«Der Abfall des einen ist der Schatz des anderen.»
Im Rahmen unserer Kampagne für ein Recht zu Reparieren und einen umweltbewussten Konsum haben wir nach engagierten Menschen gesucht, die sich täglich für den Schutz unserer Ressourcen einsetzen. Denn wir konsumieren zu viel – und werfen zu viel weg. Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger Ansatz, um aus dieser Wegwerfkultur auszubrechen. In diesem ersten Porträt: Daniela und die Kunst des Upcyclings.
DREI FRAGEN AN DANIELA
- Was machst du?
- «Upcyling: Ich werte die sogenannten «sauberen» Industrieabfälle auf, die uns umgeben. Aber nicht irgendwelche, sondern solche, mit denen man die Kreativität fördern kann. Und ich versuche parallel dazu Handwerker zu unterstützen, die in diesem Bereich tätig sind.»
- Warum?
- «Um ein Teil der Lösung zu sein. Ich habe schon immer über die eigentliche Funktion von Gegenständen hinausgesehen: Da gibt es viele Möglichkeiten, die ich teilen und weitergeben möchte.»
- Was wäre deiner Meinung nach nötig, um mehr Upcycling zu ermöglichen?
- «Mehr Orte für Menschen, die etwas abgeben möchten, und für Menschen, die etwas finden möchten. Und die Akzeptanz, dass es manchmal etwas länger dauert.»
Mit einem energischen und herzlichen «Bonjour!» begrüsst Daniela Micard ihre ersten Besucher:innen. Die Mitgründerin und Leiterin von Récrécréa gibt einen ersten Einblick in ihren neuen Raum L’art et la matière, der bald offiziell im Herzen des Genfer Stadtteils Plainpalais eröffnet werden soll. Der als gemeinnützig anerkannte Verein Récrécréa sammelt die «sauberen Abfälle» von Unternehmen, also Materialien, die eigentlich zum Wegwerfen bestimmt sind. Spielerisch und kreativ erhalten diese hier ein zweites Leben.
Und an Material mangelt es nicht: Papier, Karton, Schaumstoff, Holz, Kunststoff und Textilien – die Schränke sind voll mit Fundstücken in allen Formen und Farben. Die Kinder, die an diesem Tag der offenen Tür anwesend sind, hören den Anweisungen aufmerksam zu. Es ist ganz einfach: Einen Korb nehmen und in den Schubladen nach Schätzen suchen, die sie inspirieren. An diesem Samstagmorgen im Dezember vergnügen sich eine Prinzessin und ein Indianer unter dem etwas eingeschüchterten Blick der ganz jungen Elyn, die diese Werkstätten zum ersten Mal entdeckt.
Daniela ist es wichtig, dass bereits Kinder ab zwei Jahren mitmachen können. Während die Jüngsten die gesammelten Gegenstände zum Spielen und Erforschen der verschiedenen Materialien nutzen, verwandeln die Älteren sie, geben ihnen eine neue Funktion und verlängern so ihren Lebenszyklus. Das Motto: der Kreativität freien Lauf lassen, ohne Zwang oder Ziel. Die Möglichkeit, die Freude am Entdecken und Ausprobieren auszuleben, stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder.
Kinder und Kreativität
Danielas Freude am kreativen Schaffen und Upcycling begann vor 15 Jahren; als frischgebackene Erzieherin an einer Konferenz über Kreativität in der frühen Kindheit. Sie startete in einer Kindertagesstätte mit wenig Ressourcen, in der die Möbel vom Flohmarkt stammten: Recyceln und Aufwerten haben die Genferin während ihrer gesamten Karriere begleitet. 2017 liessen ein Unfall und ein Arbeitsausfall ihren Traum von einem umweltfreundlichen Kreativraum wieder aufleben. Noch immer gab es in Genf keinen solchen Ort. Daniela ergriff ihre Chance.
Unerwartete Materialmengen, beengte Platzverhältnisse
«Keine Angst!», sagt die dynamische Leiterin der Einrichtung als sie die Treppe hinunterführt zum Raum, der den Freiwilligen vorbehalten ist. Hier wird eine beeindruckende Menge an Holzstücken, Papierbögen, Karten, Rollen und Aufbewahrungsboxen aufbewahrt. In der Mitte des Tisches thront Craquotte. So nennt Daniela die manchmal widerspenstige Schneidemaschine liebevoll. Ein fröhliches, buntes Sammelsurium.
Der 10-jährige Niels fragt: «Das ist alles neu und doch so ein Durcheinander?» Die Lagerung ist in der Tat ein wichtiges Thema, da Industrieabfälle in riesigen Mengen anfallen. Bei Danielas ersten Kontakten mit Industriebetrieben sah sie sich mit verwirrenden Fragen konfrontiert. «Mit welchem LKW kommen Sie?», wurde sie gefragt, als sie ein paar Kartons mit Blättern bei einer Druckerei abholen wollte… Vom Schlafzimmer bis zur Garage stapelte sich das Material im Haus der Familie, bevor geeignetere Räumlichkeiten gemietet waren.
Daniela sammelt Materialien, die eigentlich weggeworfen werden sollten, bei verschiedenen Genfer Partnerunternehmen: einem Dekorationsgeschäft, einer Druckerei und sogar der Filiale eines schwedischen Möbelhauses am Ende des Sees, dessen Sofaüberzüge Liebhaber von bunten Stoffen begeistern werden. Nach der Lagerung folgt die andere grosse Herausforderung: Das Sortieren und Einräumen braucht Zeit… «Viel Zeit», sagt die junge Frau mit dem offenen Lächeln. Freiwillige helfen, den gesammelten Abfall zu sortieren, zuzuschneiden und zu klassifizieren.
Weihnachtsstimmung und neue Begegnungen
Danielas Enthusiasmus ist ansteckend: Tania, Emerik, Niels und ihre Eltern scheinen viel Spass daran zu haben, alle möglichen Dekorationen zu basteln: Weihnachtskarten, Weihnachtsbäume und sogar Frisbees. Und wenn der Stern-Ausschneider mal streikt, ist es Daniela, die ihn mühelos repariert und die Papierreste einsammelt. Denn hier wird alles verwendet, sogar die Reste der Reste: Nichts geht verloren, alles wird umgewandelt; das ist das Motto des Ortes.
Die Abfallvermeidung, die Aufwertung vorhandener Materialien und die Sensibilisierung für Verschwendung und übermässigen Konsum sind die Grundpfeiler des Vereins Récrécréa. Dennoch stehen Begegnungen und das Teilen im Mittelpunkt von Danielas Projekt. «Es geht vor allem um die spielerische und kreative Begegnung zwischen Material und Menschen», schwärmt die Familienmutter. In ihren Workshops erlebt sie mit, wie Eltern und Kinder sowohl Gegenstände als auch Verbindungen schaffen.
Das gesamte Team hier arbeitet ehrenamtlich, einschliesslich der Leiterin der Einrichtung, die auch junge Menschen mit Schwierigkeiten bei der Ausbildung oder der beruflichen Integration integriert. Sie wünscht sich mehr gemischte Gruppen in ihren Werkstätten, um das Lernen der französischen Sprache zu fördern. Die Freude am Erfinden und Gestalten verbindet: Mit seinem Upcycling-Ansatzes fördert der Verein Récrécréa die Kreativität und tut gleichzeitig etwas Gutes für unseren Planeten. Einige Tage vor den Weihnachtsfeiertagen wünschen wir Daniela, dass sie unter dem Baum die offizielle Genehmigung der Behörden für den Raum L’art et la matière erhält. So dass sie von weiteren kreativen und nachhaltigen Räumen in jedem Genfer Stadtviertel träumen kann… und anderswo.