in der Dok-Reihe «The Crocodile Hunter» mit giftigen Ottern spielte, mit seinem Kind auf dem Arm absichtlich Krokodile in Rage brachte und schliesslich vom Stachel eines Mantas tödlich ins Herz getroffen wurde. Jedermann weiss seither, was einen umbringt in exotischer Natur, aber kaum ein Kind weiss umfassend, was in seiner Nähe kreucht und fleucht. Eine Organisation wie SchuB (Schule auf dem Bauernhof) muss Knirpsen deshalb beibringen, dass Hühner kein Fell, sondern Federn haben, und der Natursoziologe Brämer stellt fest, dass Schüler die Frage nach einer typischen Entenfarbe erschreckend oft mit «Gelb» beantworten.

Mitunter, weiss der Zürcher Ethnologe und Psychoanalytiker Mario Erdheim, haben selbst kluge Köpfe ein krudes Naturverständnis: «Der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno etwa dachte, Volksstämme in der Wildnis müssten in ständiger Angst leben. Ich vermute aber, dass sein Bammel, in Frankfurt eine Strasse zu überqueren, viel grösser war.»