Sportartikel und Outdoor-Kleider belasten die Umwelt. Ihre Herstellung trägt zur Zerstörung desjenigen Naturerlebnisses bei, welches die Industrie ihren Kunden verspricht. Viele Produzenten haben das realisiert. Mit natürlichen und wiederverwertbaren Materialien wollen sie den ökologischen Fussabdruck ihrer Produkte verringern.

Allein in Frankreich werden jährlich 1500 Tonnen Ski und Snowboards weggeworfen. Wertvolle Ressourcen — darunter Holz, Stahl, Fiberglas, erdölbasierte Kunststoffe und toxische Lacke —, die mit viel Energieaufwand zu Sportartikeln zusammengebaut wurden, landen im Sperrmüll und werden in Kehrichtverbrennungsanlagen verbrannt. «Was wir tun können, um die Umwelt so wenig wie möglich zu belasten, ist, Produkte herzustellen, die funktional, schön, einfach und haltbar sind», sagte einst Yvon Chouinard, Gründer des amerikanischen Outdoor-Riesen Patagonia und so etwas wie das grüne Gewissen der Branche: Produkte also, die nicht nach einer Saison bereits wieder kaputt oder out sind, sondern die man bestenfalls ein Leben lang behält.

Zum Beispiel ein Radical-Snowboard: Seit 1984 produziert das neunköpfige Kleinunternehmen in Wollishofen 450 Snowboards pro Jahr — alles in Handarbeit, vorwiegend aus Schweizer Pappeln, Eschen und Buchen. «Unsere Bretter leiern nicht schon nach drei Jahren aus», sagt Mark Farner, der Patron der Manufaktur. Er gewährt seinen Kunden lebenslange Garantie auf den Flex und den Vorspann des Bretts. Zusätzlich zur robusten Bauweise verwendet er einen extraharten Grafit-Laufbelag. Bei «Custom made»-Boards, 2500-fränkigen, speziell nach Kundenwünschen gefertigten Brettern, erneuert Farner zudem die Kanten und den Belag, wenn sie bis aufs Holz abgefahren sind. «Ich habe Kunden, die haben ihr Brett schon zweimal erneuert und fahren es seit über zwanzig Jahren», erzählt er stolz. Was Farner will, sind Qualität und Langlebigkeit.

Eine Szene sieht grün

«Heute wird Nachhaltigkeit selbst in Managements prioritär behandelt»Andere Snowboardproduzenten haben sich mittlerweile voll und ganz der Nachhaltigkeit verschrieben. So zum Beispiel das amerikanische Unternehmen Niche, das seine Bretter unter dem Motto «Eco-friendly Snowboards» anpreist. «Wir haben irgendwann gemerkt, dass die traditionelle Snowboardproduktion ziemlich giftig ist», sagt Dustin Morell, einer der Gründer von Niche. «In einem Sport, der vollkommen von der Umwelt abhängig ist, müssen wir bessere Lösungen finden.» Sein Team begann zu tüfteln, um den Snowboardbau von Negativeinwirkungen auf die Umwelt möglichst zu entrümpeln. Zusammen mit einem Leimproduzenten hat Niche eine biologische Alternative zu klassischen, erdölbasierten Epoxidharzen entwickelt. Herausgekommen ist ein Leim, der zur Hälfte aus erneuerbaren Abfallstoffen der Papier- und Biotreibstoff-Produktion hergestellt wird. Anstelle von Fiberglas, das gemeinhin für eine gute Spannung des Bretts sorgt, werden einfach wiederverwertbare Basaltderivate eingesetzt. Anstatt Karbon für die Längsversteifung nutzt Niche gepressten Hanf. Sämtliche Hölzer stammen aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und die Kanten sind mehrheitlich aus wiederverwertetem Stahl. «Die Nachfrage nach unseren Boards steigt, denn unsere Kunden wissen heute in Umweltthemen viel besser Bescheid», sagt Morell. Das haben auch die Grossen gemerkt: Burton, der weltweit grösste Snowboardhersteller, baut heute ein Modell mit FSC-zertifiziertem Holzkern, ohne giftige Lacke und mit Kanten aus 90 Prozent Recyclingstahl.

Raus in die Natur — aber nachhaltig

Die «öko-freundliche» Snowboardherstellung ist die jüngste Inkarnation eines Megatrends im Outdoor-Bereich. Wer heute eine Allwetterjacke oder ein Thermoshirt kauft, kommt um das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr herum. Und wer schon einmal im 2012 eröffneten Transa Flagship Store neben dem Zürcher Hauptbahnhof war — eine Art Fabrikhalle gefüllt mit Outdoor-Bekleidung und Sportartikeln —, weiss auch: Die Branche boomt. Transa hat heute 270 Mitarbeiter, der Umsatz ist in den letzten zwei Jahren von 36 auf 56 Millionen Franken gestiegen. Laut dem Branchenverband European Outdoor Group beträgt der mit Outdoor-Produkten erwirtschaftete Umsatz auf Einzelhandelsebene allein in Europa 10 Milliarden Euro (ohne Ski, Snowboards und Bikes).

Die boomende Outdoor-Branche ist ein Paradox: Sie verkauft sich über ein ungetrübtes Naturerlebnis, trägt jedoch mit ihrem Energiebedarf für die Produktion, mit Abfällen, CO2-Emissionen sowie giftigen und schwer abbaubaren Chemikalien selbst zu dessen Zerstörung bei. Die meisten Hersteller haben das mittlerweile erkannt. Es gibt praktisch keine Website mehr ohne weitreichende Informationen zu den Themen Nachhaltigkeit und Corporate Social Responsibility — Themen, für die in vielen Unternehmen zurzeit eigene Stellen geschaffen werden. Jürg Buschor, Kenner der Outdoor-Branche und Herausgeber der Zeitschrift «Outdoor Guide», stellt seit etwa fünf Jahren ein Umdenken fest: «Früher war Nachhaltigkeit bei Outdoor-Marken meist in den Marketingabteilungen angesiedelt, wo man sich mit kleinen Pseudoaktionen zufrieden gab.» Heute sei das Thema vielfach im Management angesiedelt und werde prioritär behandelt.

«Für Snowboards verwendet die Firma Niche gepressten Hanf statt Karbon.»Mit gutem Grund, denn die Umwelt ist zu einem entscheidenden Verkaufsargument geworden. Letztes Jahr meldete die grösste Sportartikel-Messe ISPO in München, dass sie ihre Ausstellungsfläche für soziale und ökologische Initiativen wegen unerwartet hoher Nachfrage kurzerhand verdoppeln wird. Laut einem Bericht der Bank J. Safra Sarasin zur Nachhaltigkeit von Sportartikelfirmen von 2012 ist der Markt für sogenannt grüne oder ethische Produkte in den letzten Jahren stark gewachsen. Der Transa-Nachhaltigkeitsbeauftragte Simon Schwarz bestätigt dies: «Outdoor-Kunden sind gemeinhin sensibler als Fashion-Kunden, was die nachhaltige Produktion angeht.» Gut informierte Käufer sprechen die Berater in den Transa-Geschäften vermehrt auf ökologische, soziale und ethische Kriterien der Produkte an. Dazu beigetragen haben sicher auch Sensibilisierungskampagnen von NGOs und Konsumentenorganisationen. Auf Websites wie rankabrand.com oder wegreen.de können Konsumenten heute Outdoor-Marken mit wenig Aufwand vergleichen und erfahren, was Unternehmen punkto Nachhaltigkeit leisten. Für ihre Ranglisten stützen sich die Betreiber solcher Plattformen meist auf im Internet verfügbare Informationen wie zum Beispiel Nachhaltigkeitsberichte. Das kann auch zu Verzerrungen führen. Denn wer besser kommuniziert, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit auch besser bewertet.

Vom Kopfweh zur Bio-Baumwolle

Ein regelmässiger Anführer solcher Listen — und ein Pionier, was das Engagement für Umweltanliegen angeht — ist das amerikanische Outdoor-Unternehmen Patagonia. Wie kein anderes geniesst es Glaubwürdigkeit in der Branche. Gründer Yvon Chouinard ist ein international bekannter Bigwall-Kletterer, der in den 50er und 60er Jahren mit seinen Touren im Yosemite-Nationalpark auf sich aufmerksam machte. Aus seiner kleinen Kletterhaken-Manufaktur wurde eines der weltweit grössten Outdoor-Unternehmen. 1900 Mitarbeiter erwirtschafteten im letzten Jahr einen Umsatz von 575 Millionen US-Dollar. Chouinard hat sich früher als die meisten Unternehmer für Umweltfragen interessiert. Patagonia hat denn auch seine Produktion bereits 1996 auf Bio-Baumwolle umgestellt, zu einer Zeit als biologischer Anbau noch etwas für Reformhäusler war und erst vereinzelt auf der Agenda von NGOs auftauchte. Laut der offiziellen Firmengeschichte war die damalige Einführung eine direkte Konsequenz von eigenen negativen Erfahrungen mit der Toxizität herkömmlich produzierter Baumwolle. Angestellte in einem Patagonia-Geschäft in Boston hatten sich über regelmässige Kopfschmerzen beklagt. Nach technischen Abklärungen zeigte sich, dass die Ursache dafür Formaldehyddämpfe der im Keller gelagerten Baumwolle waren. Daraufhin gab das Unternehmen eine Untersuchung über den konventionellen Baumwollanbau in Auftrag und erfuhr erstmals, welchen Schaden die dabei eingesetzten Pestizide anrichten. Ein Stein geriet ins Rollen.

«Produkte schaffen, die man bestenfalls ein Leben lang behält.»Patagonia gehörte in den 90er Jahren auch zu den Ersten, die Fleece aus wiederverwertetem Polyester in die Produktionslinie aufnahmen. Laut eigenen Angaben wurden so in den letzten Jahren 92 Millionen Plastikflaschen wiederverwertet. Ausgetragene Fleece-Kleider werden heute zudem von Patagonia-Händlern zurückgenommen. Ein Partnerunternehmen übernimmt das Recycling und stellt daraus wiederum Polyesterfäden her. Im Gegensatz zur konventionellen Fleece-Herstellung werden so rund 70 Prozent an Energie und CO2-Emissionen eingespart.

Das Fluorproblem

Heute ist Patagonia mit seinem Umweltengagement längst nicht mehr allein. Zahlreiche Outdoor-Produzenten haben mittlerweile auf biologisch hergestellte oder wiederverwertbare Materialien umgestellt. Ein Problem, an dem sich derzeit jedoch die gesamte Branche die Zähne ausbeisst, sind die toxischen und in der Natur nicht abbaubaren Fluorverbindungen. Vor allem Hardshell-Jacken werden damit zugunsten eines besseren Schmutz-, Öl- und Wasserschutzes imprägniert. Patagonia und andere Outdoor-Produzenten haben zwar angekündigt, dass die bioakkumulative Perfluoroktansäure (PFOA) bis 2015 aus der Produktionskette entfernt werden soll, doch auf andere Fluorverbindungen will man kurzfristig wegen zu grosser Funktionalitäts-einbussen nicht verzichten. Doch bereits bestehen Alternativen zu Fluorverbindungen: Der kleine, auf Bergsport spezialisierte Outdoor-Produzent R’ADYS aus Nidau stellt als Erster der Branche seine gesamte Sommerkollektion 2014 auf eine fluorfreie Imprägnierung um. Die dafür genutzte Technologie Barrier Eco wurde vom Schweizer Textilausrüster HeiQ entwickelt. Sie beruht auf stark verzweigten Polymeren und ist komplett fluorfrei. Ein Jahr Vorlaufzeit reichte für die Umstellung der Produktion und die Produktpreise sind dadurch nur minimal gestiegen. Tests haben gezeigt, dass die fluorfreie Wasserabweisung mit herkömmlichen Imprägnierungen durchaus vergleichbar ist, sagt R’ADYS-CEO Adrian Ruhstaller. «Funktionelle Einbussen mussten wir einzig bei der Ölabweisung hinnehmen. Doch die ist für unser Einsatzgebiet und unsere Kundschaft nicht zentral.» Damit spricht Ruhstaller ein wichtiges Problem der Outdoor-Industrie an, das Experten «Overengineering» nennen:

«Mit Outdoor-Produkten werden in Europa 10 Milliarden Euro umgesetzt»Wieso braucht jemand für den abendlichen Hundespaziergang eine Membrane, die komplett ölabweisend ist und deren wasser- und windabweisende Eigenschaften für eine Himalaja-Exkursion ausgelegt sind? Besteht der gewöhnliche Outdoor-Kunde tatsächlich auf solch extremer Funktionalität oder wäre er bereit, zugunsten von ökologischen Überlegungen geringfügige Einbussen hinzunehmen? Am Ende liegt es in der Macht des einzelnen Konsumenten, der Industrie mit seinem Kaufentscheid eine Antwort auf diese Fragen zu geben.

Autor: Samuel Schlaefli ist ein Schweizer Journalist und Dokumentarfilmproduzent. Er schreibt seit 2006 für deutsch- und englischsprachige Tageszeitungen, Onlinemedien und Magazine. Dabei hat er sich auf die Themen Umwelt, Nachhaltigkeit, Urbanisierung, Globalisierung und sozialer Wandel spezialisiert.