Der Onlinehandel hat den Ruf, die Umwelt zu schädigen. Der vermehrte Güterverkehr produziere Stau und Treibhausgase, mehr als der Einkauf in der Ladenmeile. Doch ist die Lage wirklich klar? Eine deutsche Studie befeuert die Diskussion um den ersten Platz im Klimahimmel.
Die Wetten für das Rennen sind gesetzt. Der schwere Motor brummt. Bis unters Dach ist der Lastwagen mit Paketen gefüllt. Alle sind sie gekommen: die Konsumenten, die Onlinehändler, die Ladengeschäfte – und nicht zuletzt auch wir, die Besserwisser. Wir wollen es genauer wissen. Kann die komfortable Lieferung unserer Schuhe in die heimische Stube umweltfreundlicher sein, als wenn wir sie vor Ort einkaufen?
Startklar für das Rennen: Gemessen wird der CO2-Ausstoss
Eine Studie des politisch und wirtschaftlich unabhängigen Deutschen CleanTech Instituts (DCTI) kommt zum Schluss: Ja, sie kann. Trotz vieler Warenrücksendungen ist online einkaufen ökologischer. Die Studie von 2015 unter der Leitung von Linda Fahmy vergleicht die CO2-Bilanz des Online- und des stationären Einkaufs in Deutschland. Die Daten stammen von der Otto Group und ihrem Auslieferer Hermes sowie einer Befragung von tausend Konsumentinnen und Konsumenten. Betrachtet wird die so genannte «letzte Meile»: der Weg, den das Paket vom Lager bis zu mir auf dem dem Küchentisch zurücklegt.
Das Ergebnis überrascht. Doch während der Konsument seine Einkäufe noch klassisch mit dem Auto erledigt, setzt der Onlinehandel bereits auf eine effizientere Warenauslieferung. Die fängt schon bei der Verpackung an. 1,5 Liter Luft wurden pro Päckchen seit der Optimierung eingespart. Das sind über 500 LKW-Ladungen pro Jahr in Deutschland. Die Pakete werden ausgeklügelt zugestellt, um zweimalige Anfahrten zu vermeiden. So spart man Sprit – und damit bares Geld.
Onlinehändler tüfteln fleissig an neuen Lösungen, um den Verbrauch von Treibstoff zu reduzieren – sei es beim sechstonnigen Elektro-LKW, der ab November auf der deutschen Strasse fährt, oder beim Umwelthinweis, die Bluse nur in einer Grösse zu bestellen, um Retouren zu vermeiden. Die Ökologie steht dabei nicht im Vordergrund, sondern das Geld. Willkommener Nebeneffekt: Das Klima wird geschont.
Boxenstopp – Blick auf die Messgeräte: Onlinehandel liegt vorn
Doch kann man einer Studie glauben, die vom Onlinehandel in Auftrag gegeben wird? Der Mobilitätsforscher Thomas Sauter-Servaes von der ZHAW School of Engineering in Winterthur stellt diese Frage in den Raum. Er zweifelt nicht an der Methodik. Jedoch: «Da werden gewisse Parameter nach Belieben ein- und ausgeblendet.» Die Herstellung des Verpackungsmaterials werde nicht einbezogen, genauso wenig Emissionen durch die Lagerhalle. Besonders fehle ihm «das Potenzial, das Menschen in der Stadt haben. Das finde ich schade.» Denn der Konsument könne – rein theoretisch – zu Fuss einkaufen gehen. Und das produziert kein CO2.
Runde zwei: Der stationäre Einzelhandel überholt
Studienleiterin Linda Fahmy vom DCTI bestätigt diese Aussagen. «Würde man alles rund um die Verpackung einberechnen, könnte das Ergebnis anders ausfallen.» Doch stünden dazu von Otto und Hermes keine Daten zur Verfügung.
Den Konsumenten zu Fuss dagegen habe man bewusst nicht einberechnet. Die Realität zeige ein anderes Bild. Die Befragten hätten gesamthaft angegeben, mit dem Auto einzukaufen. Sie habe es aus Interesse einmal aus der Rechnung genommen, so Fahmy, und das Ergebnis sei eindeutig. «Das Auto killt einfach jede Klimabilanz.»
Runde drei: Der Konsument kauft nochmal ein
Der Güterverkehr hat durch den Onlinehandel zugenommen. Das ist sicher. Was uns Besserwisser irritiert: Die Studie hinterlässt den Eindruck, die Konsumenten liessen durch den Onlineeinkauf das Auto öfter in der Garage stehen. Es sollte also weniger privater Personenverkehr auf dem Weg zur Shoppingmeile unterwegs sein als noch vor fünf Jahren. Doch stimmt das? Das Schweizer Bundesamt für Statistik wird erst im Mai 2017 die neuen Zahlen zum Mobilitätsverhalten auf der Strasse veröffentlichen. So lange steht der Verdacht im Raum: Es wird nicht besser konsumiert, sondern nur mehr.
«Ohne es belegen zu können, würde ich dies vermuten», sagt Moritz Mottschall vom Öko-Institut. Ihm sei jedoch noch keine Untersuchung dazu bekannt, inwieweit sich die neuen Einkaufsmöglichkeiten auf das Mobilitätsverhalten auswirken. Oft werde davon ausgegangen, dass immer die gleiche Zeit für die Mobilität verwendet wird. Es sei deshalb gut möglich, dass die durch Onlineshopping eingesparte Zeit für andere, zusätzliche Wege verwendet wird. Dies könnte die errechneten CO2-Einsparungen komplett zunichtemachen.
Im Ziel: Wer gewinnt?
Der Onlinehandel hat zurzeit die Nase vorn – der Online-Shopper darf sich vorerst besser fühlen. Der wahre Gewinner ist jedoch, wer mit dem Velo fährt statt mit dem Auto. Dem stimmt auch Sauter-Servaes zu. Statt nun den Onlineeinkauf hochzuloben, solle man besser eine Stadt der kurzen Wege schaffen. Eine Durchmischung von Wohnen, Einkaufen und Leben mache die Fahrt mit dem Auto oft überflüssig. Auch Moritz Mottschall vom deutschen Öko-Institut weist in diese Richtung: «Wichtiger als den Vergleich der CO2-Emissionen finde ich die Analyse, wo ich konkret ansetzen kann, um die Umweltauswirkungen zu reduzieren.» Und wir Besserwisser wissen nun zumindest: Nächstes Mal gehen wir zu Fuss einkaufen.
Auf in die Schweiz!
Ob die Studie in der kleinräumigeren Schweiz zum gleichen Ergebnis gekommen wäre, ist offen. Es gibt bis anhin keine Untersuchungen dazu. Auch sonst sind viele Fragen ungeklärt. Der Stromverbrauch in Geschäften und Logistikzentren könnte das Ergebnis stark verändern. Moritz Mottschall vom Öko-Institut in Deutschland vermutet: Aufgrund der Wasserkraft in der Schweiz würden die Emissionen hierzulande in beiden Bereichen deutlich niedriger ausfallen als in Deutschland. Zudem ist der Anteil des schienengebundenen Güterverkehrs in der Schweiz (48,5%) deutlich höher als in Deutschland (23,4%). Es wäre wünschenswert, in einer Schweizer Folgestudie den Einfluss auf die beiden Einkaufsoptionen im Detail zu beleuchten.