Mit Theaterstücken, dem Nachspielen von realitätsnahen Gau-Szenen, Infoständen und der Ausgabe von Jodtabletten an Passanten erinnerten am Samstag Greenpeace-Jugendliche in 13 deutschen Städten an den ersten Jahrestag des Atomunfalls in der japanischen Stadt Tokaimura. Unsere Korrespondenten berichten aus Berlin, Schwerin, Hamburg und Nürnberg.
Hamburg. Berlin-Alexanderplatz. 12 Uhr: 15 Jugendliche von Greenpeace entrollen ein Banner mit der Aufschrift: «Atomunfall in Tokaimura/Japan – Wir erinnern uns. Sie sich auch?» Am Infostand sind kleine Atomkraftwerke aus Schokoküssen und Waffelröllchen zur Vernichtung freigegeben.Plötzlich ertönt eine Sirene. In der Menschenmenge beginnen einige, sich zu krümmen, zu husten und zu röcheln. Schließlich liegen sie regungslos auf dem Boden. Viele Menschen beugen sich besorgt über die «Toten» und wollen Erste Hilfe leisten. Da erscheinen Gestalten in weißen Schutzanzügen, mit Schutzhelmen und Gasmasken. Sie sperren das Gebiet ab, umranden die Opfer mit Kreide, bedecken sie mit Planen und tragen sie weg.Die Sirene verstummt, aus einem Megaphon ertönt folgende Durchsage: «Heute vor einem Jahr, am 30. 9. 1999,ereignete sich in der japanischen Atomanlage in Tokaimura ein Unfall. Es war der drittschwerste Atomunfall nach Harrisburg und Tschernobyl. Die zwei Arbeiter, die den Unfall auslösten, sind inzwischen an den Folgen der enormen Verstrahlung gestorben. Der Unfall in Tokaimura hat gezeigt, dass es auch in sogenannten westlichen Atomanlagen jederzeit zu einem Unfall kommen kann. Also auch bei uns! Wir fordern deshalb den sofortigen Ausstieg aus der risikoreichen Atomenergie. Weltweit.» Die Jugendlichen verteilen Katastrophenschutz-Merkblätter und Jod-Tabletten gegen Krebs. Die Absperrung wird wieder aufgelöst. Die Menschen gehen weiter – erheitert, beeindruckt oder nachdenklich. Der «Unfall» wiederholt sich an diesem Nachmittag noch zweimal…Schwerin. «Ich weiss nicht, ob wir soviel erreicht haben: Ich hatte mehr Interesse und Fragen erwartet». Tanja Buchheister (15) aus Schwerin steht mit einem großen Banner in der Schweriner Innenstadt. Zwei der acht jugendlichen Greenpeacer liegen vor dem Banner auf dem Boden: Sie symbolisieren die beiden japanischen Arbeiter der Brennelementefabrik in Tokaimura, die nach wochenlangen Leiden an den Folgen der Verstrahlung starben. Wer auf dem aufgestellten Traueraltar Kerzen für die beiden Toten aufstellte, bekam eine schwarze Rose überreicht. «Auf dem Boden zu liegen und Atomtote zu spielen, ist ziemlich unheimlich», sagt Sophie Kirschke (14), «und dann haben mich die trotzigen Reaktionen der Leute überrascht. Die dachten wohl, das sind bloß Jugendliche, die müssen wir nicht ernst nehmen».Hamburg. 10:45 Uhr: Der Trauermarsch in Altona besteht aus etwa 30 Jugendlichen, jeder mit einem Atomzeichen auf der schwarzen Kleidung. Zwei Trommler geben den Takt vor. Auf dem 3-Meter-Banner über ihren Köpfen steht «30.9.99 – Atomunfall in Tokaimura – und was bringt die Zunkunft?» «Ich finde , dass man immer wieder an solch Unfälle erinnern sollte, weil so etwas viel zu schnell vergessen wird,» findet die 15-Jährige Jana Westermann, «manche Leute machen sich noch nicht mal jetzt die Mühe, zu gucken, gegen was wir demonstrieren». Einige Passanten bringt es sogar in Rage, dass der Trauerzug die Straße verstopft. Nur die wenigsten fragen nach einem Flugblatt. Trotzdem sind die 300 Flugblätter nach der Hälfte des Weges alle, was für die große Motivation der jugendlichen Greenpeacer spricht. «Die Demo war für uns ein Erfolg – etwas nachdenklich sind die Leute schon geworden. Beim nächsten Mal hätten wir nur noch gerne die Presse dabei», sind sich die Demonstranten einig.Nürnberg. Der große Blickfang in Nürnbergs Innenstadt ist ein zwei Tonnen schwerer Dinosaurier aus rostigem Metall-Schrott: Als Symbol für die Trägheit der deutschen Atompolitik illustriert er die Greenpeace-Forderung nach Verschrottung aller Atomanlagen. Über 20 Jugendliche aus Nürnberg und Augsburg zogen mit dem Dinosaurier durch die Innenstadt, rollten Eisenfässer vor sich her und spielten – maskiert mit Gasmasken – Theaterszenen mit Tanzeinlagen. Auf diese Weise konfrontierten sie die verblüfften Passanten, die sich auf dem Nürnberger Stadtfest vergnügten, mit den Gefahren von Atomanlagen und zeigten: Jugendliche nehmen Anteil am politischen Geschehen und Meinungsäußerung kann auch bei ernsten Themen Spass machen.