Und das geht. Westlich rational, wie das z.B. Michael Bloomberg, Ex-Bürgermeister von New York, in seinem Buch «Climate of Hope»[i] aufzeigt. Zum Beispiel wenn er die Umgestaltung des Stadtverkehrs in New York als konkreten Klimaschutz beschreibt. Zusammen mit seinem Co-Autor C. Pope rechnet er vor, wie Investitionen u.a. in Velowege und erneuerbare Energie rentieren. Ebenfalls schon existierende lokale Lösungen beschreibt Rob Hopkins in seinem neuen Buch «Einfach. Jetzt. Machen!»[ii]. Er ist der Gründer der Transition Towns und zeigt anhand zahlreicher Beispiele: Eine bessere Welt ist möglich, und sie hat längst begonnen.
Die beiden US-Amerikaner und der Brite orientieren sich am Kästner’schen Zitat «Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es». Sie schreiben ohne Mahnfinger und angstmachende Analysen.
Jenseits der westlichen Rationalität, d.h. noch nachhaltiger nachhaltig ist das Konzept «Buen Vivir» aus Ecuador, das eine grundsätzlich andere Ausrichtung anstrebt. Es stellt Zufriedenheit und Wohlbefinden der Menschen ins Zentrum der gesellschaftlichen Entwicklung, eben: Das Gute Leben.
Den gleichen Ansatz wie Buen Vivir verfolgt der Happiness Index im buddhistischen Königreich Bhutan, einem Kleinstaat im Himalaya. Dem einzigen Land mit negativen CO2-Ausstoss [iii]. Und mit zufriedenen Menschen, die einfach, aber gesund, verbunden mit ihrer Gemeinschaft, ihrer Kultur und der Natur leben. Buen Vivir und Happiness Index beschränken sich nicht auf die drei klassischen Nachhaltigkeitsaspekte (Soziales, Ökologie, Wirtschaft), sie schliessen ebenso die spirituelle, gesundheitliche und kulturelle Dimension des Lebens als Grundprinzip ein. Spirituell meint alles Nicht-Materielle, das Geistige: Die Freude zu gärtnern oder zu singen, zum Beispiel. Oder sich verbunden fühlen mit Menschen. Es braucht dazu kein langjähriges Meditationstraining, das Spirituelle ist im Alltag . Die ur-menschlichen Bedürfnisse nach Spiritualität, Kultur und Kooperation und sie leben können, bilden die Grundlage dieser Gegenkraft zu Konkurrenzzwang und Überkonsum.
Happy mit Buen Vivir
Gemessen wird die Zufriedenheit der Bürger/innen Bhutans mit dem Gross National Happiness Index (GNHI), mit dem sich das Land vom Gross National Product (GNP) abgrenzt. Dem Bruttoinlandprodukt, das konventionelle Instrument zur Messung der Wirtschaftsleistung. Dieses Gegenstück zum rein wirtschaftlichen Index von Entwicklung existiert also real. Und die UNO-Vollversammlung lud in ihrer Resolution vom Juli 2011 die Nationen ein, den Happiness Index zum Indikator ihrer Entwicklung zu übernehmen.
Der Happiness-Index wird in neun gleichberechtigten Bereichen erfasst: Umweltqualität, sozio-ökonomischer Lebensstandard, Gesundheit, Bildung, Kultur, Gemeindevitalität, Zeitbalance, Good Governance und psychisches Wohlbefinden. In Bhutan wird er alle drei Jahre durch die Befragung einer repräsentativen Stichprobe von 7’000 Menschen (1% der Bevölkerung) erhoben. Die Resultate bilden die Grundlage zur Verteilung des Staatsbudgets: Der Staat investiert dort, wo der Schuh drückt bzw. wo Erreichtes aufrecht erhalten werden soll. Er tut das erfolgreich, wie das die letzte Erhebung im Vergleich zur vorletzten zeigt. Und der Happiness-Index breitet sich aus, denn das bhutanesische Zentrum für den GNHI berät neuerdings Firmen und Organisationen, denen das Wohlbefinden ihrer Angestellen an sich ein Anliegen ist. Es führt Trainings in Betrieben durch, bei welchen «happiness skills» eingeübt werden[iv], wie z.B. aktives Zuhören, eine andere Perspektive einnehmen usw…
Solche Fertigkeiten kommen einem bekannt vor? Eben, und um das geht’s: Der Hektik von Produktivitätszwang und Maschinisierung entkommen. Zu sich kommen, zu Handarbeit, zu Kultur- und Naturgenuss. Statt äusseres Wachsdumm inneres Wachstum. Es ist die positive Kraft eines ganzheitlichen Guten Lebens, die dem Ressourcenverbrauch durch Konsum Paroli bieten kann.
Moniert wird nun allerdings, Buen Vivir bzw. Happiness Index sei grundsätzlich ein anderes Entwicklungskonzept und deshalb nicht auf westliche Kulturen übertragbar. Dem ist entgegenzuhalten: Wenn der Kapitalismus überwältigend in Lateinamerika und Asien Fuss fassen konnte, warum sollte sich umgekehrt das Wohlbefinden-Konzept nicht im Westen verbreiten? Genaugenommen ist es längst in Anwendung: Die New Yorker haben mehrheitlich die Umgestaltung des Stadtverkehrs mitgetragen, nicht weil damit jährlich x Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, sondern weil die Lebensqualität zunimmt. In den Transition Towns engagieren sich Menschen, nicht primär weil der «Peak Oil» vorbei wäre, sondern wegen dem Gemeinschaftsgefühl, das sie erleben. Es geht nicht primär um Zahlen, sondern um das positive Wandel-Gefühl – Nur rational ist irrational. So haben also New York, Ecuador und Bhutan einen gemeinsamen Kern.
Eine neue Normalität
Im Narrativ des Wohlbefindens hat vieles Platz. Es gibt keine strikte Generallinie, es geht nicht um die reine Lehre, sondern ums Grundsätzliche. Nicht Aus- sondern Einschluss führt zum Zusammenschluss. Eine neue Normalität partizipativer Gemeinschaften, die sich dank Wohlbefinden auch durch spirituelle Faktoren dem normativen Zwang der Konsum-Gesellschaft entziehen kann. Diesen Zwang hat Victor Lebow bereits vor 60 Jahren auf den Punkt gebracht: «Unsere enorm produktive Wirtschaft verlangt, dass wir den Konsum zum Lebensinhalt machen, dass wir den Kauf und Gebrauch von Waren in Rituale verwandeln, dass wir unsere spirituelle Befriedigung, unsere Ich-Befriedigung im Konsum suchen.»[v]
Schon richtig: Seit 2012 ist der Happiness Index auf der To-Do-Liste der UNO, und genützt hat‘s dem Planeten nichts. Noch nicht: Der Paradigma-Wechsel vom Zeitalter des Konsums zum Zeitalter des Wohlbefindens braucht Zeit. Es geht um nichts weniger als um die Therapie von Süchtigen. Bis die narrativen Gegenmittel menschliche Wärme und Seelenruhe bei genügend Menschen Wurzeln geschlagen haben, wird es dauern. Aber es ist der Weg mit dem Schlüssel, materiellen Verzicht als Lebens-Gewinn zu erleben. Für diesen Weg können wir Rationalen von den indigenen Völkern des Himalayas und Amazoniens lernen.
Und das offenbar bereits tun, wie ein kürzlicher Artikel in der Zeitschrift «Psychologie Heute» nahelegt: Forschung zeige, dass das Gute Leben auf vier menschlichen Grundbedürfnissen beruhe: Das Erfahren von Zufriedenheit, Zugehörigkeit, Bedeutung und sinngebenden Geschichten. Und das Wohlbefinden teile sich in zwei Grundarten: Freude und Genuss einerseits, Sinngebung andrerseits. Das zeigt sich zum Beispiel in den hierzulande immer mehr aufkommenden öko-sozialen Siedlungen. Fast schon eine Bewegung.
[i] «Climate of Hope»: How Cities, Businesses, and Citizens Can Save the Planet“, M. Bloomberg, C. Pope, St Martin‘s Press, NY 2017
[ii] «Einfach. Jetzt. Machen!», Rob Hopkins, oekom verlag, 2017 (und quasi der Film zu diesem Buch: „Demain“ bzw. „Tomorrow“, 2h-Dokumentarfilm von Mélanie Laurent und Cyril Dion, 2016)
[iii] Das ist nicht nur, aber auch auf die Happiness-Strategie zurückzuführen: Einerseits haben arme Länder ohnehin einen tiefen CO2-Ausstoss, andrerseits setzt Bhutan zur Förderung der Zufriedenheit auf erneuerbare Energie, biologische Landwirtschaft und Waldschutz (60% der Fläche ist bewaldet).
[iv] Siehe http://www.gnhcentrebhutan.org bzw. http://www.grossnationalhappiness.com mit u.a. dem 2015- Bericht zu Handen der UNO
[v] Journal of Retailing, 1955 (Zitiert nach dem sehr lesenswerten Buch von Philipp Blom (S. 108): „Was auf dem Spiel steht“, Hanser-Verlag, 2017).
Kuno Roth arbeitet international als Leiter des globalen Mentoring-System bei Greenpeace. Jahrgang 57, Dr. rer. nat., ehemaliger Chemiker ist er mittlerweile Humanökologe, Umweltpädagoge sowie auch Schriftsteller.