Vor 150 Jahren erfand der Mensch die Bienenhaltung neu, um sie effizienter zu machen — mit dem Resultat, dass es den Bienen heute schlechter geht denn je. Immer mehr Imker möchten deshalb wieder möglichst naturnah arbeiten. Doch was bedeutet das? Wie unterscheiden sich die Praktiken und Philosophien? Drei engagierte Imker beschreiben ihren Weg.

Hans Studerus ist pensionierter Lehrer der Rudolf-Steiner-Schule. Er war auch Berufsmusiker und hatte sich nach dem Tod seines Vaters — noch als Jugendlicher — um den elterlichen Bauernhof gekümmert. Die Imkerei gehört zu seinem Leben. Schon als Bub musste er Bienenschwärme einfangen. «Das habe ich nie gern gemacht, denn wenn der Schleier nicht dicht war, wurde ich jedes Mal gestochen.»

Als Erwachsener hatte er eigene Bienenvölker. Er imkerte zunächst konventionell, «dann je länger, je naturnaher, weil ich miterlebte, wie Fütterung, Vermehrung und Behausung — die drei zentralen Aspekte jeder Tierhaltung — auch bei den Bienen immer unnatürlicher und schlechter wurden.» Bis vor rund 150 Jahren ernährten sich die Bienen ausschliesslich von Nektar, Honig, Pollen und Wasser. Sie vermehrten sich nur über den Schwarm und hatten ein stabiles Brutnest. Dann begann der Mensch, die Imkerei effizienter zu machen.

Schon seit Hans Studerus› Kindheit ist die imkerei Teil seines Lebens. Heute besitzt er zehn Bienenstöcke bei der Aare. © Sava Hlavacek

Studerus steht an einem Hang oberhalb der Aare vor seinen zehn Bienenstöcken, sogenannten Warré-Volksbeuten. Das sind speziell für die naturnahe Imkerei gefertigte Holzkästen, die FreeTheBees weiterentwickelt hat. Studerus ist Vorstandsmitglied des Vereins. Zuoberst im Warré-Kasten hat er den Bienen Futter in Form von Zuckerwasser-Honig-Teegemisch hingestellt. Dass die Bienen von den Imkern gefüttert werden, ist der Normalfall, auch in der naturnahen Imkerei — nicht aber bei den Mitgliedern von FreeTheBees. Der Verein will möglichst konsequent Bedingungen schaffen, wie sie die Bienen in der freien Natur antreffen. Künstliches Füttern passt da nicht ins Konzept (siehe Tabelle). Es sei aber jedem selber überlassen, wie naturnah er imkern wolle, relativiert Studerus.

Überzüchtete Bienen

«Naturnah» und «zurück in die Vergangenheit» klingen gut. Nur gibt es einen gewaltigen Haken an der radikalen Naturnähe, wie FreeTheBees sie propagiert. Auf ihrer Website ist zu lesen: «Bei vollständig natürlich gehaltenen Bienenvölkern muss derzeit eine Verlustrate von bis zu 90 Prozent in Kauf genommen werden.» Von zehn Völkern überlebt im besten Fall also eines. Die andern gehen an der Blut saugenden Varroamilbe zugrunde, wenn sie nicht schon vorher an Brutkrankheiten sterbenoder verhungern.

An dieser Misere ist hauptsächlich der Mensch mit seiner intensiv betriebenen Landwirtschaft schuld. Die verbreiteten Monokulturen schränken das Futterangebot empfindlich ein, selbst im Sommer. In der Schweiz gibt es keine wildlebenden Honigbienen mehr (nicht zu verwechseln mit den solitären Wildbienen). Es war auch der Mensch, der die Varroamilbe eingeschleppt hat. Inzwischen haben sich die Lebensbedingungen der Bienen derart verschlechtert, dass sie auf unterstützende Notmassnahmen angewiesen sind. Dazu gehört die Varroabehandlung und in schlechten Honigjahren wie diesem das Zufüttern mit Zuckerwasser. Hilft der Mensch nicht nach, sterben die Bienen mit grösster Wahrscheinlichkeit.

Für FreeTheBees ist die logische Konsequenz, dass «die Bienenvölker lernen müssen, ohne Varroabehandlung zu überleben, also
 aus eigener Kraft mit der Milbe fertig zu werden», sagt Studerus. Er glaubt, dass sie das schaffen, wenn man ihnen genug Zeit einräumt. Allerdings könnte der Anpassungsprozess gut hundert Jahre dauern — so lange, wie die moderne Imkerei den Bienen das Leben bequem gemacht und sie «einseitig überzüchtet» habe: «Sie mussten nur noch möglichst viel Honig liefern, alles andere verlernten sie, weil wir ihnen die Arbeit abgenommen hatten, etwa den Wabenbau.»

Studerus öffnet eine seiner Warré-Volksbeuten. Acht Waben hängen senkrecht im Kasten. Anders als in der konventionellen Imkerei hätten seine Bienen die Waben vollständig selber gebaut, erklärt er: «Das ist der sogenannte Naturwabenbau. Im Frühling fängt der Bienenschwarm damit an, vorher ist die Kiste komplett leer. Meine einzige Unterstützung ist ein wenig Wachs, das ich in den Schlitz am Oberträger gebe, an den bauen sie dann an.»

Schwache Völker sterben lassen

Einige Tage später, rund sechzig Kilometer weiter nördlich im solothurnischen Jura, zieht auch Martin Dettli zu Demonstrationszwecken Waben aus seinen Bienenkästen, «gebaut mit Wachs, das die Bienen selber produziert und ausgeschwitzt haben». Dettli ist Präsident der Arbeitsgruppe Naturgemässe Imkerei (AGNI), hat eine eigene Website, eine Kolumne in der «Schweizerischen Bienen-Zeitung» und ab nächstem Jahr wird er die Studenten des neu geschaffenen Weiterbildungslehrgangs «Imker mit eidgenössischem Fachausweis» unterrichten. Dettli geniesst den Respekt von Hans Studerus, der mit ihm auch die vom Demeter-Verband vertretene Philosophie des Bien (Bienenvolk) teilt: dass das Bienenvolk ein Organismus und die Wabe ein Organ davon sei. Deshalb verzichtet Dettli auf die künstlichen Mittelwände, die in Bienenkästen verbreitet sind: «Ich möchte kein fremdes Organ im Kasten.»

Martin Dettli betreibt Wanderimkerei mit 75 Bienenvölkern im Jura und in den Alpen. Er ist zudem auch im Journalismus, in der Forschung und Bildung tätig. © Sava Hlavacek

Der bieneneigene Wabenbau ist ein Merkmal der Demeter-Imkerei. Ein weiteres ist, dass die Vermehrung über den natürlichen Schwarm erfolgen soll. Es gehe darum, «dass die Völker zusammenbleiben und nicht mit einer von irgendwoher stammenden Königin weitermachen». Dettli ist überzeugt, dass die Bienen einander Informationen weitergeben: «Dieser Organismus und das gemeinsame Wissen eines Volkes, das zählt für mich.» Ein Problem mit Inzucht gebe es dabei nicht, «denn die Bienen kommen weit herum und werden von verschiedenen Drohnen begattet». Bei dieser natürlichen Art der Vermehrung müsse man sich manchmal aber auch dazu entschliessen, ein Volk aufzulösen: «Du kannst nicht alles hätscheln, was die Natur anbietet, du musst auch Grenzen setzen.» Dettli macht also, was die Natur — und die Mitglieder von FreeTheBees — auch tun würden: schwache Völker sterben lassen. Den starken aber ermöglicht er, im Gegensatz zu den Bienenbefreiern, dank gezielter Pflege und Versorgung zu überleben.

Dettli sagt: «Die Imkerei ist heutzutage, verglichen mit der Natur, immer ein extremer Kompromiss.» Begleitet vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) hat sich der studierte Agronom intensiv mit der Varroabehandlung befasst. Sein Befund bestätigt die These von FreeTheBees, wonach die Biene in der Lage sei, mit der bedrohlichen Milbefertig zu werden — allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: «Im Lebensraum, den es heute vorfindet, schafft es das Bienenvolk nur gemeinsam mit dem Menschen. Ohne ihn hätte es zu wenig Nahrung und ein Weglassen der Varroabehandlung würde enorm viel Beobachtung, Hingabe und Sorgfalt voraussetzen.» Dettli ist überzeugt: «Je schwieriger die Bedingungen hier draussen sind, desto mehr müssen wir Imker dies mit unserem Engagement kompensieren.» Dass Dettli seinen Bienenvölkern — wie es ausser Vertretern von FreeTheBees alle tun — den grössten Teil ihrer Honigreserven nimmt und ihnen dafür Zuckerwasser hinstellt, ist für den Demeter-Imker kein Widerspruch. Er sagt: «In dieser speziellen Partnerschaft hat der Mensch Anspruch auf den Honig und die weiteren Bienenprodukte wie Propolis und Pollen.» Warum? «Allein schon aus medizinischer Sicht: Für uns sind diese Mittel eine Gabe der Natur.»

Superbienen züchten?

Propolis wird von den eidgenössischen Bienenforschern von Agroscope als «stärkstes natürliches Antibiotikum» gepriesen. Marco Paroni geht ins Haus, um ein wenig von diesem Produkt zu holen, das er wie Dettli und andere Imker zu einer Tinktur verarbeitet. Paroni
 ist mit seinen rund hundert Völkern einer der wenigen Berufsimker der Schweiz. Er könne durchaus davon leben, sagt der Berner nicht ohne Stolz. Die vielen Bienenkästen hat er an verschiedenen Orten aufgestellt, jeweils nicht mehr als 17 zusammen und alle mit ein paar Metern Abstand. Er ist zertifizierter Bio-Imker, was aber nicht bedeutet, dass ihm alle, die
 Wert auf die natürliche Imkerei legen, gut gesonnen sind. Im Gegenteil: Vor allem Vertreter von FreeTheBees kritisieren ihn heftig. Der Grund: Paroni züchtet eigene Königinnen.
 Er lässt also nicht die Bienenvölker entscheiden, wann und wie sie sich vermehren, sondern greift ein, weil er die Genetik seiner Honigbienen verbessern will. Das ist eine für viele Naturimker unzulässige Methode, auch Demeter toleriert die Zucht nicht.

Marco Paroni ist seit 40 Jahren als Imker tätig und hält rund 100 Bienenvölker in Kisten und auf Wanderschaft. © Sava Hlavacek

Doch Bio-Imker Paroni ist überzeugt von dieser Praxis und würde ein öffentliches Streitgespräch über das Thema nicht scheuen, wenn es denn eines gäbe. Seine Methode sei
 die sinnvollste, um das Überleben der Honigbiene zu sichern: «In der Vergangenheit hat der Mensch mit seiner Zucht Bienen am Leben erhalten, welche die Natur aussortiert hätte. Das Resultat sind die schwachen Bienen, die wir heute haben. Das ist für mich einer der Hauptgründe fürs Bienensterben. Deshalb züchte ich jetzt Bienen, die den heutigen Ansprüchen gewachsen sind.»

Eine Superbiene, die den vom Menschen verursachten Bedrohungen trotzt — Paroni befindet sich mit dieser Idee in guter Forscher- Gesellschaft. Im Grunde zielt sogar die Philosophie von FreeTheBees in diese Richtung, wenn auch ohne künstliche Eingriffe: In der meist tödlichen Freiheit sollen die stärksten Völker überleben. Für Hans Studerus geht dieser Gedanke indes zu wenig weit. «Müsste man nicht auch die schlimme Umgebung ändern und einen Lebensraum schaffen, in dem die Bienen und all die andern Insekten wieder existieren können?», fragt er — und blickt von seinem Bienenstand auf die grasgrüne, mit Pestiziden behandelte Landschaft und weiter in Richtung Westen, wo das AKW Gösgen steht.