Eine Ausstellung im COALMINE Forum für Dokumentarfotografie und im COALMINE Raum für zeitgenössische Fotografie, kuratiert von Sascha Renner. Die COALMINE in Winterthur präsentiert vom 19. Januar bis 7. April den Jurypreis des letzten Greenpeace Photo Award in Zusammenarbeit mit Greenpeace und in Medienpartnerschaft mit «GEO».
Vernissage: Donnerstag, 18. Januar 2018, ab 18.30 Uhr
19 Uhr Einführung mit Cristina de Middel, Bruno Morais und Sascha Renner
Ist das wahr? Ungläubigkeit ist oft die erste Reaktion auf die Fotografien von Cristina de Middel. Mit einer am Dokumentarischen orientierten Bildsprache verunsichert und amüsiert sie die Betrachter. Ihre Bilderzählungen sind reich an Einfallsreichtum und Gestaltungskraft, kreisen aber meist um eine ernste Thematik. Sie verknüpft darin das soziale Engagement einer humanistischen concerned photography mit dem Anspruch künstlerischer Autonomie. Innerhalb weniger Jahre ist Cristina de Middel so zur stilbildenden Vorreiterin einer erweiterten Fotografie geworden, die Intuition und geistreiche Fantasie nutzt, um die Funktion von Narrativen in Zeiten des Postfaktischen zu erkunden.
Bekanntheit erlangte die ehemalige Fotojournalistin mit der Serie «The Afronauts» (2012). Weitgehend fiktional, nimmt sie eine wahre Begebenheit – Sambias Pläne für ein eigenes Raumfahrtprogramm nach der Unabhängigkeit – zum Anlass, um kulturelle Voreingenommenheit, westliche Hegemonie und Paternalismus gegenüber Afrika zu thematisieren. Dabei löst sie die Grenzen zwischen Fotojournalismus und Fiktion auf. Auch in ihrer neuen, in der COALMINE präsentierten Arbeit mit dem Titel «Excessocenus» (2016–17) stehen globale Asymmetrien und deren Auswirkungen auf arme Länder im Zentrum. In rund vierzig Fotografien inszeniert Cristina de Middel zusammen mit dem brasilianischen Fotografen Bruno Morais eine Reihe von Konsum- und Wohlstandsexzessen.
Mit der Industrialisierung hat die Menschheit gemäss Wissenschaftlern ein neues Zeitalter eingeläutet: das Anthropozän. In dieser Epoche ist der Mensch zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse unseres Planeten geworden. Mit dem «Exzessozän», so postulieren de Middel und Morais, folgen wir heute einer Ideologie, die für unser eigenes Überleben zur Bedrohung geworden ist. Trotz der katastrophalen Begleiterscheinungen dient das westliche Wohlstandsmodell vielen Ländern des Südens als Blaupause. Afrika giert nach Wachstum und wurde zum wichtigen Absatzmarkt für Billigware und elektronische Produkte, die mit toxischen Stoffen belastet sind.
De Middel und Morais interessieren sich für die Konsequenzen solcher makroökonomischen Prozesse im Alltag der Menschen Afrikas. Dazu gestalteten sie Bilder zu verschiedenen Ausbeutungsexzessen, in den Bereichen Rohstoffabbau, Energieverschwendung, Überfischung oder Massentourismus. Ihre Bildideen setzten sie mit Zufallsbekanntschaften in Mozambik um, im Bestreben, die Probleme von der globalen auf die lokale oder individuelle Ebene zu übersetzen. Mit den so entstandenen surrealen Inszenierungen gelingt den Künstlern zweierlei: prägnante Bilder für anthropogene Umwelteinflüsse zu schaffen, die durch ihre ikonische Kraft hoch ästhetisch und einprägsam sind. Und die unproduktive Polarität von Dokumentation und Inszenierung in Frage zu stellen, die das Nachdenken über Fotografie bestimmt. Das Vermittelnde, Indirekte und Gestaltende ist für sie kein Defizit des Dokumentarischen, sondern der Schlüssel zu Erzählungen, die die Menschen unmittelbar ansprechen. «Man muss erfinderisch sein, mit einem Sinn für Humor, um wirklich zu verstehen, was vor sich geht», so Cristina de Middel. «Dafür nutzen wir Fiktion, Fantasie, Ironie und Geschichte. Es gibt keine eindeutigen Wahrheiten, und so können auch wir nicht eindeutig sein.»
Die Ausstellung
Die Thematik des Exzesses wird in der Ausstellung konsequent fortgeführt. Anstelle von gerahmten Kunstdrucken kommen kommerzielle Bildträger und Werbematerialien zum Einsatz, wie sie Online-Druckereien weltweit anbieten. Bedruckte Tapeten, Poster, Flyer, Kalender, Mausmatten, Sticker und Stofftaschen addieren sich zu einer visuellen Kakophonie – zu einer aufdringlichen Werbemaschine, die ihr Glücksversprechen unaufhörlich wiederholt. Eine eigens aufgesetzte Website belästigt die Besucher mit Pop-up-Fenstern, hinter denen jeglicher Inhalt verschwindet. Die Ausstellung wird so zum Trojanischen Pferd: Sie besticht durch ihre Opulenz und ikonische Kraft, entwertet sich aber in der Summe sogleich wieder.
Die Partnerschaft: Greenpeace Photo Award
Zum dritten Mal präsentiert die COALMINE die Preisträger des Greenpeace Photo Award. In Zusammenarbeit mit Greenpeace Schweiz und in Medienpartnerschaft mit GEO wurden Fotoschaffende aus allen Kontinenten eingeladen. Nicht fertige Fotoarbeiten wurden gesucht, sondern noch nicht veröffentlichte Projekte in Arbeit. Eine Jury (Ruth Eichhorn, Bildredaktion GEO, Azu Nwagbogu, Fotofestival Lagos, Peter Pfrunder, Fotostiftung Schweiz) nominierte elf Fotoschaffende und vergab zwei Jurypreise. Ein Jurypreis in der Höhe von 10’000 Euro wurde an Cristina de Middel und Bruno Morais vergeben. Der Greenpeace Photo Award wird von der Stanley Thomas Johnson Stiftung unterstützt.
Biografien
Cristina de Middel (1975) wurde in Alicante, Spanien, geboren. Sie wohnt und arbeitet heute in Uruapan, Mexiko. Nach zehn Jahren als Fotojournalistin widmet sie sich aktuell vor allem konzeptuellen Arbeiten, die weltweit ausgestellt werden. Seit 2017 Magnum Nominee.
Bruno Morais ist in Rio de Janeiro aufgewachsen. Er ist Gründer des Colectivo Pandilla und nutzt seine Fotografie oft für Bildung und gesellschaftlichen Wandel. De Middel und Morais fotografierten 2015 erstmals zusammen in den Favelas von Rio de Janeiro.
Für Fragen oder weitere Informationen steht Ihnen das COALMINE-Team unter Telefon 052 268 68 68 oder per E-Mail [email protected] gerne zur Verfügung. Bei inhaltlichen Fragen wenden Sie sich bitte an: Sascha Renner ([email protected]).
Medienstelle Greenpeace Schweiz: 044 447 41 11, [email protected]
Pressematerial inklusive Fotos: www.coalmine.ch/coalmine/presse
Öffnungszeiten COALMINE
Mo–Fr 8–19 & Sa 11–16 Uhr. Geschlossen 17.2.–19.2. (Fasnacht), 30.3.–2.4. (Ostern)