Das Atomkraftwerk prägt die Gemeinde Mühleberg seit vierzig Jahren. Die Bevölkerung hat sich gut mit ihrem Meiler arrangiert, Kritik daran ist rar. Wenn überhaupt, dann sorgen sich die Mühleberger nicht um den Betrieb, sondern um das baldige Ende des AKW.
Mühleberg, das sind prächtige, sorgfältig renovierte Bauernhöfe, die Fenstersimse mit Geranien geschmückt. Davor ordentliche Gärten, in denen Frauen und Mannen im Pensionsalter zwischen blühenden Begonien, fröhlichen Margeriten, strahlenden Sonnen blumen und pastellfarbenem Mohn stehen und dem Unkraut den Garaus machen. Es ist, als wären die Zumutungen der Globalisierung an diesem gotthelfschen Idyll vorbeigezogen. Hier gibt es praktisch keine Ausländer, keine Expats und keine Flüchtlinge, das Landwirtschaftsland blieb vor Umzonungen verschont und wurde nicht auf dem Immobilienmarkt verhökert. Das Kleingewerbe trotzt der Billigkonkurrenz. Milch und Eier kauft man noch direkt ab dem Hof, alles andere beim Volg im Dorf.
Vom Vorplatz der kalkweissen Kirche, die etwas erhöht über Mühleberg thront, hat man einen schönen Überblick über die 15 Weiler, aus denen die Gemeinde mit ihren 2870 Einwohnern besteht. Die Hälfte der 26 km2 Gemeindefläche sind Felder und Wiesen, ein Drittel Wald. Westwärts wandert der Blick Richtung Bielersee und Jura; ostwärts in bewaldete Hügel, hinter denen sich die Aare und der Wohlensee verstecken. Dort hinten, hinter dem Chräjeberg, muss es irgendwo sein, das «Atomi», wie manche Mühleberger ihr Atomkraftwerk liebevoll nennen. Ein Monstrum sucht man hier vergebens: weit und breit kein Betonklotz und Kühlturm, aus dem eine bedrohliche Wasserdampffahne steigt, wie in Gösgen. Mühleberg ist ein dezenter Meiler, dem es wohl ist in seiner Senke – er will kein Aufsehen erregen. «Es gibt in die Gemeinde Zugezogene, die das AKW noch nie gesehen haben», sagt ein Gemeinderat.
Über 30 Jahre lang im Fokus der Anti-AKW-Bewegung
Mühleberg, seit 1972 am Netz, ist das drittälteste AKW der Schweiz. Nirgends war der Widerstand so hartnäckig und konstant wie hier. Es gab Proteste vor dem Werk, friedliche Anti-AKW-Märsche durchs Dorf, politisches Hickhack, Petitionen, kritische Blogs und medienwirksame Aktionen, wie im September 2000, als ein Aktivist mit einem motorisierten Gleitschirm auf dem Reaktordach landete. Kritiker bemängelten immer wieder die fehlende Sicherheit des Reaktors. Gleichwohl erhielt Mühleberg 2009 vom Bund eine unbefristete Betriebsbewilligung. Dagegen klagte ein Verein langjähriger Aktivisten gemeinsam mit Anwohnern. Das Bundesverwaltungsgericht gab ihnen Recht.
Aufällig war dabei: Von den beschwerdeberechtigten Unterzeichnern, die in den Zonen 1 und 2 wohnen, welche am stärksten von einem Reaktorunfall betroffen wären, war kein einziger aus der Gemeinde Mühleberg. Alle 15 Unterzeichner der Zone 1 wohnten in Nachbargemeinden. «Hie het nie öpper Angscht gha vor em AKW», versichert Gemeindepräsident René Maire in breitem Berndeutsch.
«Mülebärg isch guet binang.» Der stämmige Mittfünfziger mit borstigem Schnurrbart, von Beruf Käsereimeister und politisch in der SVP zuhause, ist kein Hardliner und für einige seiner lokalen Parteigenossen zu moderat. Kürzlich wurde er als Betriebsleiter der Käserei Juchlishaus von der Milchgenossenschaft abgewählt – manche im Dorf sagen, weil er zum Schutz der Kinder eine Verkehrsberuhigungsmassnahme um das neue Schulhaus mitverantwortet hatte. Das erzürnte die Bauern, die fortan mit ihren Traktoren und Heuwagen über Inseli und Högerli holpern müssen. Maire führt den Bruch auf seine Doppelfunktion als Betriebsleiter und Gemeindepräsident zurück sowie «äs gwüsses Misstrouä» ihm gegenüber.
Ein Reaktor wie in Fukushima
Im AKW Mühleberg arbeitet ein Siedewasserreaktor amerikanischer Bauart, baugleich wie die älteren Blöcke des Kernkraftwerks Fukushima-Daiichi. Würde sich in Mühleberg ein vergleichbarer Unfall ereignen, müssten 185 000 Menschen umgesiedelt werden – darunter alle Einwohner der Stadt Bern. Zu diesem Ergebnis kam ein Gutachten des deutschen Öko-Instituts von September 2012, das von den Organisationen Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz, Ärzte für soziale Verantwortung sowie Greenpeace in Auftrag gegeben wurde. Würden wie in Fukushima grosse Mengen Radioaktivität in die Aare und den Bielersee gelangen, blieben die Seeufer für Jahrzehnte gesperrt und Biel könnte kein Trinkwasser mehr beziehen. Ernten bis weit ins Allgäu müssten verbrannt werden.
«Für Auswärtige ist das AKW ein viel grösseres Thema als für uns Mühleberger.»Kamen da bei Maire keine Zweifel auf am Atommeiler vor der eigenen Haustür? «Fukushima, das isch salopp usdrückt eifach verschlampet worde, me het zwenig i d Sicherheit investiert.» Und Tschernobyl 25 Jahre zuvor? Da het’s ne eifach d Chischte überhitzt, wöu sids Letschte hei wöuä usäpresse.» Vergleichbar sei das nicht, sagt Maire. Schliesslich würde auch niemand die Praktiken einer Schweizer Firma mit einer ukrainischen vergleichen.
Trotzdem entschied die BKW im Oktober 2013, das AKW Mühleberg per Ende 2019 stillzulegen – nicht aus ideologischen, sondern aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Danach soll das Werk in 15-jähriger Arbeit zurückgebaut werden. Kostenpunkt: über zwei Milliarden Franken. Atomkritikern ging dieser «geordnete Ausstieg» nicht schnell genug. Jürg Joss, der seit 27 Jahren gegen den Betrieb von Mühleberg mobilisiert, sagt: «Die letzten Betriebsjahre eines AKWs sind die gefährlichsten.» Der Entscheid zur Stilllegung gaukle eine falsche Sicherheit vor. Joss und seine Weggefährten wollen deshalb, dass der Reaktor sofort vom Netz geht. Das Berner Stimmvolk verwarf dieses Ansinnen am 18. Mai 2014 mit einer deutlichen Zweidrittelmehrheit. In der Gemeinde Mühleberg sprachen sich sogar 75 Prozent dagegen aus.
Genug vom medialen Interesse
Wo man sich im Dorf auch umhört, das vom Gemeindepräsidenten vermittelte Bild bestätigt sich: Das AKW scheint weder Ursache von Ängsten noch Grund für hitzige Debatten zu sein. «Für Auswärtige ist das AKW ein viel grösseres Thema als für uns Mühleberger», konstatiert die Wirtin des Restaurants Traube, bei der immer wieder Journalisten mit Mikrofonen und Kameras durch die Gaststube rennen. Auch die Bäckerin hat hundertprozentiges Vertrauen in die BKW. «Was soll da schon passieren?», fragt sie. «Denen wird dermassen auf die Finger geschaut.» Irgendwoher müsse man den Strom ja beziehen. Sie verstehe die AKW-Gegner manchmal nicht, wie sie da sitzen im Bundeshaus, hinter ihren Laptops, ohne sich zu fragen, woher der Strom für die Geräte kommt.
Der Dorfpfarrer, Christfried Böhm, erinnert sich, dass die Gemeinde selbst nach dem Reaktorunfall in Fukushima von 2011 sehr pragmatisch mit den Risiken des eigenen AKWs umgegangen sei. Wenn das AKW damals überhaupt Ängste ausgelöst habe, so der Pfarrer, dann wegen dem darauffolgenden Entscheid der BKW, dieses 2019 vom Netz zu nehmen. Die Konsequenzen der Stilllegung für die Gemeinde: Das brenne einigen unter den Nägeln. Schliesslich arbeiten auch heute noch rund 60 Mühleberger ännet em Chräjeberg, einige fürs Wasserwerk, die meisten fürs AKW. Hinzu kommt das lokale Gewerbe: Die «Trauben»-Wirtin besorgt das Catering für so manchen BKW-Anlass in der Region. Die Bäckerin hat bis vor eineinhalb Jahren, als der Küchenchef sich für Aufbackware entschied, die BKW-Kantine mit frischen Gipfeli beliefert. Und so mancher Mühleberger vermietet während der jährlichen mehrwöchigen Revision ein Zimmer an die ausländischen Inspektoren, die zu Hunderten in die Gemeinde strömen; manche seit vielen Jahren. Die Inspektoren sind zu Freunden geworden – sie werden ab 2019 wegbleiben.
Die BKW ist in der Gemeinde nicht nur als Arbeitgeberin gut angesehen. Das Unternehmen pflegt auch einen innigen Kontakt mit seiner Standortgemeinde. Wenn immer etwas geplant wird: Die Mühleberger sind die Ersten, die davon erfahren. Für die Infoveranstaltungen im Schulhaus reist der oder die CEO an. Die Bewohner werden ins Werk eingeladen, wo man sie aus erster Hand über die neusten Sicherheitsmassnahmen informiert. Die Botschaft ist stets dieselbe: Wir spielen mit offenen Karten, erfüllen sämtliche Vorschriften, unsere Leute haben alles im Griff, es gibt nichts zu befürchten. Danach werden Häppchen und Weisswein offeriert.
Die BKW beteiligt sich auch an der Instandhaltung von Strassen, die sie mitbenützt. Und seit klar ist, dass sie die Mitarbeitenden über 2019 hinaus beschäftigen und als Unternehmen während des 15-jährigen Rückbaus am Standort präsent sein will wie zuvor, sind auch die Existenzängste weitgehend verpufft. «Die BKW ist eine Musterschülerin. Sie hat in Mühleberg noch nie einen Fehler gemacht», rühmt Christian Wyss, Vizepräsident der SP Mühleberg. Der langjährige AKW-Gegner gesteht: «Wenn schon ein AKW, dann möchte auch ich, dass es von diesen Leuten betrieben wird.» Selbst die Dorfjugend scheint entspannt mit dem Atommeiler vor der Haustür zu leben. Die Jugendarbeiterin Regula Vonwyler hat mit ihren Schützlingen jedenfalls schon lange keine einschlägigen Diskussionen mehr geführt: «Wenn sich einige Sorgen machten, dann wegen der baldigen Stillegung des AKWs», erinnert sie sich. «Ich vermute, weil die Eltern im AKW arbeiten.»
Träumen von der Moderne
Um das gute Verhältnis zur BKW zu ergründen, muss man einen Blick in die Geschichte von Mühleberg werfen. Die Politiker der bis Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend von der Landwirtschaft abhängigen Gemeinde waren der Modernisierung früh zugewandt. 1917 wurde Mühleberg zum Standort einer 240
Meter langen Staumauer und eines Elektrizitätswerks an der Mündung der Aare zum Wohlensee. Anfang der 60-er Jahre sollten die Dämme einer vorindustrialisierten Zeit komplett eingebrochen werden: Der Kanton Bern plante mit dem Segen des Gemeinderats einen interkontinentalen Flughafen auf dem Gemeindeboden. Mühleberg sollte zu dem werden, was Kloten heute für Zürich und die Schweiz ist. Das megalomane Projekt verschwand dann allerdings in der Schublade. Dafür hiess im Oktober 1966 der Gemeinderat das Baugesuch der BKW für ein Atomkraftwerk einstimmig gut.
Ein internationales Konsortium, gebildet von General Electric und BBC, (schweiz. Elektronikkonzern Brown, Boveri & Cie, 1988 mit ABB fusioniert) führte den Bau aus. Die Gemeinde fühlte sich geschmeichelt; nicht einmal eine Standortentschädigung handelte der Gemeindepräsident aus. Eine Einfriedung des Areals wurde als unnötig befunden, das AKW war frei zugänglich – so als hätte sich einfach irgendein fortschrittliches Technikunternehmen an der Aare niedergelassen.
Mit dem AKW kamen die Arbeitsplätze: Rund 350 Physiker, Ingenieure und Techniker fanden eine Stelle, oft auf Lebenszeit. Anfänglich wohnten die meisten Mitarbeitenden noch im Dorf. Dafür baute die BKW eigens die Siedlung Steinriesel: zweistöckige Mehrfamilienhäuser mit rund hundert Wohnungen. Das «Atomdörfli» ist bei den Mühlebergern und Mühlebergerinnen bis heute als Wohnort beliebt.
Die hohen Gewinne der BKW bescherten der Gemeinde goldene Jahre: Schulden wurden abbezahlt und der Steuerfuss gesenkt, so dass er heute zu den tiefsten im Kanton Bern gehört. Die Siedlung unterhalb des Dorfkerns ist umgeben von Weizenfeldern, Kirschbäumen, weidenden Kühen und Wald; sie hat einen eigenen Spielplatz und manche schätzen die grosszügigen Schrebergärten.
Das enge Zusammenleben zeigt sich auch in der Politik: Von 1949 bis 1970 hatte ein ranghoher BKW-Mitarbeiter Anrecht auf einen Sitz im elfköpfigen Gemeinderat. Seit die Manager des AKWs nicht mehr selbst im Dorf leben und der siebenköpfige Rat im Proporzverfahren gewählt wird, gilt dies nicht mehr. Heute sei die Gemeindeverwaltung weder direkt noch indirekt mit der BKW verhängt, versichert der Gemeindepräsident. Dass dieser traditionell ein SVP oder FDP Mann ist, der den Anliegen der BKW wohlgesinnt ist, dürfte für die BKW trotzdem vorteilhaft sein.
Zusätzlich zu den Arbeitsplätzen brachte die BKW Kapital. Seit der Inbetriebnahme des AKWs zahlt sie der Gemeinde Liegenschaftssteuern, aktuell jährlich etwa 600 000 Franken. Hinzu kommen Gewinnsteuern, die vom Jahresergebnis der BKW abhängen. Laut SP Vizepräsident Wyss, der selbst zwölf Jahre im Gemeinderat sass, stammen heute von den zwölf Millionen Jahresbudget rund eine von der AKW-Betreiberin. Mühleberg baute ein neues Schulhaus und rüstete das Dach komplett mit Photovoltaik aus. Der dafür notwendige Zusatzkredit wurde vom Gemeinderat ohne Diskussion durchgewinkt. Solche Freiheiten verbinden, das schafft Loyalität über Generationen und Parteigrenzen hinweg. Wer will unter solchen Bedingungen schon allzu laut Kritik üben?
Die Kritik der Zugezogenen
Trotzdem gibt es Mühleberger und Mühlebergerinnen, die das AKW offen kritisieren. Alan Šavar gehört dazu. Er führt in Biel ein Hotel und wohnt seit zehn Jahren im Dorf. In den Medien und über Facebook hat er sich mehrmals für einen Atomausstieg ausgesprochen. Als Risse im Reaktormantel publik wurden, habe er das Vertrauen in die BKW und in die Aufsichtsbehörde ENSI verloren. Dass der Reaktor 2019 vom Netz geht, sei eine Erleichterung, auch wenn ihm der strahlende Abfall darüber hinaus Sorgen bereite. Šavar ist überzeugt: Die positive Einstellung zum AKW in der Gemeinde ist gekauft. «Ich kann mir gut vorstellen, dass nach all dem, was man heute über diesen Reaktor weiss, viele in Mühleberg ähnlich denken wie ich, aber die meisten wollen sich nicht exponieren.» Tatsächlich fällt auf, dass es meist Zugezogene sind, die sich kritisch äussern. Oder zumindest solche, die nicht in der Gemeinde arbeiten. Als gäbe es einen ungeschriebenen Kodex, der sich Kritik am Reaktor von Einheimischen und solchen verbittet, die auf Geschäfte in der Gemeinde angewiesen sind.
Auch SP-Vize Christian Wyss ist ein Zugezogener. Vor 35 Jahren kam er her und arbeitete bis zur Frühpensionierung auswärts. Nun freut er sich über das nahende Ende des AKWs. Aktiv hat sich seine SP Mühleberg jedoch nie für eine Stilllegung eingesetzt. Weshalb? «Vor zwanzig Jahren haben wir entschieden, dass wir das Thema Atomausstieg einfrieren», erklärt er. Jedes Mal, wenn sie das Thema auf den Tisch gebracht hätten, seien sie als Nestbeschmutzer verunglimpft worden und hätten einen monatelangen Krieg im Gemeinderat losgetreten. «Es war schlicht politischer Selbstmord.» Seit sich seine Partei auf Sachgeschäfte im Bildungs-, Gesundheits- und Infrastrukturbereich konzentriere – eine Verkehrsberuhigung hier, ein neues Ärztezentrum da – sei die Stimmung im Gemeinderat wieder «kollegial und konstruktiv».
Atomi 2 wäre gekommen
Wie gross die Zustimmung zum AKW in Mühleberg dank historisch gewachsener Nähe zur BKW bis heute ist, zeigte sich zuletzt bei den Planungen von Mühleberg 2. 2007 kündigte der damalige Konzernchef Kurt Rohrbach an der Jahresmedienkonferenz an, die BKW plane ein Ersatz-AKW nur wenige Meter vom heutigen Reaktor entfernt. Laut Maire und Wyss war die Zustimmung für das Milliardenprojekt in der Gemeinde von Beginn weg gross. «Die Planungen für ein Ersatz-AKW waren sehr weit fortgeschritten», erinnert sich Wyss, der damals in der zuständigen Kommission des Gemeinderats sass. «Bei einem Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit liesse sich Mühleberg 2 sehr schnell wieder aus der Schublade holen.»
Ab 2007 fanden Vorsondierungen statt. In Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat wurden Standorte für Installationsplätze und Material lager definiert, zusätzliche Unterkünfte für die Belegschaft geplant und ein kurzes Stück Zufahrtsstrasse zum neuen Areal ausgebaut. Laut dem Gemeindepräsidenten stand sogar eine Tunnelbohrung durch den Chräjeberg zur Diskussion, um das Areal an die Autobahn A1 anzubinden. Die Einschätzungen von Maire und Wyss sowie eine kantonale Abstimmung im Februar 2011 zeigen: Wären knapp einen Monat nach der Abstimmung nicht mehrere Reaktorblöcke in Fukushima explodiert, Mühleberg 2 wäre gebaut worden. «Das Einzige, was die Mühleberger nicht wollten, war ein 120 Meter hoher Kühlturm vor ihrer Nase», erinnert sich Wyss. Weil Mühleberg 2 ein Mehrfaches an Strom des bestehenden AKWs liefern sollte, hätte sich die Aare bei der Reaktorkühlung zu stark erhitzt. Ein Kühlturm wäre deshalb nötig gewesen. Die BKW ging mit dem Problem pragmatisch um. Sie lud den Gemeinderat zur Besichtigung der neusten Generation von sogenannten Hybridkühltürmen nach Deutschland ein: viel niedriger, weil mit zusätzlicher Ventilation ausgestattet, und ohne die bedrohliche Dampffahne, wie sie über Gösgen hängt.
Damit wäre auch das neue AKW nicht in den Blick der Mühleberger und Mühlebergerinnen gerückt. Es wäre weiterhin in der Senke am Aareufer geblieben, gut versteckt hinter dem Wäldchen des Chräjebergs. Die Liegenschafts- und Gewinnsteuern wären weiterhin geflossen und die Symbiose zwischen BKW und Mühleberg für weitere 50 Jahre zementiert worden. Das gotthelfsche Idyll wäre auch nach dem Super GAU von Fukushima und mit einem neuen «Atomi» intakt geblieben.