Unsere gestylten Smartphones sind ziemliche Dreckschleudern und hinterlassen auf der ganzen Welt Narben bei Mensch und Natur. Es ginge auch anders, wie erste Initiativen beweisen. Dank «konfliktfreien» Mineralien aus zertifizierten Minen und der Durchsetzung von höheren Sozialstandards bei Zulieferfirmen.
In einem Aussenbezirk von Shanghai, an der Ecke der Xiu Yan und Shen Jiang Road, entstand vor wenigen Jahren ein neues Städtchen. Es heisst «Pegatron Corp.» und ist etwa 90 Fussballfelder gross. Dort gibt es Plätze zum Flanieren, Teiche mit Koi-Zierfischen, ein Gastroangebot für Tausende von Menschen, eine eigene Polizeistation und ein Postamt. Doch in «Pegatron Corp.» wohnt niemand; hierhin kommen Chinesen lediglich zum Arbeiten. Tagtäglich strömen rund 50’000 Arbeiterinnen und Arbeiter ins Areal, mit einer einzigen Aufgabe: iPhones für den Weltmarkt zusammenzubauen.
Apple hat in den vergangenen neun Jahren über 800 Millionen iPhones verkauft. Alleine im vergangenen Jahr waren es über 230 Millionen. Nimmt man alle Marken zusammen, beliefen sich die Smartphone-Verkäufe 2015 auf 1,4 Milliarden Stück; 325 Millionen alleine beim südkoreanischen Giganten Samsung. Davon profitieren die Aktionäre der grossen Techkonzerne und die Konsumenten, die aufgrund der enormen Stückzahlen für immer weniger Geld immer mehr Funktionen kriegen. Wer nicht davon profitiert, sind die Billiglohnarbeiter in den Montagehallen Ostasiens und die Mineure in tiefen Schächten Afrikas und Lateinamerikas. Sie zerstören ihren Körper für die Förderung von Metallen, die für den Bau von Smartphones unverzichtbar sind. Ausgebeutet wird auch die Natur, die entlang der gesamten Produktionskette belastet wird (siehe Kasten zu Elektroschrott).
Ohne Allerweltsmetalle keine Smartphones
In einem Smartphone sind bis zu 40 Metalle verbaut. Darunter grössere Mengen Aluminium, Eisen, Kupfer, Nickel, Zink und kleinere Mengen Platin, Beryllium, Indium, Tantal und Gold. Viele dieser Metalle sind auf einige wenige Herkunftsländer verteilt: Kobalt kommt vor allem in der Demokratischen Republik Kongo und in Sambia vor, Platin und Ruthenium in Südafrika. Es ist paradox: Während in China für die Produktion unserer Smartphones neue Produktionsstädtchen wie «Pegatron Corp.» entstehen, werden am anderen Ende der Welt zum gleichen Zweck Dörfer plattgemacht. Zum Beispiel in der Provinz Limpopo im Norden Südafrikas. Dort wurde das Dorf Ga Pila mit über 4500 Einwohnern wegen Abräumhalden für den Platinabbau umgesiedelt. Ohne das wertvolle Metall würden unsere Smartphones nicht funktionieren.
Die Umweltauswirkungen der Förderung solcher Metalle sind weitreichend: Für eine Tonne Kupfer fallen 110 Tonnen Abfall und 200 Tonnen Aushub an. Oft sind die Abfälle toxisch, enthalten Arsen oder Blei, die das Grundwasser sowie Flora und Fauna verseuchen. Das gilt für Goldminen in Peru genauso wie für Platinminen in Südafrika. Kleinschürfer nutzen zudem gerne auch Quecksilber, um Gold aus dem Erz zu lösen. Kleinste Mengen reichen, um einen Menschen irreversibel zu schädigen. Hinzu kommen die Arbeitsbedingungen: Viele der in Smartphones verbauten Metalle werden unter menschenunwürdigen Bedingungen gefördert. Amnesty International hat mehrmals darauf aufmerksam gemacht, dass Kobalt, welches für den Bau von Smartphone-Akkus verwendet wird, aus Minen der Demokratischen Republik Kongo stammt, in welchen sich Minderjährige kaputt schuften.
Bis die Metalle in unseren Smartphones verbaut sind, ist von diesem Leid meist nichts mehr sichtbar. «Es ist extrem schwierig, die Herkunft lückenlos zu belegen», sagt Irene Schipper vom Centre for Research on Multinational Corporations in Amsterdam. Sie hat mehrere Studien zur Lieferkette von Smartphone-Herstellern verfasst. Alle grossen Marken, wie Apple, Samsung oder LG, geben die Fertigung ihrer Geräte an Firmen wie Pegatron Corp. oder Foxconn in Asien ab. Diese kaufen ihre Komponenten bei Hunderten von Herstellern auf der ganzen Welt ein. Diese wiederum beziehen ihr Rohmaterial bei Rohstoffhändlern (viele mit Sitz in der Schweiz), welche die Metalle über Zwischenhändler beziehen, die in Kontakt mit den Minen in Afrika oder Südamerika stehen. Schipper hat kürzlich mit einem Vertreter eines grossen Smartphone-Herstellers gesprochen, der seine Kobalt-Lieferkette analysierte. Das Ergebnis: In 3750 Einzelkomponenten der Produktpalette steckt Kobalt, das von 363 verschiedenen Zulieferern stammt. Unter solchen Umständen scheint es praktisch unmöglich, den Überblick zu behalten, ob ein Rohstoff unter ausbeuterischen Bedingungen gefördert wurde. Doch stimmt das wirklich?
Konfliktfreie Mineralien für «faire» Smartphones
Wenn man Experten nach Alternativen fragt, fällt zwangsläufig ein Name: «Fairphone». Das niederländische Unternehmen startete vor sechs Jahren als Projekt zur Bewusstseinsbildung für die Folgen der globalisierten Billigproduktion. Der Industriedesigner Bas van Abel wollte durch die Entwicklung eines «fairen» Smartphones auf all die zuvor genannten Umwelt- und Menschenrechtsprobleme hinweisen. Es begann eine zweijährige Recherche nach einer Lieferkette, die vom Mineral bis zum fertigen Produkt möglichst nachhaltig wäre. Van Abel suchte nach kongolesischen Minen, die Zinn konfliktfrei fördern und ihren Arbeitern existenzsichernde Löhne bezahlen. Dafür trat Fairphone einem Konsortium bei, das Rohstoffe zertifiziert, an welchen keine Warlords mitverdienen. Weiter suchte er nach einer chinesischen Montagefabrik, die sich dazu verpflichtete, die Arbeiterrechte zu achten und ihre Sozialstandards gemäss den Vorstellungen des Auftraggebers anzuheben. 2013 sicherte sich das Projekt sein Startkapital für die Produktion einer ersten Charge über eine Crowdfunding-Kampagne. In wenigen Wochen kamen so knapp sieben Millionen Euro zusammen. Seither hat das Unternehmen 60’000 Fairphone 1 verkauft. Vom Folgemodell will die Firma dieses Jahr 150’000 verkaufen. Zinn und Tantal stammen aus zertifizierten Minen in der Demokratischen Republik Kongo. Fairphone verpflichtete zudem ihren Zulieferer für Leiterplatten, die österreichische AT&S, Fairtrade-Gold für die Veredelung der Stromleitungen auf den Leiterplatten einzusetzen. In einem nächsten Schritt soll auch Wolfram – ein weiteres «Konfliktmineral» (siehe Kasten) – aus einer zertifizierten Mine aus Ruanda stammen.
Fairphone ist bislang einzigartig. Die grossen Smartphone-Hersteller preisen ihre Produkte weiterhin über technische Gadgets an, wie hochauflösende Kameras oder schnellere Prozessoren. Menschenrechte und Nachhaltigkeit scheinen für den Massenmarkt noch keine verkaufsfördernden Argumente zu sein. Samsung brachte zwar 2013 mit dem Galaxy S4 ein erstes Modell mit einer TCO-Zertifizierung auf den Markt. Die schwedische Organisation TCO vergibt seit 20 Jahren Zertifikate für «nachhaltige» Elektronikprodukte. Doch im Falle von Samsung handelt es sich vor allem um Greenwashing, wie eine Studie des Centre for Research on Multinational Corporations zeigt. Irene Schipper verglich das Galaxy S4 mit dem Fairphone anhand von 34 Nachhaltigkeitskriterien. Ihr Ergebnis: Samsung übertraf den Industriestandard nur bei 7 Kriterien; das Fairphone immerhin bei 20. «Leider sind die Anforderungen für das TCO-Zertifikat bei Smartphones sehr tief und werden leicht für Greenwashing ausgenutzt», sagt Schipper. Vor allem punkto Arbeitsbedingungen umfassten die Kriterien lediglich den gängigen Branchenstandard; zum Beispiel die Forderung nach externen Audits. «Doch das bringt nichts», sagt Schipper. «Jeder weiss, dass Samsung in vielen Ländern die Organisation von Arbeiterinnen und Arbeitern in Gewerkschaften stark behindert.» Hinzu komme, dass, wenn Audits durchgeführt würden, diese meist unter Verschluss blieben und für NGOs und Gewerkschaften nicht einsehbar seien. Anders bei Fairphone: «Dort wird nicht nur eine Politik auf dem Papier betrieben, sondern die Macher engagieren sich vor Ort zusammen mit den Minenbetreibern, Lieferanten und Endproduzenten», lobt Schipper. Zudem werde Transparenz gelebt: Die Liste mit allen Zuliefererfirmen ist öffentlich, genauso die Auditberichte aus den Partnerunternehmen.
All das ist aufwendig, braucht viel Zeit und Geduld. Für die Produktion von 150’000 Telefonen pro Jahr ist das möglich, aber für 300 Millionen? «Natürlich ist die Komplexität zur Gestaltung einer durchgehend nachhaltigen Lieferkette für multinationale Konzerne viel grösser», sagt Schipper. «Doch gleichzeitig haben sie auch viel mehr Macht, um Druck auf die Zulieferer auszuüben.» Müssten die Konsumenten dann aber nicht auch bereit sein, mehr für ihr Smartphone zu bezahlen? Das Fairphone kostet 525 Euro, was im Vergleich mit ebenbürtigen Modellen der Grossproduzenten etwas teurer ist. «Nicht unbedingt», ist Schipper überzeugt. Die Profite von Apple und Samsung pro verkauftes Gerät seien heute riesig. Würden diese nur geringfügig reduziert, müssten die Mehrkosten nicht unbedingt auf die Konsumenten abgewälzt werden. Und selbst wenn: «Die Arbeitskosten bei der Produktion machen rund ein Prozent des Endpreises aus. Sogar wenn man die Löhne verdoppelt, tut das keinem Konsumenten weh.»
Widersprüche unumgänglich
Die Macher von Fairphone machen keinen Hehl daraus, dass ihr Smartphone noch einen langen Weg vor sich hat, bevor es komplett «fair» ist. Erst gerade vier von bis zu vierzig Metallen stammen aus zertifizierten Minen, und längst noch nicht alles im Gerät verbaute Gold ist auch Fairtrade. Zudem lauern die Widersprüche in jedem Glied der Produktionskette: Zum Beispiel wird selbst Fairtrade-Gold in einer Raffinerie veredelt, die dafür beschuldigt wird, Gold aus Minen mit minderjährigen Arbeitern angenommen zu haben. Solche Themen werden jedoch auf dem Blog des Unternehmens offen mit kritischen Konsumenten diskutiert. Erfolge und Misserfolge werden transparent gemacht. Dadurch erhält der Konsument einen Einblick in die Undurchsichtigkeit und Komplexität von globalen Lieferketten und die Auswirkungen des eigenen Konsums auf Mensch und Natur. Doch auch für das Fairphone gilt am Ende: Das nachhaltigste Smartphone ist dasjenige, das gar nicht erst produziert wird. Wer sein Gerät länger nutzt, repariert und dafür sorgt, dass die Komponenten recycelt werden, reduziert den weiteren Raubbau an der Natur weit mehr als durch den Kauf eines neuen Telefons.
Weniger Elektroschrott dank modularen Smartphones?
Die Menge an «e-waste» wächst schneller als jede andere Abfallart. Wir kaufen immer mehr elektronische Geräte und benutzen diese weniger lang. Die Anzahl Elektroprodukte in englischen Haushalten ist von 13 im Jahr 1970 auf durchschnittlich 41 im Jahr 2011 gestiegen. Laut einer Studie der United Nations University sind 2014 über 40 Millionen Tonnen Elektroschrott angefallen. Doch nur ein Sechstel davon wird auch fachmännisch entsorgt und recycelt. Elektrogeräte und Smartphones enthalten oft giftige Komponenten, vor denen die Benutzer zwar geschützt sind, die jedoch beim Zerlegen der Geräte wieder austreten. Sie verschmutzen die Umwelt und gefährden die Gesundheit all derjenigen, die damit in Kontakt kommen. Nach wie vor werden grosse Mengen Elektroschrott aus Europa und den USA in Afrika, Indien oder China entsorgt, wo die Geräte ohne Schutzvorkehrungen für den Rückgewinn von wertvollen Metallen zerlegt werden. In Guiyu, im Südosten Chinas, zerlegen mehrere zehntausend Arbeiter und Arbeiterinnen tonnenweise Elektroschrott des Weltmarktes. Teils werden die Schwermetalle über offenen Feuern für die Wiederverwertung geschmolzen. Giftige Dämpfe verpesten die Luft und das Trinkwasser. In Studien konnte eine erhöhte Bleikonzentration im Blut von Kleinkindern nachgewiesen werden, und Mediziner in der Region erzählen von gehäuften Totgeburten und Behinderungen.
Gleich mehrere Smartphone-Initiativen haben auf die E-waste-Problematik reagiert und wollen den Abfall durch einen modularen Aufbau reduzieren. Pionier war 2013 der holländische Designer Dave Hakkens mit seiner Idee «Phonebloks». Hakkens Visualisierung zeigte ein Smartphone, das wie eine Art Puzzle zerlegt und zusammengebaut werden kann. Bildschirm, Kamera, Batterie und Prozessor können einzeln ersetzt werden, ohne dass dafür gleich das gesamte Gerät weggeschmissen werden muss. Google hat Hakkens’ Idee übernommen und das Open-Source-Projekt «Ara» lanciert. Zukünftige Nutzer sollen aktiv am Design und der Software des modularen Smartphones mitarbeiten. Innerhalb eines vorgegebenen Steckrahmens soll jeder sein auf eigene Bedürfnisse abgestimmtes Gerät zusammenstecken können. Prototypen des «Ara»-Smartphones wurden für 2016 angekündigt. Auch das von der EU geförderte finnische Start-up «Puzzlephone» will noch dieses Jahr sein erstes modulares und reparierbares Smartphone auf den Markt bringen. Das «Fairphone» (siehe Haupttext) war das erste einfach reparierbare Smartphone.
Manche Beobachter zweifeln daran, dass modulare Smartphones einen Beitrag gegen Elektroschrott leisten. Niemand könne voraussehen, ob die Konsumenten ihre Geräte tatsächlich länger behalten und reparieren würden. Genauso könnte durch den häufigen Austausch von alten Komponenten durch neue sogar noch mehr Elektroschrott anfallen.
«Konfliktmineralien»: Dodd-Frank Act und die neue EU-Legislative
In Smartphones stecken oft mehrere sogenannte Konfliktmineralien. Dazu gehören Tantal, Zinn, Gold und Wolfram. Sie stammen aus der Demokratischen Republik Kongo oder benachbarten Ländern, werden in Kleinminen unter desaströsen Umständen gefördert und dienen Warlords dazu, ihre Kriege zu finanzieren. An der amerikanischen Börse kotierte Unternehmen wurden 2010 durch den Dodd-Frank Act dazu verpflichtet, Konfliktmineralien aus dem Kongo und benachbarten Ländern zu bannen. Amnesty International und Global Witness kritisieren jedoch, dass das Gesetz bis heute nur geringe Veränderungen in den Geschäftspraktiken brachte.
Ein ähnliches Gesetz wird derzeit in der EU verhandelt, nachdem eine Koalition von über 50 Menschenrechts-, Friedens- und Umweltorganisationen dies in einem Bericht von 2013 gefordert haben. Sie kämpfen für eine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen, ihre Lieferketten auf Konfliktmineralien hin zu analysieren und sicherzustellen, dass die genutzten Metalle menschenrechtskonform gefördert wurden. Die Mitglieder des EU-Parlaments haben im Mai 2015 für ein strenges Gesetz gestimmt, das über dasjenige der USA hinausgeht und rund 880’000 Unternehmen beträfe. Nun müssen dem Gesetz noch die EU-Mitgliedländer zustimmen, wobei sich wirtschaftsnahe Politiker für ein freiwilliges Regelwerk starkmachen. Die «EU Conflict Minerals Legislation» steckt derzeit in der Abschlussphase und wird voraussichtlich noch im Sommer 2016 verabschiedet.