Seit 1999 kämpft Greenpeace im Amazonasgebiet erfolgreich gegen die Abholzung. Eine neue Gefahr für den Urwald und die dort lebenden Indigenen sind Megastaudämme.
«Für ein einziges der geplanten Staubecken wird eine Fläche so gross wie die Stadt New York geflutet», sagt Greenpeace-Campaignerin Tica Minami (siehe Bild unten) aus Brasilien. Sie ist in die Schweiz gekommen, um ihre hiesigen Kolleginnen und Kollegen auf den neusten Stand zu bringen, was im Amazonasgebiet geplant ist: ein Megastaudamm-Projekt zur Erzeugung vermeintlich sauberer Energie. Fünf Kraftwerke, 7,6 Kilometer Staumauern, 729 Quadratkilometer Staubecken, 2235 Quadratkilometer wertvoller Urwald, der abgeholzt werden muss. Dereinst sollen es gar 43 Kraftwerke im Einzugsgebiet des Tapajós sein. Dieses Jahr hat Greenpeace seine international ausgerichtete Kampagne gegen den Bau des São Luiz do Tapajós im Herzen des brasilianischen Amazonasgebiets (siehe Kasten unten) gestartet. Die Megastaudämme sind eine neue Bedrohung am Amazonas. Das für die Erde einzigartige Ökosystem mit seiner unvergleichlichen Biodiversität ist erneut in Gefahr – und das, nachdem zumindest in Brasilien der illegale Einschlag im Urwald massiv reduziert werden konnte, was auch ein Verdienst von Greenpeace ist.
Tica Minami war noch nicht dabei, als Greenpeace International Ende der 1990er Jahre beschloss, in der Amazonas-Stadt Manaus ein Büro zu eröffnen, aber sie kennt die Anfänge: «Fakten und Beweise auf den Tisch zu legen, ist eine unserer Kernkompetenzen. Als meine Kollegen von São Paulo aus anfingen, sich um den Amazonas zu kümmern, merkten sie aber schnell, dass von dort oben keine verlässlichen Informationen zu erhalten sind. Also entschied Greenpeace, mit einem eigenen Büro vor Ort zu sein.» Das nötige Geld dafür kam mehrheitlich aus der Schweiz – konkret: aus Basel.
Muriel Bonnardin, die bei Greenpeace Schweiz seit über zwanzig Jahren für Grossspenden und Legate zuständig ist, erinnert sich: «Der Kunstsammler Ernst Beyeler interessierte sich immer sehr für das Thema Urwald. Er war sofort bereit, mitzuhelfen, das Büro in Manaus zu ermöglichen. Gemeinsam mit Freunden von ihm planten wir eine Amazonas-Benefizveranstaltung in der Fondation Beyeler. Er selber hat sie organisiert – wir von Greenpeace mussten nur kommen und Redner und Fotos mitbringen, die die Zerstörung sichtbar machten.» Rund 200 000 Franken seien an dem Abend zusammengekommen. «Dieses Geld ermöglichte es Greenpeace unter anderem, das Büro in Manaus bereits 1999 zu eröffnen.»
Das Team im Amazonas-Büro arbeitet seit 17 Jahren ausschliesslich an der Rettung des grossen Urwalds. «Wir starteten mit der Kampagne gegen die illegale Abholzung. Dabei zeigten wir zum Beispiel, wie sich die von den Holzfirmen gebauten Strassen in den Wald hineinfressen, mit immer tiefer gehenden Verzweigungen und Seitenarmen, und überall dort, wo diese Strassen sind, verschwindet der Wald rundherum. Auf Karten sieht man, wie einzig geschützte Flächen und das Land der Ureinwohner verschont blieben. Das führte uns zur Strategie, eine Art grünen Schutzwall zu errichten, indem wir unter anderem die Ureinwohner unterstützten, die offizielle Anerkennung für ihr Land zu erhalten und es zu kennzeichnen.»
Dennoch gab es 2004 einen Rekordverlust an Urwald: 24 000 Quadratkilometer wurden in diesem Jahr gerodet. Zunächst sah es noch so aus, als sei allein die Holzindustrie mit ihren legalen und illegalen Kahlschlägen dafür verantwortlich, aber dann realisierten unsere Fachleute vor Ort, dass sich da noch ein ganz anderes Geschäftsmodell entwickelte: Brandrodungen machten aus Urwald freie Flächen für den Anbau von Soja sowie für Weideland für Rinder. Was tun? Tica: «Wir trauten uns noch nicht gleich an die in Brasilien so mächtige Viehindustrie heran, also nahmen wir uns zuerst die Sojaindustrie vor. 2006 erwirkten wir ein Moratorium, mit dem sie sich verpflichtete, ab diesem Datum kein Soja mehr von Grossfarmern zu kaufen, die im Amazonas roden. Das Moratorium gilt noch heute und wurde nach jahrelangen Verhandlungen und Verlängerungen im Mai 2016, kurz vor dem Regierungswechsel, unbefristet verlängert.»
Mit dem Soja-Moratorium im Sack trat das Amazonas-Team nun mit Selbstvertrauen dem grössten Treiber der Urwaldzerstörung in Brasilien entgegen: der gefürchteten Viehwirtschaft. Vertreter der drei grössten Schlachthöfe in der Region waren nach dem Nachweis von unzähligen illegalen Viehfarmen und einer internationalen Kampagne bereit, sich mit Greenpeace an einen Tisch zu setzen. Das Vieh-Abkommen kam 2009 zustande. Auch hier verpflichtet sich die Industrie, fortan nicht mehr bei Rinderzüchtern einzukaufen, die Urwald roden.
Aber das ist Tica Minami und ihren Kollegen nicht genug: «Unser Ziel ist und bleibt null Abholzung im Urwald.» Um alle Vertreter der Viehwirtschaft an den Tisch zu bekommen, knöpften sie sich als nächstes die Supermarktketten vor. Sie sagten ihnen: «Bereits für über die Hälfte des Fleisches in euren Regalen wurde kein Urwald zerstört. Ihr könnt doch auch die anderen dreissig bis vierzig Prozent von sauberen Produzenten nehmen!» Die frohe Botschaft kam vor kurzem: Die grössten Supermarktketten Walmart und Casino führten zwischen März und Mai 2016 die Regel ein, nur noch bei Lieferanten einzukaufen, die nachweisen können, woher ihr Fleisch kommt. Darauf hat auch der Supermarkt-Gigant Carrefour gemeldet, man werde dasselbe tun.
Unter anderem Kampagnen von Greenpeace und der Druck der Konsumentinnen und Konsumenten bewirkten in den letzten gut zehn Jahren, dass die Abholzung des Urwalds stark reduziert werden konnte. Ironischerweise profitiert auch die Regierung davon – sie verweist in Klimaverhandlungen gerne darauf, denn die dramatische Abholzung am Amazonas war zuvor Brasiliens grösster «Beitrag» an den Klimawandel gewesen. Ende gut, alles gut? Nein. «In der Zwischenzeit», sagt Tica Minami, «heckte die Regierung für die Zukunft eine Energiestrategie aus, die auf Megastaudämme im Amazonasgebiet setzt. Alle anderen Flüsse im Land, die sich für die Energiegewinnung im grossen Stil eignen, sind bereits gestaut. Es bleibt nur der Amazonas. Die angeblich so notwendige zusätzliche Produktion von Strom beruht auf Wirtschaftsprognosen, die für Brasilien ein grosses Wachstum voraussagten. Doch die mussten längst revidiert werden. Im Februar dieses Jahres schrieb die NZZ, Brasiliens Wirtschaft befinde sich «im freien Fall».
Interview: War es Sabotage?
Im Kampf gegen die illegale Abholzung und den Bau von Megastaudämmen im Herzen des Amazonasgebiets ist Greenpeace auf ein Wasserflugzeug angewiesen. Ein Schweizer Grossspender hat den Kauf kürzlich ermöglicht.
Magazin Greenpeace: Greenpeace ist im Amazonasgebiet auf ein eigenes Wasserflugzeug angewiesen. Im vergangenen August stürzte es ab. War das Sabotage?
Muriel Bonnardin: Wir wissen es nicht. Unser erfahrener Pilot konnte eines Tages plötzlich nicht mehr landen: Bei jedem Versuch geriet eine der Kufen in Schräglage. Irgendwann musste er aber dann doch aufsetzen – in diesem Moment sackte die Kufe unter Wasser ab. Der Pilot und sein Begleiter konnten sich retten, das Flugzeug versank. Es gab lange Untersuchungen durch die Versicherung. Ein Pilotenfehler konnte ausgeschlossen werden. Sie schauen jetzt noch, ob das Flugzeug manipuliert wurde oder ob es sich um einen technischen Fehler handelt. Die Untersuchung läuft.
Seid ihr für die aktuelle Kampagne auf ein Flugzeug angewiesen?
Unbedingt! Wird der Tapajós-Megastaudamm gebaut, verliert das indigene Volk der Munduruku sein Land und seine Lebensgrundlage. Nur mit einem Wasserflugzeug können wir Leute aus dem Urwald herausholen und wieder zurückbringen. Auch Journalisten können wir ins Gebiet fliegen. Ein Flugzeug brauchen wir aber auch, um Beobachtungsflüge durchzuführen und Beweisbilder und -filme zu machen. Denn noch immer wird im Amazonas auch gerodet. Illegalen Einschlag sieht man nur von oben und Satellitenbilder sind zu wenig detailliert und nicht immer aktuell.
Wer finanziert nun ein neues Wasserflugzeug?
Es ist bereits finanziert, wiederum dank einer Grossspende aus der Schweiz. Damit –und mit dem, was die Versicherung bezahlt hat – konnten wir eine Occasions-Cessna in Manaus kaufen.
Wer spendete das Geld?
Die Person möchte nicht genannt werden. Was ich sagen kann: Es ist eine sehr engagierte, kultur- und umweltaffine Privatperson. Wir nehmen ja keine Firmengelder.
Warum wollen Grossspender anonym bleiben?
Es gibt so viele Gründe, wie es Personen gibt. Bescheidenheit ist ein Grund. Oder auch dass jemand nicht öffentlich mit Greenpeace in Verbindung gebracht werden möchte. Wir sind eine Organisation, die polarisiert und bewusst Grenzen überschreitet. Das kann man persönlich zwar mögen – aber es heisst noch lange nicht, dass man sich öffentlich dazu bekennen möchte. Greenpeace zu unterstützen kann auch eine Art rebellischer Akt sein, den man nicht an die grosse Glocke hängt, sondern für sich allein oder im kleinen Kreis geniesst.
Der verstorbene Basler Kunstsammler Ernst Beyeler engagierte sich ganz öffentlich: Er sammelte mit Freunden aus dem «Basler Daigg» Geld für die Greenpeace-Flotte und später für ein Greenpeace-Büro am Amazonas …
Ja, er veranstaltete 1999 eine Benefizveranstaltung in seiner Fondation Beyeler, um Greenpeace mit einem eigenen Büro in Manaus die dauerhafte Präsenz im Amazonas zu ermöglichen.
Was bewegte Beyeler dazu?
Er war ein grosser Baumfreund. Er hatte ein Verständnis für den unvorstellbaren Wert dieses Urwalds mit seiner einzigartigen Biodiversität, seiner Flora und Fauna und den unzähligen Arten, von denen selbst heute viele noch nicht einmal entdeckt sind.
War sein Engagement für den Urwald eine einmalige Angelegenheit?
Keineswegs. Im Rahmen der Christo-Ausstellung «Magie der Bäume» gab er Greenpeace und WWF die Möglichkeit, ihre Amazonas-Kampagnen vorzustellen. Im Anschluss gründete er die Stiftung «Kunst für den Tropenwald». Durch sie flossen regelmässige weitere Spendengelder in unsere und andere Projekte, die sich in diesem Bereich engagieren.
Das Greenpeace-Büro in Manaus gibt es seit mittlerweile 17 Jahren. Wie ging es weiter mit der Schweizer Unterstützung?
Wir führten verschiedene kleinere Benefizveranstaltungen durch. Es gibt einige Stiftungen und Privatpersonen, die sich explizit für den Amazonas interessieren und bereit sind, grössere Beträge zu sprechen. Sie werden von uns regelmässig informiert, was mit ihrem Geld passiert, welche konkreten Massnahmen wir umsetzen, ob sie Erfolg haben und welchen Herausforderungen wir begegnen. Brasilien ist ein gefährliches Land, in Manaus und im Urwald herrschen Zustände wie im Wilden Westen.
Die dortigen Mitarbeitenden von Greenpeace leben gefährlich?
Sie tragen bei bestimmten Aktionen jedenfalls kugelsichere Westen. Es hat schon verschiedentlich Todesdrohungen gegeben. Als ich das letzte Mal dort war, war auch das Greenpeace-Auto entsprechend gepanzert.
Gab es einen konkreten Vorfall?
Nein, die Grösse und Bekanntheit unserer Organisation ist zugleich auch ein Schutz. Aber wir dürfen das Risiko trotzdem nicht eingehen. Im Amazonasgebiet sind schon etliche Leute ums Leben gekommen: Geistliche, die sich für die Indigenen oder den Urwald engagiert hatten, Gewerkschafter und andere. Viele sind gestorben, weil sie sich für den Erhalt des Urwalds und den Schutz der Indigenenrechte einsetzten – auch Menschen, deren Namen man noch nie gehört hat. Deshalb haben wir diese strengen Sicherheitsvorkehrungen.
Muriel Bonnardin Wethmar ist seit fast 25 Jahren für Greenpeace Schweiz (und z.T. für Greenpeace International) tätig, wo sie u. a. die Key Account Programme (Projektspenden, Stiftungen und Erbschaften) aufgebaut hat und bis heute betreut. Dank ihrer langjährigen Mitarbeit bei Greenpeace Schweiz verfügt sie über ein breites Wissen der Organisation sowohl in Bezug auf die Greenpeace Flotte wie auch deren Aktivitäten. Sie hat wiederholt Arbeitseinsätze an Bord der Rainbow Warrior II im Mittelmeer geleistet und gehörte im Jahr 2005 zur Crew des Greenpeace-Schiffes MV Amazon bei der Amazonas-Expedition.