Ungeachtet vehementer Proteste aus der Bevölkerung setzt die japanische Regierung auf eine Atomzukunft. Dies, obschon die Havarie vor genau fünf Jahren die Region rund um Fukushima bis heute unbewohnbar gemacht hat.

Am 11. März 2011 bebte in Fukushima die Erde. Mit einer Magnitude von 9.0. Die Folgen: 18 537 Tote, 470 000 Flüchtlinge, 375 000 zerstörte Gebäude, Unfälle in mehreren Atomkraftwerken, Der schlimmste im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Infolge des schweren Erdbebens und eines Tsunamis war in Fukushima Daiichi das Kühlsystem ausgefallen, woraufhin es in drei Reaktoren zur Kernschmelze kam. Vier von sechs Reaktorblöcken wurden zerstört und das umliegende Gebiet radioaktiv verseucht. Noch vier Jahrzehnte sollen die Aufräumarbeiten andauern. Zehntausende Menschen mussten die radioaktive Gegend in und um Fukushima verlassen.

Tamura, 5. Oktober 2013. Neben Säcken mit kontaminiertem Boden wird wieder Gemüse angebaut. © Noriko Hayashi / Greenpeace

Heute scheint der Super-GAU in den Hintergrund geraten zu sein. Vergessen sind die Schäden, vergessen die vielen Toten, Kranken und Flüchtlinge, vergessen die Risiken der Kernenergie. Doch auch fünf Jahre nach der schlimmsten Industriekatastrophe aller Zeiten, ist die Region noch immer unbewohnbar. Radioaktivitätsmessungen von Green Cross ergaben, dass es auch ausserhalb der Sperrzonen radioaktive Hotspots gibt. Die Bodenproben stammen aus Tomioka, einer Geisterstadt etwa zehn Kilometer südlich von Fukushima Daiichi, sowie aus der Stadt Koriyama, die 70 Kilometer westlich des beschädigten Kernkraftwerkes liegt.

Japan ist eines der erdbebengefährdetsten Länder der Welt. Somit birgt die Atomkraft auf dieser Insel noch immer hohe zusätzliche Risiken. Zudem kam es vor rund einem Jahr zum wiederholten Mal zu einem Leck am Kraftwerk Fukushima. Die Folge: verseuchtes Wasser, welches von der Betreiberfirma Tepco zur Kühlung der abgeschalteten Reaktoren eingesetzt wurde. Die Säuberung dieser Tausenden Tonnen kontaminierten Wassers dauert noch mindestens drei bis vier Jahrzehnte.

Für die Bevölkerung bestehen neben gesundheitlichen Spätschäden wie Krebs und genetischen Anomalien auch neuropsychologische Langzeitfolgen wie Stress.

Die Regierung lehnte lange einen Zusammenhang zwischen dem Reaktorunfall und Krebs ab. Erst viereinhalb Jahre nach der Atomkatastrophe wurde der erste Fall von Leukämie aufgrund der radioaktiven Strahlung der Kernschmelze bestätigt. Laut bisherigen Erkenntnissen von Forschern der University of Southern California hängen rund 1700 Todesfälle mit der Fukushima-Katastrophe infolge von Stress, Erschöpfung und widriger Lebensumstände als Flüchtlinge zusammen.

Namie, 8. Februar 2016. Ein Arbeiter putzt die Strassen einer verlassenen Stadt. Den zusammengesammelten Dreck wird er in spezielle schwarze Säcke einpacken. © Christian Åslund

Tausende von Menschen leben in Containern

Noch immer leben 125 000 Menschen als Nuklearflüchtlinge in Notunterkünften. In Tokio tut man aber so, «als habe es die Katastrophe nie gegeben», so Regisseurin Doris Dörrie, die in ihrem Film «Grüsse aus Fukushima» das Schicksal zweier Frauen in der verstrahlten Zone erzählt. Viele Flüchtlinge, vor allem männliche, leiden an Depressionen, es kommt zu Suiziden, viele trinken oder verfallen der Spielsucht.

Yonezawa, 25. März 2011. Kurz nach der Katastrophe wohnten viele in Turnhallen und ähnlichen Notunterkünften. 5 Jahre danach müssen viele noch in einer ähnlichen Situation leben und haben oft nur einen Container für sich selbst und die Familie zur Verfügung. © Christian Åslund / Greenpeace

Die Strahlung hat die Existenz vieler Bauern zerstört. Rinderzüchter und Milchbauern haben aufgegeben, der Anbau von Reis und Gemüse liegt brach. Landwirtschaft wird auch nach der Dekontaminierung nicht mehr möglich sein.

Unterdessen hinterlässt Fukushima gar Spuren in Nordamerika. An der Westküste Kanadas wurden radioaktive Teilchen gefunden.

Und trotz alldem setzt Japan unter der konservativen Regierung von Shinzo Abe auf die Atomenergie. Als Konsequenz aus der Katastrophe standen rund zwei Jahre alle 48 Reaktoren in Japan still. Im Herbst letzten Jahres gingen bereits zwei Reaktoren des Atomkraftwerks Sendai trotz Protesten der Bevölkerung wieder ans Netz. Bürger kämpfen vor Gericht weiter gegen den Neustart der Reaktoren.

Eine deutsch-japanische Studie belegt: Japan braucht diese Atomenergie nicht. Ganz im Gegenteil: Bis 2050 könnte das Land seine gesamte Energieversorgung aus erneuerbaren Energien beziehen, denn es bietet mitunter die besten geologischen, topografischen und technologischen Voraussetzungen dafür, so 10 000 Kilometer Küste mit günstigen Bedingungen für Offshore-Anlagen. Bisher gewinnt Japan nur 0,4 Prozent seiner Energie aus Windkraft. Mit Geothermie könnte gut ein Drittel des Energiebedarfs gedeckt werden, bislang sind es nur 0,3 Prozent. Würden 5 Prozent der Landfläche mit Photovoltaikanlagen bebaut, könnte der gesamte Energiebedarf gedeckt werden. Bisher sind es jedoch nur 0,2 Prozent.

Japans ehemaliger Premier Naoto Kan: «Ich halte die Kernenergie für die gefährlichste Form der Energiegewinnung. Das Restrisiko ist einfach zu gross. […] Dass Japan auch ohne Kernkraftwerke funktionieren kann, haben die zwei Jahre gezeigt, in denen alle Atommeiler abgeschaltet waren. Das hatte praktisch keinen negativen Einfluss auf das Leben der Menschen und auf den Gang der Wirtschaft.»*

* Interview: Vincenzo Capodici, 03.02.2016 im «Tages-Anzeiger».