Hashima ist eine von 505 unbewohnten Inseln der japanischen Präfektur Nagasaki. Fünf Kilometer trennen sie vom Festland. Der unwirtliche Felsen im ostchinesischen Meer blieb über Jahrtausende unberührt. Dann, um 1890, sicherte sich der Mitsubishi-Konzern die Rechte an der Insel, nachdem unter dem Meeresboden ein Kohlevorkommen entdeckt worden war.

Zum Schutz vor Stürmen wurde eine massive Betonmauer um das Eiland gezogen, das nur 6,3 Hektaren misst, was der Fläche von neun Fussballfeldern entspricht. Arbeiter begannen bis zu 1100 Meter tiefe Schächte zu graben. So wurde aus Hashima kurz nach der Jahrhundertwende Gunkanjima, die Kriegsschiff-Insel, wie sie fortan wegen ihres Steinwalls genannt wurde.

Zu Spitzenzeiten förderte Mitsubishi jährlich 410 000 Tonnen «Black Diamond», hochwertige Kohle. Die Kriege gegen China (1894) und Russland (1904) und später der Zweite Weltkrieg heizten die Nachfrage nach Kohle an. Mitsubishi baute die Mine fortlaufend aus, bis 1959 über 5000 Arbeiter mit ihren Familien auf der Insel lebten: Eine Stadt mit dreissig mehrstöckigen Beton-Zweckbauten überzog den gesamten bewohnbaren Teil. Gunkanjima hatte mit 1391 Menschen pro Hektare eine der höchsten Bevölkerungsdichten, die jemals gemessen wurden. Die Arbeitsbedingungen waren brutal: 1300 Arbeiter starben durch Unfälle in den Schächten, wegen Krankheiten, Überanstrengung oder Mangelernährung. Etliche ertranken beim Versuch, ans Festland zu schwimmen. Die Bewohner nannten die Stadt trotzdem Furusato (Heimatdorf ).

Es gab eine Primarschule, ein Gymnasium, Polizisten, eine Post, Spielplätze, ein Kino, Bars, Restaurants und ein Bordell.

Das wahre Drama der Insel begann Ende der 60er Jahre. Nicht ein Zyklon, ein Erdbeben oder die 1945 über Nagasaki abgeworfene Atombombe «Fat Man» beendete das Leben auf der Insel, sondern eine ökonomische Umwälzung: Erdöl löste Kohle als Energieträger ab — und Gunkanjima hatte für Mitsubishi keine Bedeutung mehr. Eine ganze Stadtgemeinschaft, durch Enge und Abgeschiedenheit zusammengeschweisst, wurde mit einem Schlag auseinandergerissen und in Fabriken über ganz Japan verteilt. Am 20. April 1974 stiegen die letzten Bewohner auf die Fähre Richtung Nagasaki.

Seither wird aus der Kriegsschiff-Insel langsam wieder Hashima. Das Meersalz zerfrisst Betonmauern und Metallträger, zurückgelassene Reiskocher, Modelleisenbahnen und Coiffeursessel. Stürme reissen an der Festungsmauer, Bambusbüsche überwuchern Dächer und zerfallende Treppen. Die Geisterstadt vermittelt eine Vorahnung dessen, wie unsere Welt einmal aussehen könnte, wenn die letzten Ölfelder leergepumpt, die letzten Gasadern gefrackt und die letzten Uranvorkommen gefördert und verstrahlt sind.

Die Arbeiter von Gunkanjima wurden mit der Botschaft «Mit Black Diamond zu einem glücklichen Leben» angelockt. Die Arbeiter der Region Fukushima wurden mit dem Slogan «Nuklearenergie, die Quelle für eine glänzende Zukunft» empfangen. Die Kraft des Urans machte aus dem Fischerdorf Futaba eine pulsierende Küstenstadt. Seit dem Super-GAU liegt sie — wie Gunkanjima — verlassen, still und dunkel da. Sie ist zu einer neuen Wildnis geworden, unzugänglichfür die Menschen und für Jahrzehnte verloren.

Autor: Samuel Schlaefli ist ein Schweizer Journalist und Dokumentarfilmproduzent. Er schreibt seit 2006 für deutsch- und englischsprachige Tageszeitungen, Onlinemedien und Magazine. Dabei hat er sich auf die Themen Umwelt, Nachhaltigkeit, Urbanisierung, Globalisierung und sozialer Wandel spezialisiert.