Die Holzindustrie beutet die Regenwälder im Amazonasgebiet von Brasilien und Peru rücksichtslos aus, Widerstandskämpfer werden ermordet. Derweil haben die einhei­mischen Ashaninka eine Million neue Bäu­me gepflanzt.

Bei der Begrüssung im Greenpeace­-Büro in Hamburg ist er schweigsam, unnahbar und kühl: Benki Piyãko, Indigenenführer des Ama­zonasvolks der Ashaninka, das in Brasilien und Peru lebt. Doch als das Interview beginnt, strafft sich sein Körper, der Blick wird wach, denn es geht um sein Volk, seine Heimat Brasilien — und um die Missstände und Gefahren dort. Enga­giert berichtet er von der Ausbeutung des Re­genwalds, von korrupten Politikern und einer Holzfällermafia, die vor nichts zurückschreckt. Anfang September wurde einer seiner Freunde und Mitstreiter für Umweltschutz und Men­schenrechte nahe der brasilianischen Grenze in Peru getötet, mit ihm starben drei weitere füh­rende Aktivisten. «Man hat sie wie Tiere ge­schlachtet», sagt Piyãko erbittert.

Greenpeace: Ihr Mitstreiter, der bekannte Umweltaktivist Edwin Chota, ist tot. Was ist dem Mord vorausgegangen?

Benki Piyãko: Edwin, der wie ich zum Volk der Ashaninka gehörte, lebte in Peru, wo er seit Jahren gegen die illegale Rodung kämpfte. Er war verzweifelt, denn die Holzindustrie bedroht die indigenen Völker und zerstört den Regen­wald. Gemeinsam haben wir versucht, Unter­stützung zu bekommen. Ich habe mich an viele Hilfsorganisationen gewandt, unter anderem auch an Greenpeace, habe Filmaufnahmen ge­macht und die Geschehnisse dokumentiert. Das Problem ist, dass der Gouverneur der Region zugleich einer der grössten Holzhändler ist. Deshalb war er natürlich nicht daran interes­siert, sich für unseren Schutz einzusetzen. Dazu kommt, dass die Regierung in Peru noch passi­ver ist als jene von Brasilien.

Auch Sie bekommen häufig Todesdrohun­gen. Weshalb?

Die peruanische Regierung sieht in mir eine Bedrohung, weil ich die Gemeinschaft der Ashaninka über die peruanisch­brasilianische Grenze vernetze und mich für den ständigen Kontakt zwischen den Ashaninka­-Gemeinden einsetze. Wir müssen zusammenhalten, uns austauschen und uns treffen.

Was hat der Tod der Gefährten bei Ihnen ausgelöst?

Er macht mich sehr traurig, bestärkt mich aber darin, weiter ohne Waffen gegen die Holzin­dustrie und für die Rechte meines Volkes zu kämpfen — im Wissen, dass wir von den brasiliani­schen Behörden keinen Schutz erwarten können.

Wer sind die Ashaninka?

In Brasilien leben 1300 Angehörige unseres Volkes. Sie verteilen sich im westlichen Bundes­staat Acre auf vier Gebiete. Meine Gemein­schaft besteht aus etwa 600 Menschen, unser Land erstreckt sich über insgesamt 87 200 Hek­taren. Das Gebiet wurde 1992 von der brasiliani­schen Regierung als Schutzzone für mein Volk anerkannt. Im benachbarten Peru hingegen, wo zwischen 60 000 und 100 000 Ashaninka le­ben, will die Regierung nichts von Schutzgebie­ten wissen. Das führt immer wieder zu Eigen­tumskonflikten.

Wie äussern sich diese Konflikte?

Seit den 1980er Jahren dringen in Brasilien und auch in Peru immer mehr Holzhandelsun­ternehmen in unsere Gebiete vor, um illegal Bäume zu roden. Wenn wir uns wehren, bedro­hen uns die Holzfäller häufig. Aus Angst haben sich viele Ashaninka in entlegenere Regionen zurückgezogen. Doch mittlerweile gibt es kaum mehr Orte, wo wir Schutz finden.

Bekommen Sie denn von niemandem Hilfe oder Unterstützung?

Es gibt einige grössere Nichtregierungsor­ganisationen, die sich für den Schutz unseres Volkes einsetzen und mit der brasilianischen Regierung in Kontakt stehen. Allerdings kennen sie die Probleme in unserer Region nicht sehr genau und bislang konnten sie nur wenig errei­chen. Kleine Gemeinschaften wie wir werden meist überhört.

Haben Sie selbst schon mit Regierungsver­tretern gesprochen?

Wir haben in Gesprächen auf die Illegalität der Abholzungen in unseren Gebieten hinge­wiesen. In Peru haben Delegierte meines Volkes Dokumente vorgelegt, laut denen uns die Holzunternehmen als Ausgleich für die Rodungen Ausbildungs­ und Gesundheitszentren bauen sollten. Doch die Versprechen sind nicht einmal das Papier wert, auf dem sie stehen. Weder die Regierung noch die Industrie setzen diese Pläne um.

Sie selbst haben zwei Ausbildungsprojekte ins Leben gerufen.

Ja, denn Bildung und Vernetzung sind die wichtigsten Pfeiler unserer Gemeinschaft. Seit 2007 vermitteln wir im Ausbildungszentrum Yorenka Atame in der Ortschaft Marechal Thaumaturgo im Bundesstaat Acre Umweltmanage­ment-­ und Naturschutzmodelle. Diese haben das überlieferte Wissen indigener Völker als Grundlage. Parallel dazu arbeiten wir im Projekt «Beija Flor» mit indigenen und nichtindigenen Kindern und Jugendlichen aus Marechal Thaumaturgo, damit sie die Möglichkeiten zum Schutz des einzigartigen Ökosystems Regen­wald so früh wie möglich kennenlernen, anwen­den und weitertragen. Im Zentrum lernen sie, nachhaltig mit natürlichen Ressourcen umzuge­hen und die heimische Biodiversität auszubau­en und nutzbar zu machen. Auf dem Lehrplan stehen unter anderem auch Techniken zur Wie­deraufforstung gerodeter Flächen.

Wie treiben Sie die Wiederaufforstung voran?

Weil sich von offizieller Seite niemand dar­um kümmert, haben wir diese Aufgabe selbst an die Hand genommen und seit dem Jahr 2000 über eine Million neue Bäume gepflanzt. Bei der Aufforstung der riesigen abgeholzten Flächen benötigen wir eine Artenvielfalt, die das Fortbe­stehen des Regenwaldes garantiert. Inzwischen arbeiten wir auch mit der Agrarwirtschaft zu­sammen. Wir möchten einheimisches Obst an­ bauen und so die lokale Wirtschaft stärken.

Erhalten Sie wenigstens finanzielle Hilfe?

Von unserer Regierung bekommen wir kei­nen einzigen Real. Sie baut stattdessen immer mehr Staudämme, welche die Natur zerstören. In diese Bauvorhaben fliessen auch europäische Gelder. Doch die wahren Kosten tragen die Na­tur und die indigenen Völker. Immerhin gibt es internationale Förderprojekte zur Wiederauf­forstung der Regenwälder in Peru und Brasilien, zum Beispiel von der deutschen Regierung. Die muss jedoch genau kontrollieren, wie ihre Gel­der verwendet werden: Kommt die Förderung tatsächlich in den entsprechenden Projekten an, und kommt sie dem Umweltschutz zugute?

Wie können die Menschen hier in Europa Sie unterstützen?

Das Wichtigste ist, dass unsere Projekte und unsere Geschichte weitergetragen werden. Denn dadurch erhöht sich der Druck auf unsere Regierung und jene von Peru — vielleicht veranlasst sie das irgendwann zum Handeln.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Die grossen Holzfirmen und Wirtschafts­mächte verschliessen die Augen vor unseren Problemen — Menschenleben und Umwelt sind ihnen egal. Die Politiker wiederum handeln meist nur im Interesse der Industrie. Ich wün­sche mir eine Politik, die nicht nur Staudämme finanziert, sondern auch nachhaltige Projekte. Eine, die den Regenwald respektiert und schützt.

Dieses Interview schliesst an jenes mit dem Amazo­nasforscher Jeremy Narby über die Ashaninka­-India­ner und ihr Verhältnis zur Wildnis an, das wir im Okto­ber 2014 unter dem Titel «Für die Natur waren die 300 Jahre Aufklärung ein Höllentrip» publiziert haben. Da­mals haben wir auch den Artikel «Die Wildnis existiert nicht» mit Bildern des Fotografen Michael Goldwater veröffentlicht. Ihm war es gelungen, die harmonische Beziehung der Ashaninka mit der Natur einzufangen. Beide Beiträge können nachgelesen werden.