Aufruf zur Kundgebung am 19. Juni 2016. Interview mit Leo Scherer, Mitorganisator seit 2010.

Wende-Blatt*: Leo Scherer, seit 2010 or­ganisiert ihr den «MenschenStrom gegen Atom». Was dürfen wir am 19. Juni 2016 erwarten?

Leo Scherer: In diesem Jahr ist das Uralt-Atomkraftwerk Beznau unser Hauptziel. Beznau-1 – im Betrieb seit 1969 und nun das weltweit älteste AKW überhaupt – ist inzwi­schen zum untragbaren Risiko geworden. Das Problem ist der Reaktordruckbehälter. Schon vor sechs Jahren hat die Atomaufsichtsbe­hörde ENSI festgestellt, dass die Sicherheits­marge gegen den Sprödbruch bereits zu 95 % aufgebraucht ist. So ein Bruch kann passie­ren, wenn im Notfall kaltes Notkühlwasser in den Reaktor gepumpt werden muss. Nun sind aber auch noch an die tausend «Löcher» zum Vorschein gekommen, von denen niemand weiss, wie sie entstanden sind und wie sie die Sicherheit korrumpieren.

Auch ein Problem ist die Uneinsichtigkeit der Axpo. Während die BKW für das AKW Müh­leberg schon das Stilllegungsprojekt ein­gereicht haben, weigern sich die Axpo und deren Mehrheitseigentümer, die Kantone Zürich und Aargau, dieses gefährliche Prö­beln in Beznau endlich zu beenden. Darum unsere Forderung: Beznau stilllegen – jetzt!

Nun zum MenschenStrom: Der Jahrgang 2016 bietet drei Wander-Routen zum zentra­len Kundgebungsplatz, dem Amphi-Theater in Windisch. Die lange Route startet am Bahnhof Döttingen und führt am AKW Bez­nau vorbei (15 km / rund 4 Std.). Die mittle­re Route beginnt beim Bahnhof Siggenthal-Würenlingen und ist Kinderwagengängig (6,5 km / rund 2 Std.). Die dritte Route beginnt auf dem Bözberg, einem für die Atommüll-Tiefenlagerung vorgesehenen Ge­biet, und ist ebenfalls Kinderwagengängig (alles bergab; 5,5 km / rund 1,5 Std.). Vom Bahnhof Brugg ist das Amphi-Theater in 10 Minuten auch direkt erreichbar. Alle Routen verlaufen grösstenteils auf markier­ten Wanderwegen.

Es gelingt Euch jedes Mal, auch viele jun­ge Menschen anzusprechen. Was ist Euer «Erfolgsrezept»?

Ich vermute, es liegt daran, dass unsere MenschenStröme ein farbiges, friedliches und fröhliches Happening sind und gleich­zeitig ernsthaft und entschieden fordern, dass die Atomgefahren für alle Zukunft aus der Welt geschafft werden müssen.

Wie sehr organisieren die Jungen den MenschenStrom mit?

Es arbeiten mehrere Junge bereits jetzt im Kernteam, das Polizeibewilligungen, Miete Kundgebungsplatz, Routen, Hauptbotschaf­ten etc. vorbereitet. Es werden aber sicher noch viele junge Menschen in den Ar­beitsgruppen dazu kommen, welche am Tag des Anlasses für alles Wichtige wie Essen und Trinken, Peacekeeping, Infrastrukturaufbau und -ab­bau etc. schauen.

Atomausstieg und Energiewende sind seit 2011 beschlossene Sache. Wozu sollen wir uns jetzt noch engagieren?

Schön wär‘s! Unwiderruflich beschlossen ist noch gar nichts. Sogar die drei Neubaugesu­che für Beznau-3, Gösgen-2 und Mühleberg-2 sind nur sistiert und schubladisiert, noch kei­nes wurde unwiderruflich zurückgezogen.

Der Atomausstieg sieht zwar vor, dass keine neuen AKW mehr bewilligt werden sollen. Doch für die bestehenden AKW wurde kein verbindliches Stilllegungsprogramm be­schlossen. Ihr Betrieb darf vielmehr auf un­bestimmte Zeit fortgesetzt werden, solange sie angeblich «sicher» sind. Neuerdings soll sogar nicht einmal mehr das Prinzip gelten, dass die Sicherheit oberste Priorität hat. In Zukunft sollen nicht mehr alle Nachrüstun­gen verlangt werden können, welche nach den Stand von Technik, Wissenschaft und Erfahrung möglich und nötig sind, sondern bloss noch jene, welche für die Betreiber wirtschaftlich zumutbar sind.

Wenn wir den Atomausstieg mit verbind­lichem Terminprogramm und die Energie­wende wirklich wollen, dann müssen wir im Schicksalsjahr 2016 nochmals alle Kräfte mobilieren und uns für ein JA zur Volksiniti­ative der Grünen für den Atomausstieg ein­setzen. Der MenschenStrom 2016 ist dafür der Auftakt, die Volksabstimmung wird im September oder November stattfinden.

*Das Interview wurde uns vom Wende-Blatt zur Verfügung gestellt: Herausgeberin «Nie wieder AKW» www.niewiederakw.ch

Zur Person: Leo Scherer (63), Mitorganisator und ein echtes Urgestein der Bewegung, ist Jurist, Politiker und Bewegter.Er ist seit 25 Jahren Mitglied des Gemeindepar­lamentes Wettingen, ehemaliger Nuclear Cam­paigner Greenpeace, Mitglied des Vorstandes des VCS Aargau und des Unterstützungsvereins ProWOZ, Miteigentümer eines auf MinergieP-Standard renovierten Mehrfamilienhauses.