Wie der Fischer und seine Frau im Märchen der Gebrüder Grimm wollen wir Menschen immer mehr. Nun sollen auch noch Rohstoffe mehrere tausend Meter unter der Wasseroberfläche abgebaut werden. Weshalb ist genug nie genug? Eine Debatte mit Matthias Wachter, Abteilungsleiter für Internationale Zusammenarbeit, Sicherheit, Rohstoffe und Raumfahrt des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), und Nicolas Walder, Vizepräsident der Grünen Partei Schweiz.

Nicolas Walder. © Jörn Kaspuhl

Herr Walder, Sie halten den Tiefsee­bergbau für keine gute Idee.

Die Tiefsee ist einer der letzten unberührten Lebensräume auf unserem Planeten und sehr empfindlich. Hier Rohstoffe abzubauen, bedeutet für Fauna und Flora eine grosse Gefahr, aber auch für uns Menschen, denn der Meeresboden ist ein wichtiger CO2-Speicher. Wir dürfen dieses Ökosystem nicht auch noch zerstören.

Die Befürworter des Tiefseebergbaus behaupten, der Energiehunger der Menschheit werde sich versechsfachen. Nur auf Basis der Rohstoffe aus der Tief­see lasse sich die Nachfrage decken. Richtig?

Nein. Beispiel Verkehr. Wir müssen nicht plötzlich alle Autos durch Elektroautos ersetzen. Wichtiger ist es, den ÖV auszubauen, Fahrzeuge zu teilen, alte Batterien zu rezyklieren und den technologischen Fortschritt voranzutreiben. All dies wird zu einem drastischen Rückgang des Rohstoffbedarfs führen.

Herr Wachter, Ihrer Meinung nach gibt es aber gute Gründe, den Tiefseebergbau vo­ranzutreiben?

Matthias Wachter. © Jörn Kaspuhl

Der weltweite Rohstoffbedarf wird weiter steigen. Der Tiefseebergbau kann einen Beitrag für eine nachhaltige Versorgung mit jenen Rohstoffen leisten, die auch Grundlage für die Elektromobilität und den Ausbau der erneuerbaren Energien sind. Prekäre Abbaubedingungen in vielen Ländern liessen sich durch einen innovativen Tiefseebergbau vermeiden. Auch die oft hohe Abhängigkeit von autokratischen Regimes könnte so reduziert werden. Notwendig ist jetzt eine Intensivierung der Forschung, um die Chancen und Risiken des Tiefseebergbaus fundiert zu analysieren.

Wir haben Land, Wälder und Berge gnadenlos umgepflügt, nun kommt auch noch die Tiefsee an die Reihe. Greenpeace befürchtet ernste und mög­licherweise irreversible Schäden am Ökosystem. Ihr Kommentar?

Die Wirtschaft muss diese Bedenken sehr ernst nehmen. Essenziell ist eine bessere Datengrundlage. Erst auf Basis konkreter Folgenabschätzungen sollten Politik und Wirtschaft entscheiden, inwieweit es gut ist, Rohstoffe über den Tiefseebergbau zu gewinnen.

Der Entscheid scheint aber bereits gefal­len zu sein. Die Internationale Meeres­bodenbehörde, Teil der Uno, soll die Tiefsee als sogenanntes «Erbe der Menschheit» verwalten. Bis anhin hat sich diese Behörde in erster Linie da­durch hervorgetan, dass sie rund 30 Ex­plorationslizenzen vergeben, jedoch noch keine verweigert hat. Angesichts des Raubbaus, den wir am Planeten be­treiben: Warum sollte ausgerechnet in Sachen Tiefseebergbau nun alles anders werden?

Der Abbau in einer Tiefe von mehreren tausend Metern ist technologisch anspruchsvoll und reduziert den Kreis der möglichen Akteure. Die Vergabe von internationalen Lizenzen und die geografische Begrenzung erleichtern es, hohe internationale Standards durchzusetzen. Viele Unternehmen in westlichen Staaten arbeiten bereits an innovativen und nachhaltigen Lösungen. Internationale Vorgaben, hohe Standards und Innovationen sind der beste Weg, um die Meere als Erbe der Menschheit zu bewahren.

Sie sind also überzeugt, dass wir das in den Griff kriegen?

Eine nachhaltige und verantwortungsvolle Lösung ist wünschenswert und möglich.

Herr Walder, Unternehmen wie Volvo, Samsung, BMW und Google, aber auch das EU­ Parlament, unterstützen ein Moratori­um in Sachen Tiefseebergbau. Sie haben den Bundesrat nun dazu aufgerufen, ebenfalls ein Moratorium zu befürwor­ten. Die Antwort: Man werde das Anlie­gen «prüfen». Zufrieden?

Nein. Ich erwarte vom Bundesrat einiges mehr an Engagement, er muss sich der Bedeutung des Themas bewusst werden und vorausdenken, vor allem, weil viele der multinationalen Rohstoffhandelsfirmen ihren Sitz in der Schweiz haben. Doch der Bundesrat verhält sich abwartend. Das ist mir angesichts der Dringlichkeit der Situation zu wenig.

Wie bereits erwähnt hat die Internationale Meeresbodenbehörde als einzige nennenswerte Ak­tivität bisher rund 30 Li­zenzen zur Exploration von Unterwasser­ Rohstoffen vergeben. Abgelehnt hat sie noch kein Gesuch. Ihr Kommentar?

Die Internationale Meeresbodenbehörde hat bislang vor allem die Rechte der interessierten Länder und ihrer Industrien wahrgenommen. Den Schutz der Tiefsee – was ihre Priorität sein sollte – vernachlässigt sie. Das muss sich nun ändern. Organisationen wie Greenpeace müssen Druck ausüben. Wir dürfen nicht noch einmal dieselben Fehler machen und blindlings Rohstoffe bis zum bitteren Ende abbauen, Beispiel Erdöl. Wir haben eine Verantwortung gegenüber der Zukunft.

Haben Sie Kinder?

Nein. Aber als grüner Politiker denke ich nicht nur an die Zukunft meiner eigenen Familie.

Und Sie, Herr Wachter, haben Sie Kinder?

Ja. Auch als Familienvater bin ich davon überzeugt, dass Innovation ein Teil der Lösung ist. Technischer Fortschritt gerade für den Klima- und Umweltschutz ist Basis dafür, dass wir die Erde unseren Kindern in einem lebenswerten und sogar besseren Zustand als heute hinterlassen.


Der Schutz der Ozeane steht weiter auf dem Spiel. Nachdem die Verhandlungen der Vereinten Nationen zu einem globalen Schutzvertrag für die Hohe See Ende März in New York gescheitert sind, soll nun Ende 2022 die Abschlussrunde der Verhandlungen stattfinden. Es besteht noch ein wenig Hoffnung, dass sich der Bundesrat und die Regierungschefs der anderen Mitgliedsstaaten bei dieser Gelegenheit zu einer Einigung zum Wohl der Ozeane und damit zum Wohl von uns allen durchringen können. Wir fordern die Regierungen auf, die Verhandlungen deutlich zu beschleunigen und noch 2022 ein starkes Abkommen abzuschliessen. Setze auch du ein Zeichen für den Ozean-Vertrag und unterzeichne die Petition: