Mit seinen 47 Betriebsjahren ist das stark abgenutzte AKW das älteste der Welt. Aber wie steht es genau um die Sicherheit beim Herzstück, dem Druckbehälter, der den radioaktiven Brennstoff enthält? Dies wollte ich Anfang letzten Jahres wissen.
Ich habe also bei der Aufsichtsbehörde, dem Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI), den Bericht über die Alterung des Druckbehälters angefordert. Theoretisch ist es nicht schwierig, Zugang zu solchen Dokumenten zu erhalten. Das seit 2004 geltende Öffentlichkeitsgesetz ermöglicht es jedem – ob Journalistin, Kampagnenverantwortlicher oder einfache Bürgerin – Einsicht in Behördenunterlagen zu beantragen. Mit diesem Gesetz hat die Schweiz einen Riesenschritt in Richtung Transparenz getan. Es fand ein Paradigmenwechsel statt. Bis dahin waren Verwaltungsdokumente grundsätzlich vertraulich, und jede Veröffentlichung musste stichhaltig begründet werden. Mit dem Öffentlichkeitsgesetz wird die Beweislast umgekehrt, sodass die Bevölkerung nun ein Recht auf Kenntnis der Informationen der Behörden hat. Diese müssen eine allfällige Verweigerung der Einsicht begründen. In der Praxis ist es leider nicht so einfach. Die Verwaltung tut sich schwer mit der neuen gesetzlichen Regelung. Wohl stellte mir das ENSI den Bericht zum Reaktordruckbehälter von Beznau zur Verfügung. Jedoch sind von insgesamt 1000 Seiten ganze 950 vollständig eingeschwärzt. Es blieb mir nichts anderes übrig, als an das Bundesverwaltungsgericht zu gelangen. Gerne hätte ich den Gang ans Gericht vermieden. Denn solche Verfahren sind teuer und langwierig.
Tatsächlich habe ich nichts unversucht gelassen: Das Öffentlichkeitsgesetz schreibt nämlich vor, dass bei Streitigkeiten zunächst eine aussergerichtliche Verständigung zwischen den Parteien angestrebt werden muss. Stundenlang habe ich mit den Vertretern des ENSI diskutiert und um eine einvernehmliche Lösung gerungen. Diese Verständigungsetappe spielt eigentlich eine wichtige Rolle, um Probleme zu lösen und Gerichte zu entlasten. In diesem Fall war aber alle Mühe umsonst. Die Nuklearaufsicht stellte auf stur und liess die Mediation scheitern. Als nächsten Schritt sieht das Öffentlichkeitsgesetz eine Stellungnahme des Öffentlichkeitsbeauftragten vor, in der Hoffnung, dass sich die Parteien seinem Rat fügen.
Im Fall des Reaktordruckbehälters von Beznau war seine Empfehlung glasklar: Die Einschwärzung der 950 Seiten ist völlig ungerechtfertigt. Das ENSI schlug diese Stellungnahme in den Wind und hält den grössten Teil des Berichts weiterhin unter Verschluss. So kam es, dass wir die Einsicht in den ganzen Bericht vor Gericht einklagen mussten. Ein Urteil wird im Verlauf des Jahres erwartet. Die Unterlagen zum AKW Beznau sind leider kein Einzelfall. Allzu oft foutieren sich die Behörden um das neue Gesetz und verweigern Transparenz, vor allem um Privatinteressen zu schützen – hier die Interessen des AKW-Eigners Axpo. Greenpeace ist gar in vier Verfahren zur Transparenz verwickelt: drei im Bereich AKW und eines betreffend Pestizideinsatz in der Schweiz. Wir geben nicht klein bei. Denn wer Transparenz erstreitet, ermöglicht oft den Durchbruch in einer Sache.
Kaum sechs Monate nach meinem Begehren um Einsicht in den Bericht meldete Axpo die Entdeckung von gegen 1000 Schwachstellen im Reaktordruckbehälter von Beznau I. Die Ursachen sind unklar. Sicher ist aber, dass diese Schwachstellen in Kombination mit dem Alterungsprozess das Herzstück des AKW schwächen. Nach dieser Entdeckung gewinnen die 950 eingeschwärzten Seiten zur Alterung des Druckbehälters erheblich an Brisanz. Umso entschlossener sind wir, die Veröffentlichung des Berichts zu erreichen.