Weltkonzerne zerstören die letzten europäischen Urwälder für Möbel und kurzlebige Verpackungen. Greenpeace-Büros in ganz Europa deckten in monatelanger Recherche auf, wer den Lebensraum unzähliger Tierarten zugrunde richtet.


Schauplatz rumänisches Făgăraș-Gebirge, es ist sechs Uhr Früh. Eine Gruppe von Greenpeace-Waldexpert:innen aus Rumänien, Deutschland und Polen verlässt mit ein paar Journalist:innen frühmorgens Brașov. Der rumänische Kampaigner Ciprian Galusca verteilt Bärenschreck-Sprays und gibt Tipps für den Fall einer Bärenbegegnung. Wenige Stunden später wissen wir, warum das wichtig ist.

Unser Ziel ist eine Rodungsstelle tief im Wald, die das rumänische Rechercheteam in achtmonatiger Arbeit mit Möbeln von Ikea in Verbindung bringen konnte. Der Weg dorthin ist unwegsam und steil. Es gibt keine Forststraße. Wir nutzen Schneisen, die schwere Arbeitsmaschinen in den Wald geschlagen haben. Mühsam queren wir Bäche, bis wir an einem Steilhang mit Kahlschlag ankommen. Ciprian Galusca macht uns auf frische Bärenspuren aufmerksam und erzählt: «Die Wälder der Karpaten beheimaten die größte Braunbären-Population auf dem europäischen Kontinent außerhalb Russlands. Auch Luchse und Wölfe wohnen in der Bergkette, die sich über neun Länder erstreckt.» Mir gruselt es weniger vor Bären als davor, dass jahrhundertealte Wälder wie diese als Kleiderbügel, Kartonboxen oder Brennholz enden. Überall liegen riesige frisch gefällte Baumstümpfe, deren Durchmesser auf ihr hohes Alter schließen lassen.

Kahlschlag. Greenpeace hat das gefällte Holz im Rahmen einer geheimen Recherche bis zu den Auftraggebern verfolgt. © Cristian Grecu / Greenpeace

Ciprian Galusca erklärt, wie wichtig die Wälder auch im Kampf gegen Hitze und Extremwetter sind. Natürliche Wälder mit humusreichen, lockeren Böden tragen zum Wasserrückhalt bei und schützen so vor Überschwemmungen. Sie sichern unsere Trinkwasserversorgung, weil Regen hier besser in tiefere Erdschichten sickern kann und das Grundwasser speist. Sie fungieren als natürliche Klimaanlage bei extremer Hitze. Während wir zwischen Baumriesen den Kahlschlag dokumentieren, frage ich mich: Wie kann es sein, dass Gesetze und Behörden mitten in Europa den Wald so unzureichend schützen?

Naturschutzmeister Europa?

Europa präsentiert sich oft als Musterschüler im Naturschutz. Doch obwohl uns Hitzewellen und Fluten überrollen, bewahrt Europa artenreiche alte Wälder viel zu wenig als natürlichen Katastrophenschutz. Bei der Suche nach den Konzernen hinter der Zerstörung sind wir auf große Namen gestoßen: Ikea, aber auch Amazon, Zalando und HelloFresh. In ihren Produkten oder der Verpackung derselben findet man Holz aus den lebensnotwendigen europäischen Wäldern.

Um das zu beweisen, haben Greenpeace-Aktivist:innen über Landesgrenzen hinweg zusammengearbeitet. Wir haben im Wald GPS-Tracker in gefällten Bäumen platziert, um ihren Weg vom Ort der Zerstörung bis zur holzverarbeitenden Firma nachzuvollziehen. Unsere Expert:innen und Undercover-Aktivist:innen haben monatelang Lieferketten verfolgt, um bis ins Detail zu sehen, wo die Spuren hinführen. So konnten wir beweisen, dass die Produzenten von mehr als 30 Ikea-Produkten, etwa Ingolf-Stühle und Sniglar-Babybetten, in artenreichen alten Wäldern Bäume umschneiden. Dass das alles legal, mitunter sogar in Natura2000-Schutzgebieten passiert, ist umso schockierender.

Wenn aus der Heimat von Braunbären Möbelstücke für Ikea werden, dann bleibt Greenpeace nicht tatenlos. Das konsequente Aufdecken von Missständen ist der erste Schritt zur Veränderung. © Barbora Sommers / Greenpeace

Onlineshopping-Wahn als Waldzerstörer

Auch in Schweden, einem vermeintlichen Paradebeispiel an nachhaltiger Waldnutzung, wird unser Greenpeace-Team fündig. Zellstoffwerke, die Paketverpackungen für bekannte Marken im Onlinehandel herstellen, zerstören artenreiche Ökosysteme und verletzen dabei die Rechte der indigenen Sami. Neue Kinderschuhe, Jeans in der richtigen Größe, ein Geschenk für die Tante – die meisten kaufen mal online ein. Aber während wir beginnen, über die Waren und deren Produktionsbedingungen nachzudenken, hinterfragt die Herkunft der unglaublichen Mengen an Verpackungsmaterial kaum jemand. Im Fall der schwedischen Recherchen waren es an die hundert Firmen, die ihre Verpackungen von Produzenten bezogen, die Greenpeace eindeutig mit der Zerstörung schwedischer Urwälder verbinden konnte.

Konsument:innen werden ungewollt und unwissentlich Mittäter:innen bei der Naturzerstörung, weil starke Gesetze fehlen. Politiker:innen erlauben den Konzernen, die Natur für ihren Profit auszubeuten. Greenpeace kämpft daher für politische Maßnahmen. Einen Erfolg hat Greenpeace mit dem EU-Waldschutzgesetz erzielt: Es soll ab 2025 gelten und den Handel mit einigen Produkten aus Waldzerstörung in Europa verbieten.

Doch viele Konzerne und die in ihrer Gunst stehenden Politiker:innen versuchen alles in ihrer Macht Stehende, um das Gesetz noch aufzuhalten oder abzuschwächen. Greenpeace kämpft weiter: Wir setzen uns dafür ein, dass mindestens 30 Prozent der Natur in Europa nachhaltig geschützt und wiederhergestellt werden. Denn nur so bleibt der Lebensraum vieler Tierarten erhalten und Europa widerstandsfähig gegen die Klimakrise.

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