An einem Mediengespräch hat Greenpeace Schweiz heute die Bedeutung der kürzlich entdeckten Schwachstellen im Reaktordruckbehälter von Beznau 1 erörtert. Diese schwächen das Herzstück des ältesten AKW der Welt und erhöhen das Unfallrisiko. Die von Greenpeace seit längerem geforderte definitive Ausserbetriebnahme beider Reaktoren ist deshalb dringlicher denn je. Greenpeace fordert, dass mindestens ein unabhängiges Expertengremium eingesetzt wird, um die Aufsichtsbehörde über den Weiterbetrieb des Reaktors zu beraten.

Derzeit herrscht viel Unklarheit bezüglich der letzten Donnerstag bekannt gewordenen Schwachstellen im Reaktordruckbehälter des AKW Beznau. Sowohl die Betreiberin Axpo als auch die Atomaufsichtsbehörde ENSI schweigen zu Anzahl, Grösse und Eigenschaften der Schwachstellen. Auch die Ursache dieser Schäden ist unbekannt. Klar ist aber, dass es diese Schwachstellen gibt und dass sie sich im Herzstück der Anlage befinden: dem Reaktordruckbehälter. Diese Komponente beinhaltet die radioaktiven Brennelemente und darf auf keinen Fall versagen. Wenn der Reaktordruckbehälter versagt, sind keine wirksamen Notfallmassnahmen vorgesehen. Weil Beznau 1 schon 46 Jahre auf dem Buckel hat und deshalb stark abgenutzt ist, erhöhen solche Schwachstellen das Risiko für einen katastrophalen Atomunfall. «Die vernünftigste Massnahme ist eine definitive Ausserbetriebnahme des AKW», sagt Greenpeace-Atomexperte Florian Kasser.

Grosse Verantwortung für ENSI
Ob Beznau 1 wieder hochgefahren werden darf, entscheidet das ENSI. Es trägt damit eine sehr grosse Verantwortung, und besonders delikat macht diese Aufgabe, dass die Befunde in Beznau für die Schweiz neuartig sind. In Belgien wird seit zwei Jahren nach Ursachen und Bedeutung von Schwachstellen im Reaktordruckbehälter zweier AKW geforscht (siehe Box). «Ich bezweifle, dass das ENSI solche Schwachstellen innert weniger Wochen korrekt untersuchen kann», sagt Kasser. 

Auf den Schultern des ENSI lastet ein grosser Druck: Die Axpo hat in Beznau gerade über 700 Millionen Schweizer Franken für Nachrüstungen ausgegeben. Diese Investitionen werden angesichts der heutigen Strommarkt-Preise ohnehin schwierig zu amortisieren sein. Geht die Anlage nicht mehr ans Netz, drohen der Axpo massive Verluste.

Unabhängige Expertenkommission nötig
Greenpeace fordert daher, dass das ENSI eine unabhängige Expertenkommission einsetzt, die der Aufsichtsbehörde eine Empfehlung abgibt. So kann das ENSI den Druck, der auf ihm lastet, reduzieren und seine eigene Unabhängigkeit stärken. «Die Kommission muss aus Experten bestehen, die völlig unabhängig sind von den Atomkraftwerk-Betreibern», betont Florian Kasser. 

Die Forderungen von Greenpeace Schweiz im Überblick:

  • Definitive Abschaltung von Beznau 1 und 2
  • Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission bei der Überprüfung der Schwachstellen in Beznau 1
  • Umfassende Transparenz: Veröffentlichung aller verfügbarer sicherheitstechnischer Analysen; Bekanntgabe von Anzahl und Grösse der Schwachstellen in Beznau 1
  • Vollständige Überprüfung der Reaktordruckbehälter sämtlicher Schweizer AKW

Für weitere Informationen:

Florian Kasser, Atom-Experte Greenpeace Schweiz, 076 345 26 55
Thomas Mäder, Medienverantwortlicher Greenpeace Schweiz, 044 447 41 74


Risse in Reaktordruckbehältern belgischer AKW

Im Reaktordruckbehälter der belgischen AKW Doel 3 und Tihange 2 wurden 2012 Risse festgestellt. Die beiden Anlagen wurden 2014 heruntergefahren und bleiben abgeschaltet, bis die belgische Aufsichtsbehörde FANC die Untersuchungen abgeschlossen hat. Die FANC wird von zahlreichen Gremien unterstützt:

  • technische Tochtergesellschaft Bel V
  • drei internationale Arbeitsgruppen
  • Review durch den Wissenschaftsrat der Aufsichtsbehörde, Meinung von vier Professoren eingeholt
  • Review durch eine internationale Expertengruppe: sieben Experten aus sieben verschiedenen Ländern mit verschiedenen Fachrichtungen