An der Südküste Portugals steht die Seepferdchenpopulation vor dem Aus. Doch Forscher:innen und Polizei, Umweltorganisationen und Politik, Schulen und Fischer:innen wollen die Tiere retten. Eine Reportage aus der Ria Formosa.

Der Raum, in dem Jorge Palma und sein Team versuchen, die einst dichteste Seepferdchenpopulation der Welt zu retten, ist klein, kühl und dunkel. Neonröhrenlicht. Salzwassergeruch. Brummende Wasserpumpen. Vor dem 53-jährigen Meeresbiologen stehen drei Aquarien, darin gut zwei Dutzend Seepferdchen. Wie Neugeborene, die nach den Händen ihrer Eltern greifen, schlingen sie ihre filigranen Schwänze um grüne – und auch blaue – Seegrasbüschel, die sanft im Wasser hin- und herwabern.

Dieses blaue Seegras ist der womöglich aussichtslose Versuch des Menschen, das zu retten, was er seit Jahrzehnten mutwillig zerstört.

2001 fand die kanadische Forscherin Janelle Curtis heraus, dass in der Ria Formosa, einem weit verzweigten Lagunensystem an der Südküste Portugals, zwischen 1,5 und zwei Millionen Tiere des Kurzschnäuzigen und Langschnäuzigen Seepferdchens leben. Nirgendwo sonst auf der Welt wurde bislang eine größere Population entdeckt. Heute stehen diese Bestände vor dem Aus. Forscher:innen und Polizei, Umweltorganisationen und Politik, Schulen und Fischer:innen versuchen, die Tiere zu retten. Ihr Kampf gilt jahrhundertealten Traditionen, dem Opportunismus der eigenen Bevölkerung, dem illegalen Wildtierhandel nach Asien sowie dem Personalmangel portugiesischer Behörden. Und Kritik aus den eigenen Reihen.

Erstmals entdeckt wurde der massive Rückgang der beiden Populationen 2008. Innerhalb von nur sieben Jahren schrumpfte der Bestand des Kurzschnäuzigen Seepferdchens um 73 Prozent. Der des Langschnäuzigen sogar um 94 Prozent. Vielleicht nicht mehr als eine natürliche Fluktuation? Das vermuteten anfangs auch die Forscher:innen. Inzwischen ist klar: Nicht die Natur, sondern der Mensch bedroht die Seepferdchen.

Die Ria Formosa an der portugiesischen Südküste. © João Rodrigues

Seepferdchen haben viele Feinde

Mit Gummistiefeln und Watthose watet Meeresbiologe Palma vorsichtig durchs einen der drei Teiche rund um die Universitätsforschungsstation Ramalhete. Im 19. Jahrhundert als Anlaufstelle für die Thunfisch-Fischerei gebaut, wird hier seit 2006, mitten in der Lagune zwischen dem Flughafen von Faro und der Atlantikküste, zu Seepferdchen geforscht. Palma ist seit über 15 Jahren fast täglich hier. Prüft, koordiniert, analysiert. Weist Forscher:innen ein, schreibt Projektanträge. Und beteiligt sich an der praktischen Feldarbeit. Die Ärmel seines dunklen Pullis hochgekrempelt, greift er immer wieder ins Wasser und erntet gut ein Dutzend Seegrasbüschel. Stets darauf bedacht, die feinen Wurzeln nicht zu beschädigen. Denn gleich bekommt das Gras eine neue Heimat.

Das Forscherteam experimentiert derzeit mit verschiedenen Habitaten für die Seepferdchen. Mal viel, mal wenig Seegras, an denen sich die Knochenfische festhalten können. Ein Aquarium wird mit der frischen Ernte aus dem Teich bestückt. In den anderen Aquarien sind auch blaue Büschel angebracht. Kein echtes Seegras, sondern dünne Nylonseile. «Der Verlust der Seepferdchen in der Ria Formosa hat viele Gründe: Klimawandel, Tourismus, Lärmbelästigung, die gezielte Jagd auf die Tiere. Den weitaus größten Einfluss aber hat die Zerstörung des Lebensraums. Wir wollen herausfinden, wie wir diesen Lebensraum – allen voran die Seegraswiesen – möglichst schnell und naturgetreu wiederherstellen können.»

Die Versuche zeigen, dass Seepferdchen auch künstliche Habitate akzeptieren. Bislang wurden 100 Quadratmeter aus umweltverträglichem «Sisal-Seegras» in einem der beiden Meeresschutzgebiete installiert. 2022 soll diese Fläche verdoppelt werden, um langfristig ein möglichst großes Cluster aus «marinen Kinderstuben» zu schaffen, in denen sich Organismen aller Art gefahrlos entwickeln können, sagt Palma.

Seepferdchen halten sich in freier Natur gerne an Seegräsern fest. © João Rodrigues
Jorge Palma und sein Team versuchen, die Seepferdchenpopulation zu retten. © João Rodrigues

Vergangenen November wurden 60 in Aquarien gezüchtete Seepferdchen in die Lagune ausgewildert. Ein Novum in der Geschichte Portugals. Für Miguel Correia ist das jedoch der falsche Fokus. Correia arbeitete 15 Jahre gemeinsam mit Palma am Seepferdchenprojekt. 2021 wechselte er zum Forschungs- und Innovationszentrum Mare in Lissabon, verfolgt die Geschehnisse an der Algarve jedoch weiter. «Seepferdchen zu züchten ist extrem aufwändig, teuer und nur unter Optimalbedingungen erfolgversprechend. Das sollte das letzte Mittel der Wahl sein. Welchen Unterschied machen außerdem 60 Tiere in einer Population von knapp 100 000», fragt Correia. Er hätte es zielführender gefunden, das ohnehin knappe Forschungsgeld in die Lösung des dringendsten Problems zu investieren: die Bekämpfung der Fischerei mit Grundschleppnetzen in der Lagune. Außerdem solle man endlich Informationstafeln und Überwachungssysteme an den Meeresschutzgebieten installieren.

Über Kameras habe Palma nachgedacht. «Doch wer soll die permanent beobachten und vor Diebstahl und Vandalismus schützen? Das ist keine Aufgabe der Forscher:innen und der Polizei fehlt das Personal.» Das Zuchtprogramm verteidigt er. Sagt, man müsse wissen, ob sich die ausgesetzten Tiere in der Lagune ansiedeln. Dennoch will auch er den Fokus künftig stärker auf den Schutz und Erhalt des Habitats richten. Eigentlich auch eine Aufgabe der portugiesischen Umwelt- und Naturschutzbehörde ICNF. Von deren Algarve-Beauftragtem, Castelão Rodrigues, wollten wir wissen, was der ICNF zum Schutz der Seepferdchen unternimmt. Bis heute blieben unsere Anfragen unbeantwortet.

Die Polizei wird permanent beobachtet

Dunst hängt über der Lagune wie ein schweres, feuchtes Tuch. Es ist kurz vor Mitternacht. André Morais kneift die Augen zusammen, beugt sich ein Stück nach vorn. «Was ist das?», fragt der Kommandant der Marinepolizei seine Kolleg:innen. Er wartet keine Antwort ab. «Schaltet die Lichter aus.» Die Silhouette, die der 45-Jährige knapp 100 Meter vor sich sieht, ist in fast völliger Dunkelheit und gegen das Mondlicht kaum auszumachen. Ein kurzes Handzeichen von Morais, schon steuert sein Skipper näher an das Zielobjekt heran. Einzig das sonore Grollen der Motoren und seichtes Wellenplätschern durchbrechen die angespannte Stille.

Im schwarzen Wasser direkt vor dem Boot beginnt eines von zwei Meeresschutzgebieten vor der Südküste Portugals. 2020 in der Ria Formosa geschaffen, um die lokale Seepferdchen-Population vor dem Aussterben zu bewahren. Außer Umweltschützer:innen, der Polizei sowie Forscher:innen der Universität der Algarve darf sich niemand in diesen Sperrzonen aufhalten. Geschweige denn dort fischen. Trotzdem werden hier immer wieder Netze und Fallen ausgeworfen. Und mit ihnen die Hoffnung, von Morais und seinen Kollegen unentdeckt zu bleiben. Ansonsten drohen, je nach Vergehen, bis zu 37 500 Euro Strafe. Oder fünf Jahre Haft.

Während der Nacht können die Seepferdchen in der Ria Formosa nicht ruhen, denn dann wird illegal gefischt. © João Rodrigues

Mit Taschenlampen versuchen die Beamten zu erkennen, was vor ihnen auf der Wasseroberfläche treibt. Nach wenigen Augenblicken ist klar: keine Fischer, nur eine Boje. Die beiden Polizeiboote drehen ab. Die Beamten setzen ihre Patrouille in einem anderen Teil der Lagune fort. Aussichtslos, wie jede seiner Fahrten. Morais weiß das. Sogenannte Spotter:innen beobachten alle Bewegungen rund um das Polizeihauptquartier und zücken ihre Handys, sobald die Beamten ausrücken. Täuschungsmanöver, etwa mit zivilen statt Polizeifahrzeugen, bringen selten Erfolg. «Wir haben zu wenig Personal, um dauerhaft effektiv zu patrouillieren. Dennoch ist es wichtig, dass wir überhaupt rausfahren. Allein unsere Präsenz schreckt viele ab», sagt Morais, dessen kleine, muskulöse Statur sich in einer dicken Allwetterjacke vor der Kälte der Nacht zu schützen versucht.

Für den Kommandant ist jede vergebliche Suche auch eine erfolgreiche Suche.

Kurz vor zwei Uhr nachts, zurück im Hafen der Küstenstadt Olhão. Bis auf einige kleine Vergehen blieb es heute ruhig. Trotzdem weiß Morais, wie jeder hier in der Region, dass es sie gibt: Fischer:innen, die in der Lagune illegal nach Seezungen und Tintenfischen jagen. Nach Grundeln, Brassen und Aalen. Mit Grundschleppnetzen pflügen sie den Meeresboden wie Landwirt:innen ihre Felder. Töten dabei Seepferdchen, zerstören deren Lebensraum – und damit langfristig ganze Ökosysteme.

Entscheidend für deren Schutz sind die beiden 0,6 Quadratkilometer großen Meeresschutzgebiete in der Lagune. Es sind die ersten in ganz Portugal. Bei den Gesprächen über das Wo und Wie saßen auch zwei Vertreter der lokalen Fischergemeinde am runden Tisch. Ein Novum, denn bislang wurde die vor allem als Teil des Problems gesehen. Nicht als Teil der Lösung.

Verärgerte Fischer:innen

«Wir sind froh und stolz, dass wir in die Entscheidungsfindung involviert wurden. Schließlich kennt niemand die Ria Formosa und ihre Kanäle so gut wie wir», sagt Rui Conceição, während er in der Nachmittagssonne seine Netze repariert. Der 62-jährige arbeitet seit 47 Jahren als Fischer und zählt zu den angesehensten Persönlichkeiten auf Culatra, einer der Lagune vorgelagerten Insel. Mit seinem Freund und Kollegen Vítor Silvestre vertrat er die Interessen der Inselgemeinschaft. Es sei nicht einfach gewesen, hier alle von der Notwendigkeit der Schutzgebiete zu überzeugen, sagen beide. Schließlich lebten fast alle 1000 Einwohner:innen direkt oder indirekt vom Fischfang und müssten sehen, wie sie überleben könnten. Jede Sperrzone verringere das mögliche Einkommen – und vergrößere die Konkurrenz in den anderen Gebieten. Dennoch stehe Culatra nun geschlossen hinter der Entscheidung.

Rui Conceição und seine Fischerkolleg:innen haben Mühe mit der Behäbigkeit der portugiesischen Bürokratie. © João Rodrigues
Und Sílvia Padinha sorgt sich über die vielen Touristenboote. © João Rodrigues

Umso verärgerter sind Conceição und Silvestre über die behäbige portugiesische Bürokratie. «Es kann nicht sein, dass die Schutzgebiete nach zwei Jahren noch nicht durch Bojen markiert sind», sagt Silvestre. Der Blick in seinem faltigen, sonnengegerbten Gesicht verhärtet sich. Die muskulösen Hände gestikulieren vehement. Die Berufsfischer:innen würden sich an das Fangverbot halten. Doch immer wieder werde es von Hobbyfischer:innen ignoriert, die sich etwas dazuverdienen oder ihre Familie ernähren wollen. «Wenn wir diese Leute auf die Sperrzone hinweisen, sagen die nur: Tut uns leid, das wussten wir nicht. Hier sind ja keine Bojen. Das bestraft uns doppelt: Wir Berufsfischer dürfen nicht fischen und wer das Verbot ignoriert, findet nun viel bessere Fischgründe vor», sagt Silvestre. Das Risiko, von der Polizei kontrolliert zu werden, sei gering: «Die haben viel zu wenig Leute. Aber wenn dort nicht bald Bojen installiert werden, übernehmen wir das selbst.»

Auf Nachfrage versichert Meeresbiologe Jorge Palma, die Signalbojen würden innerhalb der nächsten Monate installiert. Bislang habe sich die Finanzierung, auch durch Covid-19, mehrfach verzögert.

Neben den illegalen Grundschleppnetzen verschärfen auch Tourist:innen die Lage für die Seepferdchen. Dutzende Boote und Yachten ankern gerade in den Sommermonaten täglich vor Culatra. Durch Strömung und Gezeiten pflügen die eisernen Ankerketten ähnlich zerstörerisch über den Meeresgrund wie die verbotenen Netze. Wenn die Boote ablegen, hinterlassen sie kreisrunde Felder der Verwüstung ohne jegliches Leben. «Das Hauptproblem ist, dass es keine festen Ankerplätze gibt. Die Leute ankern, wo sie wollen und so entstehen unzählige dieser toten Zonen. Doch das werden wir dieses Jahr ändern», sagt Sílvia Padinha. Die 56-Jährige ist die Bürgermeisterin der Inselgemeinschaft. In einem kleinen Hafencafé – weiße Plastikstühle, eisgekühlte Limonade und schrilles Möwengeschrei– erzählt sie von den Plänen. 57 feste Ankerplätze, deren Bojen womöglich aus Austernschalen bestehen, sollen bis Jahresende entstehen. Man müsse sich im Hafen anmelden und für das Anlegen bezahlen. Das Geld finanziert die energetische Sanierung viele Gebäude auf Culatra. Solarmodule und eine bessere Isolierung statt Asbestdächer und Einfachverglasung. Bis 2030 will Culatra die erste klimaneutrale Insel Europas werden.

Können Schulprojekte mehr erreichen als die Regierung?

Die Fischergemeinde von Culatra spielte nicht nur bei der Gründung der Meeresschutzgebiete eine Rolle. Mitte 2016 hören die beiden Wissenschaftler Palma und Correia, dass in Cafés und Bars über eine neue Einnahmequelle gesprochen wird: getrocknete Seepferdchen, die über Mittelsmänner illegal nach Asien gelangen. «Beweisen können wir das nicht, aber über diverse Ecken haben wir von diesen Verkäufen gehört», sagt Correia. Mehrere Fischer seien von Männern mit regelrechten Bestelllisten für gefährdete oder geschützte Arten kontaktiert worden. Über Nacht entstand für Seepferdchen und Seegurken ein lukrativer Markt. Mit wenig Aufwand ließ sich ein kleines Vermögen machen. Das Resultat: Während Fischer:innen die Seepferdchen, die sich in ihren Netzen verfangen hatten, bislang ignorierten oder zurück ins Wasser setzten, wurden sie nun aktiv gejagt und nachts heimlich zu Hunderten gesammelt. «Niemand gab es offen zu und es waren auch nur wenige Leute involviert, aber für die Population war das fatal», sagt Correia.

Auch illegale Verkäufe nach Asien gefährden die Population der Seepferdchen. © João Rodrigues

Erwischt wurde in Portugal noch niemand. Zu einfach lassen sich selbst hunderte der kleinen Knochenfische an den Kontrollen der Behörden vorbeischmuggeln. Eine Plastiktüte, die unter den Rumpf des Bootes geklebt wird, findet kein Polizist. Einzig im Hafen von Marbella wurde 2017 ein Schmuggelfall aufgedeckt. 2133 getrocknete Seepferdchen – 7,12 Kilo mit einem Marktwert von knapp 10 000 Euro – sollte nach Asien verkauft werden. Von einem Pärchen aus Olhão. «Glücklicherweise hatten wir es hier nie mit der großen organisierten Kriminalität zu tun. Seit zwei, drei Jahren hören wir auch nichts mehr vom Schmuggel. Vermutlich sind die Bestände so stark zurückgegangen und die Strafen derart hoch, dass sich das Risiko nicht mehr lohnt», sagt Palma. Dass keine Seepferdchen mehr gesammelt und getrocknet werden, will der Forscher indes auch nicht glauben.

Große Hoffnungen lasten auch auf der portugiesischen Regierung. Mit Ricardo Santos leitet erstmals ein Marinebiologe das Ministerium für Meeresangelegenheiten. Der 67-jährige reist Anfang März extra aus Lissabon an, um sich selbst ein Bild von der Situation zu machen. «Es ist schwer, alle illegalen Aktivitäten in der Lagune zu kontrollieren. Doch aus Medienberichten sehen wir, dass die Behörden sehr aktiv sind. Das Problem ist zwar noch langen nicht gelöst, aber die Situation verbessert sich», sagt er vor seinem Tauchgang in einem der beiden Meeresschutzgebiete der Lagune.

Im Gespräch wirkt Santos müde. Sein Gesicht und der Dreitagebart sind so fahl und ausgeblichen wie das graubraun karierte Sakko, das über seinen Schultern hängt. Santos ist engagiert, aber unkonzentriert. Verwechselt mehrfach Seepferdchen und Seegurken. Sein Büroleiter korrigiert ihn. Und Fragen nach konkreten Maßnahmen der Regierung weicht Santos aus. Inwieweit er das Kabinett tatsächlich für den Erhalt der Ökosysteme gewinnen hätte können, werden wir nie wissen. Denn ein paar Monate später erfahren wir, dass Santos Ende März zurückgetreten ist – bzw. wurde sein Aufgabenbereich unter der neuen Regierung, die im Januar gewählt worden war, aufgelöst. Die «maritimen Angelegenheiten» fallen fortan wieder unter die Zuständigkeit des Wirtschaftsministeriums. Alles andere als ein gutes Zeichen für den Meeres- bzw. Umweltschutz.

Ricardo Santos, ehemaliger Leiter des Ministeriums für Meeresangelegenheiten, konnte in seiner kurzen Amtszeit den Seepferdchen nicht helfen. © João Rodrigues
Vielleicht kommt die Rettung aber in Form von Schulklassen, die sich mit dem Schutz der Seepferdchen auseinandersetzen. © João Rodrigues

Womöglich kommt die Rettung für die Seepferdchen aber sowieso nicht von Schreibtischen aus Lissabon – sondern aus den Klassenräumen der Algarve. Seit 2017 läuft dort das Projekt «Escola-Azul», die blaue Schule. «Wir wollen Kindern und Jugendlichen so viel wie möglich über den Ozean beibringen, sie über die Probleme aufklären und ihnen zeigen, wie sie Seepferdchen und andere Meerestiere schützen können», sagt Patrícia Graça. Die 51-Jährige unterrichtet an einer Grundschule in Olhão. Durch Exkursionen in die Lagune, Vorträge von Wissenschaftler:innen und auch kleine Experimente, etwa zur Nahrungsaufnahme von Seepferdchen, sollen Kinder für die bedrohliche Situation aufmerksam gemacht werden – und diese Informationen an ihre Eltern tragen.

Bewusstsein für Meeresschutz wächst – aber die Gefahr auch

Vor einigen Jahren noch war auch für Portugiesen selbstverständlich, beim Schwimmen oder Schnorcheln Seepferdchen zu berühren. Auch Meeresminister Santos kann sich erinnern, wie zu seiner Jugendzeit Souvenirs mit getrockneten Seepferdchen am Strand verkauft wurden. Szenen, die es heute in Portugal so kaum mehr gibt. Insbesondere an der Algarve ist das Bewusstsein für den Schutz des marinen Ökosystems in vielen Teilen der Gesellschaft angekommen. Es scheint, als würden die verschiedenen Maßnahmen – Meeresschutzgebiete, höhere Strafen durch Behörden, Forschungsprogramme und Informationskampagnen in der Öffentlichkeit – tatsächlich helfen.

Wie viele Tiere aktuell in der Ria Formosa leben, ist ungewiss. Manche Schätzungen sprechen von 100 000, andere von 150 000 Tieren. Noch immer nur ein Bruchteil der ursprünglichen Bestände. Palma jedoch glaubt, die Population sei derzeit stabil.

Die nächste Herausforderung wartet allerdings. Die Grünalge Caulerpa, eine invasive Art, die vermutlich durch Boote aus dem Mittelmeer an die Algarve gebracht wurde und die sich hier ohne natürliche Feinde rasant verbreitet. Wo sie wächst, lassen sich kaum Seepferdchen nieder. Und die, die es versuchen, finden nur wenig Nährstoffe. Eine weitere Hürde, die es für die kleinen Geschöpfe zu überwinden gilt.


Florian Sturm arbeitet als als freier Journalist für diverse Magazine und Zeitungen im In- und Ausland und beschäftigt sich vor allem mit den Themen Fotografie, Reise und Wissenschaft. Für seine Reportagen ist er gerne mit Hund und Notizbuch in seinem Van unterwegs.

João Rodrigues ist Fotojournalist, Schriftsteller, Filmemacher und Meeresbiologe mit den Schwerpunkten Naturgeschichte und Naturschutz. In seiner beruflichen Laufbahn hat er von den eisigen Gewässern der nordischen Meere bis zu den Korallenriffen der Tropen getaucht.