Am 18. Januar zogen Schülerinnen und Schüler in 15 Schweizer Städten durch die Strassen und forderten lauthals ihr Recht auf eine lebenswerte Zukunft ein. Wir waren am Klimastreik in Basel dabei und haben uns von den Jugendlichen erzählen lassen, wieso sie für das Klima eine unentschuldigte Absenz im Zeugnis in Kauf nehmen.

«Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut», ertönt es mit piepsiger Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehe, erkenne ich ein kleines Mädchen, kaum älter als fünf Jahre. Gemeinsam mit ihrer ebenso kleinen Freundin läuft sie Hand in Hand vor ihrer Mutter her. Die beiden «Gspänli» schauen sich an und kichern. Dann stupst das Mädchen seine Freundin auffordernd an, sie holen beide tief Luft und rufen diesmal gemeinsam im Chor: «Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut!» 

Die beiden Mädchen marschieren am Klimastreik in Basel mit. Es ist bereits die zweite Demonstration dieser Art, die an diesem Freitag nicht nur in Basel, sondern in 14 weiteren Städten der Schweiz stattfindet. Die Informationen zur Veranstaltung fand man zuvor, wie es bekanntlich bei der heutigen Jugend so ist, auf Facebook: Alle, die mitmachen wollen, treffen sich um 11 Uhr auf dem Barfüsserplatz, dem wohl bekanntesten Platz von Basel. Während rund drei Stunden wollen die Jugendlichen dann auf einer festen Route quer durch die Stadt ziehen und gemeinsam für mehr Klimaschutz demonstrieren.

Auf dem Barfüsserplatz versammeln sich Schülerinnen und Schüler mit ihren Schildern. (© Tobias Erni)

Um 10:45 Uhr trudeln bereits die ersten Schülerinnen und Schüler auf dem «Barfi» ein. Die Grüppchen sind aber noch überschaubar. Ob tatsächlich wieder so viele Jugendliche auftauchen wie am ersten Klimastreik vom 21. Dezember? Schliesslich hat das Erziehungsdepartement von Basel nach der letzten Demo verkündet, dass es für alle, die die Schule für den Streik schwänzen, eine unentschuldigte Absenz im Zeugnis gibt – ohne Ausnahme.

Ein Beschluss, der am heutigen Klimastreik viel zu reden gibt: «Unterstützung sieht anders aus», äussert sich Schülerin Emma zynisch dazu. Es ärgert die Baslerin, dass sie für ihr Engagement bestraft wird. Aber für sie und ihre Klassenkameradinnen seien die Absenzen kein Grund, nicht am Streik teilzunehmen. «Was bringt denn Bildung, wenn die Welt schlussendlich zugrunde geht?», ergänzt ihre Freundin Lona. «Dann spielen diese zwei Stunden, die ich fehle, auch keine Rolle mehr.»

#FridaysForFuture

Die streikenden Schülerinnen und Schüler haben alle dasselbe Vorbild: Greta Thunberg. Die 16-jährige Schwedin streikt seit mehr als einem halben Jahr jeden Freitag für das Klima – und hat so die mittlerweile weltweite #FridaysForFuture-Bewegung gestartet. In der Schweiz war es der 17-jährige Jonas Kampus, der als einer der Ersten die Streiks hierzulande ins Rollen brachte. «Ich war an der COP24 in Kattowitz, als ich während einer langweiligen Verhandlungsrunde inspiriert durch Greta die Whatsapp-Gruppe «Climate Strike CH» eröffnete.» Bereits nach wenigen Minuten seien Dutzende Personen beigetreten.

Die Schülerinnen und Schüler der Schweiz bleiben bereits zum zweiten Mal an einem Freitag der Schule fern. (© Tobias Erni)

Wer jetzt denkt, dass hinter dem Streik lediglich ein paar Jugendliche stecken, die am Freitag einfach keine Lust auf Schule haben, der täuscht sich: Es werden regelmässige Telefonkonferenzen geführt, wöchentlichen Regionalgruppen-Treffen abgehalten und sogar auf schweizweiter Ebene kommen die Organisatoren der Streiks zusammen. «Das erste nationale Treffen mit über 120 Jugendlichen fand am 30. Dezember in Bern statt», erzählt Jonas, «und auch das nächste ist bereits in Planung: Es wird am 23. und 24. Februar ebenfalls in Bern stattfinden.»

Das Ziel der Streiks und der Treffen ist klar: «Einen griffigen Klimaschutz, welcher uns auf Kurs bringt, das 1.5°C-Ziel des Pariser Abkommens zu erreichen», so Jonas. Wie es dieses zu erreichen gilt, steht für die Jugendlichen fest: «An unserem Treffen in Bern haben wir zwei nationale Forderungen mit einer Klausel verabschiedet: netto null Treibhausgas-Emissionen im Inland bis 2030 und die nationale Ausrufung des Klimanotstands», erläutert der Wetziker. Und auch die Umsetzung ist für Jonas selbstredend: «Andere Menschen in den Parlamenten und Regierungen würden eine bessere Klimapolitik machen wie die Politiker bisher.» Woher seine politische Ader kommt? «Meine Eltern sind selbst politisch aktiv, Politik war also schon seit jeher ein Thema am Familientisch.» Somit ist alles klar.

Schule und Politik hinken hinterher

Mittlerweile ist es 11 Uhr und der Barfüsserplatz komplett voll. Angst vor Absenzen im Zeugnis scheinen die Schülerinnen und Schüler tatsächlich nicht zu haben – und auch vor Konsequenzen zuhause müssen sich die meisten nicht fürchten. Denn genau so wie Jonas Eltern, stehen auch andere Mütter und Väter hinter dem Engagement ihrer Kinder: «Meine Eltern freuen sich sehr darüber, dass ich mitmache», erzählt die 13-jährige Maaret stolz. Bei ihrer Freundin Roxanne sieht es ähnlich aus: «Meine Mutter findet es gut», ergänzt die Siebtklässlerin, «aber sie hat gesagt, dass ich mir dann auch Vorsätze machen muss, wie ich selber etwas ändern kann.»

Laut den Organisatoren sind über Tausend Schülerinnen und Schüler an diesem Freitag in Basel vor Ort. (© Tobias Erni)

Obwohl Maaret und Roxanne erst in der siebten Klasse sind, wissen die beiden genau, was sie heute am Klimastreik vorhaben: «Wir wollen die Umwelt retten», meint Maaret überzeugt. «Ja, genau», ergänzt Roxanne, «denn uns ist klar geworden, dass die Menschen sehr viele Sachen machen, die der Umwelt schaden.» Woher sie das wissen? Laut den beiden haben sie den Klimawandel bereits in der 6. Klasse kurz durchgenommen – und hoffen, dass sie das Thema irgendwann nochmals ausführlicher thematisieren.

Das mit der ausführlichen Behandlung des Klimawandels scheint aber in den höheren Stufen ein Problem zu sein. «Über den Klimawandel erfahren wir bei uns zwar in verschiedenen Schulfächern etwas», erzählt Landelin, «aber es sind mehrheitlich theoretische Sachen und weniger praktische Lösungsvorschläge.» Und nicht nur das: Auch was die Glaubwürdigkeit der einzelnen Lehrpersonen bei der Thematik betrifft, hapert es laut Landelins Mitschüler Theo noch. «Die Lehrer sagen zwar, dass sie auch persönlich etwas für den Klimaschutz tun, reisen aber gleichzeitig um die ganze Welt und machen so eigentlich genau das Gegenteil.»

Die Schülerinnen und Schülern fordern von der Schweizer Politik mehr Einsatz für den Klimaschutz. (© Tobias Erni)

So haben sich die Schüler das Wissen darüber, was jeder einzelne für die Umwelt aber auch den Klimaschutz tun kann, mehrheitlich selber angeeignet. Dies aber mehr als genügend: «Der ganze Einwegplastik bei Migros und Coop muss weg», fängt Theo an aufzuzählen, «und Früchte dürfen beispielsweise nicht das ganze Jahr über verkauft werden, sondern nur saisonal.» Auch all die in Plastik eingepackten Gemüse seien vollkommen unnötig. Und überhaupt müsse der Autoverkehr massiv reduziert werden. Was für die Jugendlichen so einfach zu sein scheint, findet in der Politik aber nur wenig Anklang. Das ärgert vor allem Landelin: «Die Politiker reden viel, aber machen zu wenig. Und genau deswegen sind wir hier: Damit sich etwas ändert.»

«System Change, not Climate Change!»

Kurz nach 11 Uhr geht es dann los. Philippe Kramer, einer der Organisatoren des Streiks in Basel, stellt sich vor die Menge. «Es ist fantastisch, dass ihr alle da seid», ruft er in sein Megafon – und die Menge jubelt. Mittlerweile sind mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler vor Ort. Eine Zahl, die Philippe überrascht: «Ich habe nicht damit gerechnet, dass trotz Skilager-Zeit und Androhung von unentschuldigten Absenzen so viele Jugendliche bei diesem Streik mitmachen». Doch hat er sogleich eine Erklärung für die hohe Teilnehmerzahl: «Für uns junge Menschen ist es schon fast selbstverständlich, dass wir jetzt und nicht erst morgen etwas für den Klimaschutz machen müssen!»

Als sich die Meute in Bewegung setzt, wird einem die grosse Anzahl an Schülerinnen und Schülern erst so richtig bewusst. Der Strom ist fast so lange, wie die Freie Strasse selber – die immerhin 500 Meter misst. Die Jugendlichen halten Banner und Schilder hoch, Musik dröhnt aus Boxen auf Rädern und Parolen werden lauthals gerufen. Daneben halten Schaulustige an, nehmen den Demonstrationszug mit ihren Handy-Kameras auf und fragen interessiert nach, für was denn protestiert wird.

Unter den Demonstranten finden sich aber nicht nur Schülerinnen und Schüler, auch einzelne Studenten haben sich dem Streik angeschlossen – wie die 22-jährige Zilan. Sie ist vom Engagement der Jugend beeindruckt und schürt darin Hoffnung: «Wenn Schüler, die eigentlich erst noch am Lernen sind, bereits begriffen haben, dass die Erde  zugrunde geht, dann sollten gerade die Erwachsenen, die schon mehr über den Klimawandel wissen, endlich etwas ändern.» Bis jetzt hätten die Erwachsenen darin aber kläglich versagt. Angesprochen darauf, ob die Politikstudentin deswegen ein schlechtes Gewissen gegenüber der Jugend hat, sagt sie ehrlich: «Jetzt noch nicht. Aber ich habe Angst, dass es irgendwann soweit sein wird.» 

Währenddessen ziehen im Hintergrund die Schülerinnen und Schüler weiter. Noch zwei Stunden werden sie sich ihren Weg durch die Stadt bahnen – und lauthals «System Change, not Climate Change!» fordern. Doch wie lange wird es noch dauern, bis die Verantwortlichen endlich hinhören?

Danielle Müller studierte Journalismus und Unternehmenskommunikation in Berlin und schnuppert nun bei Greenpeace rein. Die 27-Jährige Baslerin ist stets im Sattel ihres Rennvelos anzutreffen und sagt nie Nein zu einer guten Umwelt-Doku auf Netflix.

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