Es ist kein Geheimnis, dass Menschen, die sich öffentlich für die Umwelt einsetzen, ein grosses Risiko eingehen. Menschenrechts- und Umweltaktivisten sind seit Jahren beliebte Zielscheiben.

Von Chico Mendes, der 1988 getötet wurde, weil er den brasilianischen Amazonas verteidigte, bis zu Ken Saro-Wiwa, der 1995 von der nigerianischen Militärjunta hingerichtet wurde, weil er den Protest seines Ogoni-Volkes gegen die Zerstörung ihres Landes durch Shell organisierte und anführte. Die Liste derjenigen, die getötet wurden, weil sie die Erde beschützten, ist bereits viel zu lang, doch Gewaltanwendung gegen solche Leute ist laut neusten Meldungen ein wachsender Trend. Allein 2015 wurden mindestens 156 Umweltaktivisten in 25 Ländern ermordet.

Wenn solche ungeheuerlichen Morde begangen werden – wie im März 2016 in Honduras, an Berta Cáceres, der Gewinnerin des Goldman-Umweltpreises –, reagieren wir mit Empörung und verlangen Rechenschaft. Wir diskutieren über Gerechtigkeit und über Strategien, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen; wir fordern unsere Regierungen auf, Sanktionen zu verhängen; und hier in den USA sind wir relativ glücklich, weil wir als Umweltschützer tätig sein können, ohne um unser Leben fürchten zu müssen.

Doch was geschieht, wenn Gerichte und Rechtssysteme, an die wir uns im Notfall wenden können, von den mächtigen Eliten, die wir zur Rechenschaft ziehen wollen, gegen uns verwendet werden? In den USA sind die hinterhältigen Manöver gegen die Verteidiger der Erde subtiler, doch das Ziel ist das gleiche: Bringt die Umweltschützer zum Schweigen, und lasst die Profite weiter wachsen. Ich meine damit die neueste Strategie der amerikanischen Unternehmen und die perverse Art, wie diese die alte Redensart «Angriff ist die beste Verteidigung» ihren Zwecken angepasst haben. Konzerne sind nicht länger damit zufrieden, die Haftung für Schäden an Mensch und Umwelt auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Natürlich verwenden sie nach wie vor die altbewährte Taktik von Abstreiten, Verschleiern und Betrügen. Doch seit sie zusätzlich das Ziel verfolgen, ihre Kritiker auch gleich mundtot zu machen, sind sie zum Gegenangriff übergegangen, indem sie Aktivisten, Anwälte und Non-Profit-Organisationen, die ihre Missetaten aufdecken, mit raffinierten und gut finanzierten Kampagnen aufs Korn nehmen und sie einklagen, überwachen und schikanieren. Sie haben mächtige Alliierte im Kongress und in den Medien, die ihre Bestrebungen zur Einschüchterung, Ablenkung und Schwächung von unliebsamen und materiell klar unterlegenen Organisationen unterstützen.

Als Anwältin und Direktorin einer internationalen NGO für Menschenrechte und Umwelt habe ich bereits direkte Erfahrung mit dieser neuen Realität gemacht: Sie ist eine ernsthafte Bedrohung für die Arbeit meiner Organisation und die Arbeit unserer Partner. Was wir beobachten, ist Folgendes;

Retaliatory litigation (Vergeltungsrechtsstreit): Chevron mag zwar den sogenannten Vergeltungsrechtsstreit nicht erfunden haben, doch ihre Anwaltsfirma Gibson Dunn & Crutcher hat dieses Manöver zweifellos zu einer wahren Kunstform entwickelt. Der Jahrzehnte dauernde Kampf der Gemeinschaften in Ecuador, die von der Verschmutzung des Amazonas durch Chevron betroffen waren, ist schändlich und tragisch zugleich. Obwohl Chevron die Austragung des Rechtsstreits in Ecuador erzwang, verlor die Firma später das Verfahren und wurde angewiesen, den betroffenen Gemeinschaften über 9 Milliarden Dollar Schadenersatz zu bezahlen. Jahre später hat Chevron keinen Rappen davon bezahlt. Stattdessen verklagte der Konzern die betroffenen Ecuadorianer und deren Anwälte vor einem US-Gericht und bezichtigte sie der Verstösse gegen das Gesetz zum organisierten Verbrechen (RICO).

Die RICO-Anklage von Chevron steht auf schwachen Beinen. Doch das will nichts heissen, wenn einem ein unbeschränktes Budget zur Verfügung steht, um den Gegner schlicht zu überwältigen. Zwar ist nicht auszuschliessen, dass die geschädigten ecuadorianischen Gemeinschaften irgendwann doch noch zu ihrem Recht kommen, aber es lässt sich kaum behaupten, Chevron sei mit seiner Strategie, fast alle Beteiligten zu verklagen, erfolglos gewesen. Es gelang dem Konzern nämlich, die Aufmerksamkeit aller Beteiligten vom eigentlichen Problem (nämlich der schändlichen Zerstörung des Amazonas durch Chevron) abzulenken; die Aussicht auf einen langen Rechtsstreit tat das Ihre, um das Interesse an weiteren Rechenschaftsabklärungen auf ein Minimum sinken zu lassen. Die Anwaltsfirma Patton Boggs, welche die ecuadorianischen Gemeinschaften anfänglich vertreten hatte, brach unter dem Druck eines Rechtsstreits mit Chevron ein und liess ihre Klienten sitzen.

Greenpeace wurde kürzlich selbst Zielscheibe einer ähnlichen RICO-Klage. Frei nach Chevron verklagte Resolute Forest Products, ein kanadisches Holzunternehmen, Greenpeace im Mai 2016 wegen Ausübung der freien Meinungsäusserung! Dies könnte fast Anlass zu Heiterkeit geben – wäre da nicht der abschreckende Nebeneffekt, der solchen Klagen eigen ist. Die Klage beruht auf der unverschämten Behauptung, Greenpeace habe sich gemäss RICO strafbar gemacht, weil sie Resolute öffentlich als «Waldzerstörer» bezeichnet habe. Diesen «Tatbestand» mit einer mafiaartigen Verschwörung zu vergleichen, ist lachhaft, nur wissen wir ja vom Fall Chevron, welch grossen Schaden solch haltlose Verfahren anrichten können. Auch im allerbesten Fall wird Greenpeace wertvolle Zeit und Ressourcen opfern müssen, um statt der Umwelt sich selbst zu verteidigen. Darin liegt bereits ein Erfolg für Resolute, ganz gleich, wie der Gerichtsfall letztlich ausgeht. Und es ist ein Verlust für den Planeten und für uns alle, die wir uns mit solchen Störmanövern herumschlagen müssen.

Angriffe auf Finanzquellen, Partner und Klienten: Die Möglichkeiten unternehmerischer Vergeltung sind praktisch unbegrenzt. Nach Einreichung einer RICO-Klage – oder nach einer vergleichbaren Offensivaktion – versuchen die Unternehmen Druck auf Anhänger, Verbündete und Geldgeber ihres RICO-Angeschuldigten auszuüben. Es überrascht kaum, dass Chevron auch bei der Anwendung von taktischen Störmanövern eine führende Rolle spielt. In Ecuador gehörte es zur Strategie von Chevron, die Aktivisten von Amazon Watch und die Umweltexperten der Environmental Law Alliance Worldwide (ELAW) mit Anträgen zu bombardieren und die Geldgeber der Gegenpartei zu verklagen, um so die betroffenen Ecuadorianer und ihr Anwaltsteam daran zu hindern, eine Verteidigung aufzubauen. Unsere Anwälte von EarthRights International verteidigten Amazon Watch und andere Aktivisten, und der Angriff von Chevron konnte abgewehrt werden. Aber gegen solche Widerstände eine Verteidigung aufzubauen und durchzuziehen, kostet uns und unsere Klienten eine Menge wertvolle Ressourcen. Alle Beteiligten hatten während eines Jahres alle Hände voll zu tun, um die Vorladungen von Chevron abzuwehren. Genau darum ging es natürlich, und wir wissen inzwischen, dass wir auf weitere solche (frivole) Rechtsfälle gefasst sein und uns darauf vorbereiten müssen. Chevron ist natürlich kein Einzelfall. Als Bananen-Bauern in Nicaragua Dole vor Gericht zogen, weil wegen der von Dole verwendeten Pestizide viele von ihnen an Unfruchtbarkeit litten, verklagte Dole einen schwedischen Dokumentarfilmer wegen Verleumdung. Der Filmemacher Fredrik Gertten setzte sich erfolgreich gegen die Verleumdungsklage zur Wehr, doch das Los Angeles Film Festival, von Dole unter Druck gesetzt, zog dessen Film aus dem Wettbewerb zurück.

Wirtschaftsspionage und Überwachung: Fast jede multinationale Unternehmung hat heute eine Abteilung für interne Sicherheit. Aber einige Unternehmen unterhalten mittlerweile eine Art von Geheimdienst, der die Aufgabe hat, Aktivisten zu beschatten und zu belästigen. Diese Geheimdienste bestehen zu einem grossen Teil aus ehemaligen oder sogar aktiven CIA-Agenten. Was sie treiben, ist zum Teil erschreckend. Im November 2013 veröffentlichte Gary Ruskin einen höchst lesenswerten Bericht, in dem er die Taktiken schildert, die Unternehmen gegen Aktivisten in den USA anwenden. Dazu gehören: Hacking, Telefonüberwachung, physische Überwachung, Undercover-Agenten und Eindringen in fremde Häuser und Wohnungen. Was wir über Wirtschaftsspionage wissen, ist offenbar nur die Spitze des Eisbergs. Und das sollte uns zu denken geben.

Die schmutzige Arbeit lassen sie vom Kongress und von den Medien erledigen: Als ob die reichsten Unternehmen der Welt nicht schon Vorteile genug hätten, ziehen sie auch die Medien und ihre Verbündeten im Kongress bei, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Die rechtskonservative «Washington Times» zum Beispiel belästigte Amazon Watch (und deren Geldgeber) mit  irreführenden Fragen zu deren Bemühungen, Chevron in Ecuador für die Verschmutzung des Amazonas zur Rechenschaft zu ziehen. Und der US-Kongress seinerseits untersucht Gruppen, die von Exxon Informationen verlangt haben und die Ölfirma für ihre Lügen zum Klimawandel zur Rechenschaft ziehen wollen.

Als Gemeinschaft haben wir erkannt, dass wir uns zusammentun müssen, um die Gewalt gegen Umweltaktivisten zu stoppen. Ich bin mit einem solchen Aktivisten verheiratet, und darum verfolge ich als Mutter und Ehefrau diese Entwicklungen mit einem Gefühl der persönlichen Dringlichkeit. Doch als Anwältin weiss ich auch, dass wir die gleiche Einigkeit im Kampf gegen die rechtlichen Vergeltungsstrategien brauchen, mit denen die Grosskonzerne die Umweltaktivisten in den USA unterkriegen wollen. Diese Ereignisse stehen nicht isoliert und ohne Zusammenhang da. Lassen wir uns nichts vormachen: Es gibt sehr wohl ein Buch mit Tools und Strategien für Unternehmen, die wissen möchten, was zu tun ist, wenn lästige Umweltschützer ihnen im Weg stehen. Wir müssen dafür sorgen, dass Organisationen und Individuen, die Bedrohungen irgendwelcher Art (physisch, digital und rechtlich) ausgesetzt sind, entsprechende Unterstützung und Mittel zur Verfügung stehen, um dagegen anzukämpfen. Umweltaktivisten dürfen nicht mundtot gemacht werden. Unter keinen Umständen.

In Englischer Originalfassung erschienen auf Huffington Post.

Katie ist Mitbegründerin und Direktorin von EarthRights International (ERI) in Washington DC. Sie ist Absolventin der Colgate University und der University of Virginia School of Law (UVA), wo sie mit dem Robert Kennedy Award für Menschenrechte und Dienste an der Öffentlichkeit  ausgezeichnet wurde. Sie ist Mitglied der Anwaltskammer des Obersten Gerichtshofes der USA und der Anwaltskammer des Staates Massachusetts. Sie hat als Anwältin Kläger in verschiedenen ERI-Gerichtsverfahren vertreten, so unter anderem im Grundsatzrechtsstreit Doe vs. Unocal. Katie erhielt 1995 eine Echoing Green Fellowship zugesprochen, um ERI zu gründen, und arbeitet seither je zur Hälfte im Asien- und im US-Büro von ERI. Neben ihrer Arbeit als Anwältin in ERI-Gerichtsverfahren und ihrem Lehrauftrag an den EarthRights-Schulen dient Katie als Lehrbeauftragte für Recht an der UVA und am Washington College of Law an der American University. Sie sitzt im Ausschuss des Bank Information Center (BIC), des Center for International Environmental Law (CIEL) und von United4Iran. Sie ist Autorin von Publikationen zu Themen aus dem Bereich Menschenrechte und Unternehmensverantwortung. 2006 wurde sie zum Ashoka Global Fellow ernannt. Katie wurde in verschiedenen Medien porträtiert, so in den Büchern «Be Bold» und «Your America: Democracy’s Local Heroes» sowie im preisgekrönten Dokumentarfilm «Total Denial».