Greenpeace-Wissenschaftlerin Reyes Tirado über ein kaputtes Landwirtschaftssystem und den Gewinn, der in den Alternativen liegt.

Greenpeace kämpft seit vielen Jahren gegen gentechnisch verändertes Saatgut. Die Landwirtschaftskampagne geht das Thema inzwischen viel breiter an. Wie kam es dazu?

Die Gentechnik ist nur ein Teil des Problems. Uns ist klar geworden, dass das System viel fundamentaler gestört ist — dass es kaputt ist. Im Moment wollen alle möglichst grosse Mengen möglichst billiger Produkte erzeugen. Die ökologischen Folgen sind dramatisch. Dabei geht es in der Landwirtschaft um so viel mehr: Um die Menschen! Um unsere Lebensgrundlagen! Um Ernährungssicherheit! Die Biodiversität geht uns immer mehr verloren — die Landwirtschaft wird immer eindimensionaler. Dazu all die Probleme wie Klimawandel, Bodenverlust, Wasser … die moderne Nahrungsmittelproduktion schafft überall Probleme.

Zusammen mit Gunapaneni Narashimha und Kotnak Bhimrao, zwei Baumwollanbauern, sammelt Tirado Daten im Gondukosaram Dorf. © Peter Caton / Greenpeace

Was fordert Greenpeace stattdessen?

Wir wollen wieder die Menschen in den Mittelpunkt rücken. Vielfalt, Biodiversität ist uns besonders wichtig. Die Agrarökologie ist ein modernes Konzept, das sich ganz bewusst auf die Wissenschaft und auf die Praxis gründet. Für den Report habe ich viele praktische Beispiele und viele wissenschaftliche Studien aus unterschiedlichsten Ländern gesammelt, die zeigen, dass Agrarökologie von Indien bis in die USA funktioniert. Manche Lösungen werden eher für den Westen gut sein, andere eher im Süden. Ökologische Landwirtschaft heisst ja nicht ein System für alle wie in der konventionellen Landwirtschaft, sondern ist sehr kontextbasiert. Die sieben Prinzipien, die wir formuliert haben, gelten allerdings überall (siehe Kasten).

Die geforderten Veränderungen sind so grundlegend, dass es starken Widerstand geben wird.

Der ist zu erwarten. Die moderne Landwirtschaft lebt von Geldflüssen. Fast das gesamte Geld von Regierungen, Forschungsförderungsfonds, Entwicklungshilfe- und auch philanthropischen Organisationen fliesst derzeit in das alte, falsche System. Wir fordern, dass es in die Agroökologie umgeleitet wird.

Wir wollen hier wirklich Druck aufbauen. Wenn alle an einem Strang ziehen und gegen die falschen Strukturen kämpfen, müssen die Regierungen irgendwann reagieren. Weltweit gibt es schon viel Bewegung in diese Richtung: In Städten spriessen auf jeder Fensterbank Pflanzen, es gibt immer mehr Gemeinschaftsgärten, die Bauernmärkte florieren … immer mehr Menschen ist es nicht mehr egal, was sie essen.

Tirado entnimmt einer Wasserpumpe eine Probe im Dorf Jagdishpur Tiyari. © Swapan Nayak / Greenpeace

Du hast zuletzt selber Erfahrungen in der ökologischen Landwirtschaft gesammelt: auf einem kleinen Biohof.

Ich habe nach der Geburt meiner Tochter mit ein paar Bauern in Südspanien Gemüsekisten hergestellt. Ich musste leider wieder damit aufhören, es war mir einfach zu viel. Das Erste, was ich gelernt habe, war, was für wirklich harte Arbeit das ist — man muss diese Menschen wirklich bewundern. Für mich war es ja nur ein Hobby, aber so viele leben davon!

Darum denke ich, Bauer, Bäuerin zu sein, ist auch einer der erfüllendsten Berufe auf der Welt. Es macht einfach glücklich, für die eigene Gemeinschaft, die Familie, die Bekannten gutes, gesundes Essen zu produzieren.

Essen ist Leben! Oder sollte Leben sein. Leider haben viele diese Verbindung verloren, nicht nur in der Stadt, sondern auch viele Bauern und Bäuerinnen, denen es nur noch um den Profit geht. Aber diese unmittelbare Verbindung zum Leben ist etwas, das ganz tief in uns drinsteckt, an der Wurzel unseres Seins. Ohne sie fehlt uns etwas.

Wir verlieren dann auch Achtung und Respekt: Wer ständig billiges Fleisch isst oder unreife Tomaten, respektiert ihren Wert nicht. Einmal alle ein, zwei Wochen ein guter Sonntagsbraten ist ein Fest. Eine reife, duftende Tomate ist ein Fest. Eine geschmacklose Glashaustomate ist respektlos. Wenn wir das Essen, gutes Essen zelebrieren, feiern wir das Leben.

Reyes Tirado ist Biologin und Wissenschaftlerin am Greenpeace-Forschungslaboratorium der Universität Exeter in England und Mutter einer vierjährigen Tochter. © Swapan Nayak / Greenpeace

Der Bodenflächenverlust beträgt inzwischen weltweit 350 bis 400 km2 täglich, das ist (mit 350 gerechnet) dreimal die Grundfläche der Schweiz pro Jahr.(Quelle: Universität für Bodenkultur in Wien)

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