Celso Ribeiro Barbosa ist Aktivist bei der brasilianischen Landlosenbewegung MST. Im Rahmen der Präsentation des «Schwarzbuch Syngenta», hat ihn Multiwatch in die Schweiz eingeladen. Im Interview erzählt Barbosa von seinem Kampf gegen multinationale Agrochemiekonzerne und weshalb er Syngenta des Mordes beschuldigt.

313 Seiten voller Vorwürfe an einen Schweizer Konzern – das «Schwarzbuch Syngenta» ist eine einzige grosse Anklage und hat`s in sich. Der entscheidende Impuls für das Buchprojekt war laut den Autoren vor etwas über einem Jahr der Entscheid der Basler Regierung für Syngenta als Hauptsponsor beim Auftritt an der Weltausstellung 2015 in Mailand, unter dem Motto «Den Planeten ernähren, Energie für das Leben». Das Unternehmen beansprucht immer wieder, Teil der Lösung der globalen Welternährungskrise zu sein. Ein Autorenkollektiv von Multiwatch – eine Koalition von NGOs, Gewerkschaften, Parteien und globalisierungskritischen Organisationen – setzte sich daraufhin ein Jahr lang mit dem Agrochemiekonzern auseinander. Ende April präsentierten die Autoren ihr Werk in mehreren Schweizer Städten.

«Syngenta hat auf einem 122 Hektar grossen Gelände in der Nähe eines Nationalparks gentechnisch veränderten Soja und Mais angepflanzt, obwohl sie damit gegen das geltende Umweltrecht verstiess.»Syngenta ist der weltweit grösste Pestizidproduzent und die Nummer drei in der Saatgutproduktion (nach Monsanto und DuPont). Das Unternehmen ist heute durch und durch multinational und mehrheitlich im Besitz von amerikanischen und britischen Grossaktionären. Von den über 20 000 Arbeitsplätzen in 90 Ländern befinden sich rund 3000 in der Schweiz. Das Autorenkollektiv analysiert im Schwarzbuch die Geschichte des Konzerns, fragt nach seiner aktuellen Rolle im globalen Agrobusiness und versammelt Gastbeiträge von Kritikern einer industriellen und auf maximale Produktivität und Profite getrimmten Landwirtschaft. Miguel Altieri, Professor für Agrarökologie an der University of California in Berkeley, zum Beispiel konstatiert eine «Pestizidtretmühle», in der sich die heutige Landwirtschaft befinde.

Doch die von Multiwatch erhobenen Vorwürfe betreffen nicht nur die Landwirtschaft im engeren Sinne: Es geht auch um die Privatisierung von öffentlichem Gut durch Patente, die Missachtung von Arbeits- und Gewerkschaftsrechten und das Anheizen von gewaltsamen Landkonflikten durch die Zusammenarbeit mit bewaffneten Milizen, wie im Fall der brasilianischen Gemeinde Santa Tereza do Oeste. Dort lebt Celso Ribeiro Barbosa, Mitglied der Landlosenvereinigung MST. Er hat die Kämpfe um ein Stück Land hautnah miterlebt, das Syngenta für die Aussat von gentechnisch verändertem Soja nutzte.

Herr Barbosa, wofür kämpft die Landlosenbewegung «Movimento dos Trabalhadores Sem Terra» (MST) in Brasilien?

Wir sind eine landesweite Bewegung und kämpfen für die Rechte der Landlosen und aller Ausgegrenzten sowie für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur. Die Landlosen in Brasilien besetzen seit 30 Jahren ungenutzte Landflächen, was uns von der Verfassung her zusteht. In Paraná, wo ich herkomme, sind es 26 000 Familien, die so zu Land gekommen sind; im ganzen Land ist es etwa eine halbe Million. Und weitere 120 000 warten noch auf die Legalisierung ihrer Besetzung.

Weshalb sind Sie dem MST beigetreten und haben selbst Land besetzt?

Es war eine Notwendigkeit, sonst hätte ich kein Land für den Anbau von Nahrungsmitteln für mich, meine Frau und meine drei Kinder. Ich hätte niemals genügend Geld aufbringen können, um Land von einem Grossgrundbesitzer zu kaufen. Für einen normalen Bauern ist das in Brasilien praktisch unmöglich. Deshalb fliehen auch so viele junge Bauern in die Städte und landen dort in den Favelas, die rasant wachsen. Vor 40 Jahren war die Mehrheit der Brasilianer noch Bauern. Heute sind es vielleicht noch 20 Prozent.

Bauern und AktivistInnen von Greenpeace halten gemeinsam ein Banner mit der spanischen Aufschrift «Nicht einen Hektar mehr». Damit protestierten sie 2004 gegen die Rodung für den Sojaanbau. © Gustavo Tarchini
Bauern und AktivistInnen von Greenpeace halten gemeinsam ein Banner mit der spanischen Aufschrift «Nicht einen Hektar mehr». Damit protestierten sie schon 2004 gegen die Rodung für den Sojaanbau. © Gustavo Tarchini

Sie und Ihre Bewegung kritisieren die grossen Agrochemie-Konzerne, darunter auch Syngenta. Weshalb?

Die grossen Konzerne haben kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit Kleinbauern wie uns. Das wäre für sie viel weniger attraktiv als die Zusammenarbeit mit den Grossgrundbesitzern. Die Kleinbauern pflanzen viele verschiedene Kulturen an; sie vergrössern die Diversität in der Landwirtschaft. Doch das wollen die Grosskonzerne nicht, sie machen ihre Gewinne mit grossflächigen Monokulturen. Syngenta wirbt in Brasilien sehr aktiv für ihre Produkte und versucht, die Bauern von deren Vorteilen zu überzeugen.

Sie betreiben selbst ökologischen Landbau und lehnen die Produkte von Syngenta ab. Sind Sie eine Ausnahme in Brasilien?

Etwa 30 Prozent der Kleinbauern produzieren heute ökologisch. Wir versuchen unsere Mitglieder immer von ökologischem Landbau zu überzeugen. Aber das ist schwierig, weil wir keine Unterstützung von der Regierung erhalten. Wer bei Syngenta einkauft, der erhält vom Unternehmen Beratung und Infrastruktur. Wer sich jedoch für eine ökologische Landwirtschaft entscheidet, ist auf sich alleine gestellt. Der Staat bietet überhaupt keine Hilfe. Es fehlt deshalb an Wissen bei den Kleinbauern. Zudem sind die Preise für ökologische Produkte gleich hoch wie für herkömmliche, obschon unser Aufwand grösser ist.

Welche Rolle spielt die Regierung bei der Durchsetzung der grossindustriellen Landwirtschaft in Brasilien?

Brasilien hat die Souveränität über seine Landwirtschaft verloren. Es findet praktisch keine unabhängige Forschung und Entwicklung im Saatgutbereich mehr statt. Uns fehlen heute Alternativen zum gentechnisch veränderten Saatgut der Grosskonzerne. Hinzu kommt: Die Abgeordneten und Senatoren sind oft selbst Grossgrundbesitzer und werden von den grossen Agrarchemiekonzernen finanziell unterstützt. Von dieser Seite können wir keine Unterstützung erwarten.

Werfen Sie Syngenta Korruption vor?

Nein, denn solche finanziellen Zuwendungen sind in Brasilien gesetzlich erlaubt. Unternehmen begehen damit kein Verbrechen. Sie finden diese Beiträge meist auch in den Buchhaltungen der Parteien.

2007 haben Wachmänner von N. F. Seguranca in Ihrer Wohngemeinde Santa Tereza do Oeste Landlose von einem Syngenta-Versuchsfeld gewaltsam vertrieben. Dabei ist Valmir Mota de Oliveira, ein Mitglied von MST und Freund von Ihnen, getötet worden. Was ist damals passiert?

Syngenta hat auf einem 122 Hektar grossen Gelände in der Nähe eines Nationalparks gentechnisch veränderten Soja und Mais angepflanzt, obwohl sie damit gegen das geltende Umweltrecht verstiess. Die Umweltbehörde hat Syngenta mit einer Busse von umgerechnet 500 000 Franken belegt, die bis heute nicht bezahlt wurde. Daraufhin besetzten MST-Aktivisten das Gelände mehrmals und wurden immer wieder vertrieben. Der damalige Gouverneur enteignete daraufhin das Gelände von Syngenta per Dekret, aber Syngenta gelang es, den Entscheid gerichtlich anzufechten. Im Oktober 2007 besetzten etwa 450 Bauern das Gelände ein weiteres Mal. Daraufhin fuhren mehr als 40 Männer der N. F. Segurança vor und eröffneten das Feuer. Valmir wurde aus nächster Nähe erschossen.

Geben Sie Syngenta die Schuld am Tod Ihres Freundes?

Ja, N. F. Segurança ist eine bewaffnete Miliz und keine Sicherheitsfirma. Die Verantwortlichen von Syngenta wussten das, trotzdem haben sie die Organisation damit beauftragt, das Gelände gegen jegliche Besetzungen zu verteidigen. Syngenta war klar, mit wem sie zusammenarbeiten. Das wurde später auch von einem Zivilgericht bestätigt.

Welche Forderungen stellt MST heute gegenüber Syngenta?

Wir fordern eine Entschädigung für die Witwe von Valmir, für seine Söhne sowie eine durch Schüsse in Augen und Lunge arbeitsunfähig gewordene Frau. Syngenta wurde vom ersten Zivilgericht schuldig gesprochen, hat jedoch dagegen rekurriert. Wahrscheinlich wird es noch 10 oder 15 Jahre dauern bis zu einem Entscheid. Das Unternehmen wird alles tun, um die Schuld von sich zu weisen. Deshalb ist die zivilgesellschaftliche Mobilisierung umso wichtiger.

Celso Ribeiro Barbosa ist Aktivist in der Movimento dos Trabalhadores Sem Terra (MST) in Paraná, Brasilien. Die Organisation ist mit 1,5 Millionen Mitgliedern eine der wichtigsten sozialen Bewegungen in Lateinamerika. Als Teil von La Via Campesina, einer internationalen Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern, kämpft MST für den Zugang zu Land von landlosen Bäuerinnen und Bauern. Die Bewegung erhielt 1991 den Right Livelihood Award für die Gestaltung einer besseren Welt.

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«Die für Bienen tödlichen Pestizide von Syngenta, Bayer und BASF gefährden den Bestand der Bienen weltweit. Aber ohne Bienen sind unsere Ökosysteme und die globale Nahrungsproduktion dem Ende geweiht.» Das von Greenpeace Schweiz verfasste Kapitel zum Bienensterben startet mit einem Appell von Francesco Panella, Imker und Präsident von Bee Life. Syngentas Kassenschlager Thiamethoxam gehören zu den bienengefährlichsten Pestiziden überhaupt. Greenpeace setzt sich für ein Verbot der Bienengifte und weiterer Pestizide ein, die die Biodiversität reduzieren und die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden. Es braucht Investitionen in den Bio-Landbau, der mit der Natur arbeitet statt gegen sie.

Das Buch «Schwarzbuch Syngenta – dem Basler Agromulti auf der Spur» ist im April im Verlag edition8 erschienen. Mehr Informationen: www.multiwatch.ch