Etliche Organisationen reichen diese Tage ihre Stellungnahmen zur Verordnung über den indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative ein. Gemeinsam kritisieren sie den Vorschlag des Bundesrates als wirkungslos. Der Geltungsbereich des bereits vielfach kritisierten Gegenvorschlags wird in der Verordnung dermassen eingeschränkt, dass das schwache Gesetz endgültig zur Farce verkommt.

2019 griff der Bundesrat zu einem ungewöhnlichen Manöver: In einer kurzfristigen Aktion lancierte die zuständige Justizministerin mitten in der bereits seit zwei Jahren laufenden parlamentarischen Debatte zur Konzernverantwortungsinitiative einen verspäteten Gegenvorschlag. Das Ziel war, einen griffigen Kompromiss im Parlament zu verhindern und der Bevölkerung vorzugaukeln, die Initiative brauche es nicht. Rahel Ruch kritisiert im Namen der unterzeichnenden Organisationen: «Der Bundesrats plant derart exzessive Ausnahmeregelungen und Einschränkungen, dass praktisch kein Unternehmen mehr die Sorgfaltspflichten in den Bereichen Kinderarbeit und Konfliktmineralien erfüllen muss. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Stimmberechtigten, die die Konzernverantwortungsinitiative mehrheitlich angenommen haben.»

Folgende Punkte sind aus Sicht der unterzeichnenden Organisationen besonders problematisch:

Konfliktmineralien: Dubiose Kleinsthändler werden belohnt 

  1. Im Bereich Konfliktmineralien sieht die Verordnung viel zu hohe Schwellenwerte vor. Damit wird ein relevanter Teil der in die Schweiz importierten Konfliktmineralien nicht unter die Sorgfaltsprüfungspflicht fallen. Oliver Classen von Public Eye konstatiert: «Dubiose Kleinsthändler werden vom Bundesrat belohnt, obwohl sie z.B. bei der Goldeinfuhr ein grosses Problem darstellen.» 
  2. Gleichzeitig werden, obwohl hierzu keine gesetzliche Grundlage besteht, Unternehmen, die mit rezyklierten Metallen handeln, a priori ausgenommen. «Mit dieser Einschränkung fördert der Bundesrat Umgehungs-Tricks, die heute schon gang und gäbe sind, um Gold von zweifelhafter Herkunft einzuführen.» kommentiert Classen.

Kinderarbeit: Anleitung zum Wegschauen

Im Bereich Kinderarbeit können sich noch mehr Unternehmen aus der Verantwortung befreien:

  1. KMU werden vom Bundesrat ungeachtet ihrer Risiken komplett ausgenommen. Von dem versprochenen, risikobasierten Ansatz kann keine Rede mehr sein – obwohl die Gesetzgebung dies vorsieht. 
  2. Weiter werden Grossunternehmen ausgenommen, wenn die Endfertigung ihrer Produkte in einem Land ohne grössere Risiken für Kinderarbeit geschieht. Vertreibt ein Schweizer Konzern einen Schuh der «Made in Germany» ist (nur Endmontage in Deutschland), muss er keine Sorgfaltsprüfungspflicht erfüllen, obwohl die Bestandteile vom Schuh in einem Drittstaat mit Kinderarbeit produziert sein können. Damit wird der Sinn und Zweck der Bestimmung völlig ausgehebelt. 
  3. Hat sich ein Grossunternehmen bis dahin noch nicht aus der Sorgfaltspflicht in Bezug auf Kinderarbeit befreien können, sieht die Verordnung noch eine dritte Möglichkeit vor: Wenn kein «begründeter Verdacht» in Bezug auf ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung auf Kinderarbeit besteht, muss auch keine Sorgfaltsprüfung durchgeführt werden. Das ist ein klassischer Fehlanreiz: Unternehmen, welche die Augen vor möglicher Kinderarbeit in ihrer Lieferkette verschliessen, werden darin bestärkt. Nur wer hinschaut, ist dem Gesetz unterstellt – und das sind klassischerweise jene wenigen Unternehmen, die bereits freiwillig gegen Kinderarbeit vorgehen. 

International abgehängt

Gegner der Konzernverantwortungsinitiative wurden nicht müde, zu behaupten, dass der Gegenvorschlag international besser abgestimmt sei. Fakt ist: Das ganze Gesetz mit seinen massiven Konstruktionsfehlern, angefangen mit der willkürlichen Beschränkung auf wenige Themen und aufgehört beim kompletten Verzicht auf Kontrollen und Sanktionen ist im internationalen Vergleich rückständig und überholt. Der Richtlinien-Entwurf Resolution des EU-Parlaments, das deutsche Lieferkettengesetz, das französische Loi de Vigilance, die konkreten Projekte aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden gehen alle viel weiter und sehen behördliche Kontrolle, Haftung oder sogar strafrechtliche Sanktionen vor. «Die Schweiz hinkt hinterher und zementiert die Straflosigkeit für jene Konzerne, welche Menschenrechte oder Umwelt verletzen.» hält Danièle Gosteli von Amnesty International Schweiz fest. 

Die unterzeichnenden Organisationen fordern den Bundesrat auf, die Verordnung nachzubessern und haben konkrete Anträge eingereicht. Doch darüber hinaus ist für sie klar, dass auch die beste Verordnung aus dem Alibi-Gesetz keine international anschlussfähige Regelung macht. Deshalb wird sich die Koalition hinter der Konzernverantwortungsinitiative weiterhin für ein griffiges Gesetz einsetzen, das Konzerne wirklich in die Verantwortung nimmt. 

Die ausführliche Vernehmlassungsantwort der Koalition für Konzernverantwortung finden Sie hier: https://konzern-initiative.ch/wp-content/uploads/2021/06/2021_vernehmlassungsantwort-vsotr_kvi-koalition_de_def.pdf 

Folgende Organisationen tragen diese Medienmitteilung mit: 

Für Rückfragen: 

  • Oliver Classen, Public Eye: 076 334 42 25
  • Danièle Gosteli Hauser, Amnesty International: 079 769 56 53
  • Rahel Ruch, Koalition für Konzernverantwortung: 076 517 02 08
  • Gregor Geisser, Rechtsberater: 078 681 93 28

Unterzeichnende Organisationen

Alliance Sud
Amnesty International
Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien
Brücke – Le Pont
Fastenopfer
Gesellschaft für bedrohte Völker 
Greenpeace Schweiz
Public Eye
Swissaid
terre des hommes schweiz
Associazione consumatrici e consumatori della Svizzera italiana
Bruno Manser Fonds
Demokratische JuristInnen Schweiz 
Evangelische Frauen Schweiz 
Fédération romande des consommateurs
FIAN Schweiz
GSoA
Guatemalanetz Bern 
Helvetas Swiss Intercooperation
Justitia et Pax
Pro Natura
Save the Children
Schweizerisch Katholischer Frauenbund 
Schweizerischer Gewerkschaftsbund 
Solidar Suisse
Travail.Suisse
Unité CH
Campax