Nicht nur schmelzende Gletscher und Erdrutsche bereiten uns als Folge des Klimawandels Probleme. Die dadurch ausgelösten Veränderungen lassen die Flüchtlingsströme aus Afrika nach Europa massiv anschwellen. Eine österreichische Journalistin hat sich vor Ort umgesehen und berichtet.


Ein erschöpfter Flüchtling, der mit einem Boot aus Afrika am Strand bei Tuineje, auf Fuerteventura, Kanarische Inseln, gelandet ist.

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Wer seinen Urlaub derzeit an spanischen Küsten verbringt, läuft Gefahr, auf besonders drastische Weise mit den Folgen des globalen Klimawandels konfrontiert zu werden: Es kann passieren, dass man in der Früh am Strand auf die angeschwemmte Leiche einer Afrikanerin oder eines Afrikaners stösst. Oder dass zwischen den Schlauchbooten der Kinder ein überladenes Fischerboot voll verdurstender Flüchtlinge an den Strand treibt.

Aus Westafrika ist eine riesige Flüchtlingswelle nach Europa unterwegs: Allein auf den Kanarischen Inseln kamen im ersten Halbjahr 2006 mehr als doppelt so viele Auswanderer an wie im ganzen Jahr zuvor. Bis zu 500 am Tag schaffen die gefährliche Überfahrt aus Marokko, Mauretanien oder dem Senegal. In Mauretanien sollen weitere 500 000 auf eine Gelegenheit zur Überfahrt warten – in Libyen gar zwei Millionen, laut dem dortigen Innenministerium. Das Rote Kreuz schätzt, dass ein Drittel bis die Hälfte die Reise nicht überlebt. Warum tun sich Menschen solche Strapazen an?

Ceuta, Grenze zwischen Afrika und Europa: «Wir sind hier, weil wir keine andere Wahl haben», sagt Mahouda aus Mali. Er ist vor drei Jahren aus seinem Dorf in der Sahelzone aufgebrochen, um nach Europa zu fliehen, und steckt nun seit Monaten in Ceuta fest, der kleinen spanischen Exklave auf afrikanischem Boden. Bei einem der Massenanstürme auf den sechs Meter hohen Zaun, der Europa von Afrika trennt, hat er es über die Grenze geschafft und sich dabei einen Fuss gebrochen. Doch er lacht darüber: «Was ist schon ein gebrochener Fuss gegen Europa?»

Tatsächlich musste er auf der Reise Schlimmeres durchmachen: Mit einer Flüchtlingsgruppe ging er den Grossteil des Weges zu Fuss – quer durch die Sahara. Viele sind auf diesem Weg gestorben, sagt er. «Jeder von uns weiss, dass er auf der Fahrt sterben kann», sagt Mahouda. «Aber im Sahel kann man nicht mehr leben, seit der Regen ausbleibt. Wir müssen für unsere Familien sorgen, die verhungern sonst. Für uns heisst es: Europa – oder den Tod.»

Ouahigouya, Sahel, Burkina Faso: Die Sahelzone trocknet aus. Keine andere Region der Erde ist vom Klimawandel so massiv betroffen. «Die Regenmenge ist die gleiche, doch der Regen bringt nicht mehr Leben, sondern den Tod: Die Regenfälle kommen viel zu spät, dann dafür kurz und heftig, und dabei reissen sie alles mit», erklärt Bernard Ledea Ouedraogo, der im Norden von Burkina Faso seit 30 Jahren gegen den Hunger kämpft und Träger des Alternativen Nobelpreises ist. «Wir haben viel geschafft, aber wir haben zwei grosse Probleme: die Geburtenrate und den Klimawandel. Gegen die Bevölkerungsexplosion können wir etwas tun. Aber was machen wir gegen die Dürre?»

Tolo, Sahel, Burkina Faso: In Tolo hat der Regen im vergangenen Jahr den Damm mitgerissen. Es ist ein kleines Dorf mitten im Sahel, nahe an der Grenze zu Mali, mit etwa 5000 EinwohnerInnen. Hier wird auch in guten Zeiten nur einmal am Tag gegessen: Am Abend gibt es Hirsebrei. Bis zur Ernte sind es noch acht Monate, die Vorräte sind jetzt schon knapp. Bis 2004 konnten die Dorfbewohner zusätzlich Gemüse anbauen. Ein Bewässerungsdamm aus rohen Steinquadern, gebaut in den siebziger Jahren, staute die Weisse Volta, das Wasser versorgte die Felder und die Tiere. Dann kam ein heftiges Gewitter – der Damm brach. Jetzt ist dort nur noch der klägliche Rest des Sees, eine schlammige Pfütze. Zwei, drei Wochen wird das Wasser vielleicht noch reichen. Dann kommt der Hunger. «Unsere einzige Chance ist, dass die Jungen auswandern», erklärt einer der alten Männer. Die Zuwendungen der Auswanderer machen für die Länder der Sahelzone mittlerweile den grössten Posten im Bruttosozialprodukt aus. Für Dörfer wie Tolo bedeuten sie das nackte Überleben.

Rabat, Marokko, EU-Afrika-Konferenz: Der Klimawandel wird nicht dort gemacht, wo er seine tödlichen Folgen zeigt: Europa ist für 20,8 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich, Afrika für nur knapp über 3 Prozent. Doch die Folgen kommen nun in kleinen Booten auch in Europa an. Weltweit könnte die Zahl der Klimaflüchtlinge im Jahr 2010 bereits 50 Millionen betragen, schätzt die UNO. Auf der EU-Afrika-Konferenz im Juli 2006 über illegale Migration ist das allerdings kein Thema. Die EU will nur eines besprechen: wie die Masse der Auswanderer gestoppt werden kann, bevor sie europäischen Boden erreicht. Hunderte von Millionen Euro gibt sie aus, um dieses Ziel zu erreichen.

«Wir machen uns auf eine neue Hungersnot gefasst», sagt Moussa aus Ouahigouya. Er hat mich kürzlich angerufen – seine ganze Familie habe zusammengelegt, um ihm die Reise nach Europa zu finanzieren. Er will sich hier durchschlagen und Geld verdienen. «Ich will nicht weg», sagt er. «Aber es ist die einzige Chance.»

Corinna Milborn ist Politikwissenschafterin und Journalistin in Wien. Sie ist Autorin des Buches «Gestürmte Festung Europa. Einwanderung zwischen Stacheldraht und Ghetto». Styria-Verlag, Wien-Graz-Klagenfurt 2006, Fr. 34.90.