Die Beznau-Betreiberin informiert die Bevölkerung völlig unzureichend über den Zustand des ältesten AKW der Welt. Was hat die Axpo zu verbergen?
Prolog: Neutronenfeuer
Niemand vermag sie zu zählen, all die Neutronen, die in all den Jahrzehnten im Reaktor von Beznau auf die Stahlwand des Druckbehälters geprasselt sind. Niemand weiss, was dieses Feuerwerk genau angerichtet hat mit dem Herzstück des AKW. Klar ist nur: Sie haben den Stahl zermürbt; versprödet, wie es im Fachjargon heisst.
1. Akt: Schwarzmaler
Ein paar wenige Menschen wissen etwas genauer, wie zermürbt der Reaktordruckbehälter von Beznau ist. Und wenn es nach ihnen geht, dann sollen sie die Einzigen bleiben. Auf rund tausend Seiten hat die Axpo dokumentiert, wie es um das alte Herzstück ihres AKW steht. Greenpeace Schweiz will diese Geheimniskrämerei beenden und fordert, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, die Herausgabe des Berichts. Die einleuchtende Begründung: Die Bevölkerung – immerhin die Leidtragende, wenn es beim ältesten AKW der Welt zum Schlimmsten kommt – hat ein Recht auf vollständige Information. Doch dieses Anrecht auf Transparenz wird von der Axpo und der Atomaufsichtsbehörde ENSI verwehrt: Trotz langem juristischem Hin-und-her erhält Greenpeace gerade einmal 50 Seiten des Berichts. Und selbst diese sind fast bis zur Unkenntlichkeit mit Schwarzstift bearbeitet worden.
2. Akt: «Unregelmässigkeiten»
Manchmal braucht man keinen Schwarzstift, um unliebsame Informationen zu verdecken. Statt hinter schwarzer Farbe kann man was einem unangenehm ist auch hinter Worthülsen verstecken. Am 16. Juli 2015 verschickt die Axpo eine Medienmitteilung mit dem schönen Titel «Kernkraftwerk Beznau: Reaktordruckbehälterdeckel erfolgreich aufgesetzt – Zeitliche Anpassungen bei den Revisionen von Block 1 und 2». Die Meldung, die sich hinter diesem Titel versteckt, hat Zündstoff: Im zermürbten Herzstück von Block 1 des AKW Beznau wurden bei Ultraschalluntersuchungen Schwachstellen entdeckt – was die Axpo natürlich nicht so schreibt. Sondern so: Es seien «an einigen Stellen Anzeigen registriert» worden, «die auf minimale Unregelmässigkeiten aus dem Herstellungsprozess hinweisen». Die Wiederinbetriebnahme des ältesten AKW der Welt verschiebe sich voraussichtlich auf Ende Oktober 2015.
Heute, Anfang November 2016, ist Beznau 1 noch immer nicht am Netz. Und es brauchte erst eine Indiskretion aus der Energiekommission des Nationalrats, damit nur die Zahl der Schwachstellen ans Licht kam: Es sind fast 1000. Ein paar weitere Informationströpfchen liess die Axpo ab und an ihren Informationsfilter passieren. Dann nämlich, wenn es ihrem Ziel, Beznau wieder in Betrieb zu nehmen, dienlich schien. Oder wenn der öffentliche Druck doch zu gross werden drohte.
3. Akt: Druck
Druck aufbauen, ein Schlaglicht zu werfen auf unsaubere Geschäftspraktiken, das gehört zu den Kernkompetenzen von Greenpeace. Unterstützt von 40 weiteren Organisationen lanciert die Umweltorganisation im Frühling 2016 eine klare Forderung an die Versteckis-Spieler bei der Axpo: Die Beznau-Betreiberin soll alle Fakten zum Zustand des AKW auf den Tisch legen und sich dann einem öffentlichen Hearing mit unabhängigen Experten stellen.
Über 8000 Privatpersonen sind es letztlich, welche die Axpo ebenfalls auffordern, sich dem Hearing zu stellen. Diese weigert sich – ein Hearing sei «nicht zielführend».
Mit anderen Worten: Das Ziel der Axpo ist es offenbar nicht, die Bevölkerung umfassend zu informieren. Ob es vielleicht andere Mittel und Wege gibt, Licht in die Blackbox Beznau zu bringen?
https://www.youtube.com/watch?v=5wl0r1AO6oU
Die Axpo, beziehungsweise deren Medienchef Rainer Meier, hat für die ernst gemeinte Aufforderung von Greenpeace nur Häme übrig:
@Oliver_Classen @fkasser @axpo @Weltwoche @alex_baur Übrigens: war heute DER Brüller in Beznau. Bin sicher, es kommt kistenweise Material-;)
— Rainer Meier (@rainmeie) 1. September 2016
Dies lassen Greenpeace-AktivistInnen nicht auf sich sitzen. Kurze Zeit später verwandeln sie den Axpo-Hauptsitz in Baden in eine Blackbox. Als Erinnerung dafür, was die Öffentlichkeit von der Axpo fordert, hinterlassen sie ein grosses Transparent mit dem Hinweis «Wir haben ein Recht auf Transparenz», auf das sie die Namen sämtlicher über 8000 Personen schreiben, die den Aufruf an die Axpo unterzeichnet haben.
4. Akt: Anhörung
Ein Donnerstagabend Ende Oktober. Der Saal 36-3 im Trafo Baden ist voll. Über 100 Personen haben sich eingefunden, um sich selbst ein Bild zu machen über den Zustand des AKW Beznau. Das im Frühling geforderte öffentliche Hearing, heute findet es statt. Und, man höre und staune, sogar die Axpo ist anwesend. Also zumindest ein bisschen. Echte Transparenz wird die AKW-Betreiberin auch an diesem Abend nicht herstellen. Aber immerhin ihren Kommunikationschef Rainer Meier auf dem Politpodium Stimmung machen lassen gegen die Initiative für den geordneten Atomausstieg, die einen Monat später zur Abstimmung kommt.
Vorher aber streiten sich die Expertinnen mit den Experten. Material-Expertin Simone Mohr vom Öko-Institut hält gleich zu Beginn fest, wie dürftig die Informationspolitik der Axpo ist verglichen mit den von ähnlichen Problemen geplagten belgischen AKW-Betreibern: «In der Schweiz gab es lediglich drei Axpo-Mediengespräche mit technisch nicht unbedingt ausreichendem Inhalt.» Die Axpo wiederum erhält Schützenhilfe für ihre Botschaft, die Schwachstellen im Herzstück seien harmlos, von Ulf Ilg, einem Material-Ingenieur, der im deutschen AKW Philippsburg gearbeitet hatte. Die Schwachstellen, gemäss der Axpo als Aluminiumoxid identifiziert, hält Ilg für harmlos: «Oxide sind ganz normal.» Gemäss internationalen Richtlinien haben aber solche sogenannten Inhomogenitäten im Reaktorstahl nichts zu suchen.
Der Rest der Experten-Debatte entzieht sich dann weitgehend dem Laien-Verständnis. Was bleibt sind zwei Erkenntnisse: Die Blackbox Beznau bleibt dicht, und die Einschätzungen zur Sicherheit eines AKW gehen selbst bei profunden Kennern der Materie weit auseinander. Beides nicht unbedingt vertrauenserweckende Befunde.
5. Akt: Kampf
Wenn selbst unter Experten in keiner Weise Konsens herrscht zur Sicherheit eines AKW, dann wird diese Verhandlungssache und Juristenfutter. Das zeigt eine Enthüllung der «SonntagsZeitung» vom vergangenen Wochenende erneut: Die Axpo versucht auf juristischem Weg diejenige Verordnung auszuhebeln, die massgeblich die Sicherheitsbestimmungen der AKW festlegt. Jene Verordnung, auf die sich Bundesrätin Doris Leuthard im laufenden Abstimmungskampf zur Atomausstiegsinitiative implizit beruft, wenn sie ihr Mantra wiederholt, die AKW sollen solange laufen, wie sie «sicher» sind. «Die Axpo fällt Doris Leuthard in den Rücken», hält Florian Kasser, Atomexperte von Greenpeace Schweiz, fest. Und sie erweist so den Gegnern der Initiative mit diesen – selbstverständlich zuvor geheim gehaltenen – juristischen Winkelzügen einen Bärendienst.
Wie ein verwundeter Bär verhält sich die Axpo denn auch im Abstimmungskampf. Es wirkt verzweifelt, wenn ihr Chef Andrew Walo gleichentags in der «NZZ am Sonntag» die grosse Keule auspackt und mit Schadenersatzklagen in der Höhe von 4 Milliarden Franken droht, falls die Initiative angenommen wird. Die Drohung ist so leer wie die Kassen der Axpo. Rechtsexperten – selbst aus den Reihen der atomfreundlichen SVP – rechnen nicht damit, dass die Stromkonzerne für ihre Steuergeldverdunster-AKW tatsächlich Schadenersatz erhalten.
Epilog: Bye-bye Beznau
Die Hoffnung, dass die Axpo irgendwann doch noch Licht in die Blackbox Beznau bringt, sie muss, nüchtern betrachtet, als relativ gering eingeschätzt werden. Die Hoffnung seitens der Axpo, mit all den Tricksereien und all der Heimlichtuerei zu erreichen, dass das AKW Beznau tatsächlich noch seinen 60. Geburtstag feiert (was die Axpo ernsthaft anzustreben vorgibt), kann nicht viel grösser sein. Das Ende des ältesten AKW der Welt, es ist nahe.
Und damit wird es langsam wirklich gefährlich.
Die Gefahr ist gross, dass die finanziell angeschlagene Axpo noch den letzten Batzen rauspressen will aus dem alten Werk, ohne in die Sicherheit zu investieren. Um diese Gefahr zu bannen, bleibt als einzige vernünftige Lösung: dem ältesten AKW der Welt den Stecker ziehen, bevor es zu spät ist – auch ohne zu wissen, in welchem Zustand es sich genau befindet.
Die Hintergründe zur Geschichte findest du unter http://byebyebeznau.ch/wissenswertes/