Klimafahne_Kopenhagen_07
Kaspar Schuler, Co-Geschäftsleiter Greenpeace Schweiz, aus Kopenhagen

„Dieser Zug ist auch ein Zug der Hoffnung!“ hat Bundesrat Moritz Leuenberger in eisiger Kälte gestern Nachmittag auf dem Perron auf dem Bahnhof Burgdorf gesagt.

In der gleichen Stimmung hat er sich auch heute hier in Kopenhagen vom Schweizer Botschafter in Dänemark verabschiedet: „Ich schwebe auf einer Wolke der Hoffnung an die Konferenz.“ So etwa hat der Botschafter die „letzten“ Worte Leuenbergers an uns MitfahrerInnen im Klima-Express weitergegeben, bevor der Umweltminister sich ins Wortgetümmel der Konferenz gestürzt habe. Die nächtliche Fahrt mit NGO-, ÖV- und WirtschaftsvertreterInnen, mit ParlamentarierInnen und einer Sekundarschulklasse muss ihn wahrlich beflügelt haben.

Nach Gesprächen mit mehreren Schweizer Delegationsmitgliedern vor Ort habe ich allerdings den Eindruck, dass hier in Kopenhagen Moritz Löwenherz schnell zu einem Ritter der traurigen Gestalt werden könnte.

Die Situation ist verfahren. Es scheint keinen klaren Lead in der ganzen Konferenz zu geben, die Delegierten beklagen sich darüber – hinter vorgehaltener Hand – und wenn die dänische Konferenzleitung etwas vorschlägt, wird es von irgendeiner Interessengruppe zerpflückt. So warten alle auf die letzten, morgigen Inputs der nun eintreffenden Staatsoberhäupter. Einige warten wohl auch auf Barack Obama. Dass der amerikanische Präsident allerdings noch etwas zum Guten bewegen wird, ist unwahrscheinlich. Bereits Hillary Clinton, seine Aussenministerin, hat heute zwar wortgewaltig („the time is now!“) von der amerikanischen Bereitschaft zum Klimaschutz gesprochen, doch auf die Frage nach konkreten amerikanischen Beiträgen kneifte sie.

Woran scheitert die Konferenz aller Voraussicht nach? Folgende Gründe sind derzeit feststellbar:

–       Die kollektive Belauerung: Niemand macht den ersten Schritt aus der Pattsituation. Alle erwarten von den anderen mehr. Auch Moritz Leuenbergers Hände sind sehr eng gebunden, da seine Minimalofferte (20% CO2-Reduktion, davon nur die Hälfte in der Schweiz) läppisch ist für eines der reichsten Länder. Auch wenn er – wie gestern in Burgdorf – die nötigen 40% CO2-Reduktion eindrucksvoll beschwören wird: Zu einem auch nur halbwegs mutigen Schweizer Beitrag auf dem Weg dorthin (-30%) kann er sich nur verpflichten, wenn die EU zuvor das gleiche tut.

–       Das Zögern der USA: Ihre Verhandlungsdelegation wartet auf den Entscheid des Senats (eine der 2 Parlamentskammern) und betont, dass der Präsident diesem Entscheid keinesfalls vorgreifen sollte, da das Parlament nur mit Ablehnung reagieren würde. Zugleich betont die amerikanische Seite aber auch, dass ein erfolgreicher Abschluss in Kopenhagen ein wichtiges Zeichen für das amerikanische Parlament wäre. Kurzum: Die USA wollen einen erfolgreichen Konferenzabschluss, ohne selbst substanziell beizutragen.

–       Die Mauern Chinas: China schaltet auf stur und belauert die USA, und alle anderen Industrienationen. Seine Verhandlungsdelegation betont, dass sie nicht die gleiche Verbindlichkeit wie die Industriestaaten für ihre eigenen CO2-Reduktionen zu akzeptieren bereit sind. Sie widersetzen sich auch externen Umsetzungskontrollen.

–       Die neue Schieflage: Die Aufteilung in Industriestaaten und Entwicklungsländer – seit der Umweltkonferenz von Rio 1992  gültig – ist überholt. Wenn sich Saudi Arabien, Singapur oder China weiterhin in der Kyoto-Logik zu den Entwicklungsländern zählen, ist das zwar der Form nach richtig, inhaltlich jedoch stossend. Wenn sie gar Unterstützungszahlungen wie die ärmsten Länder einfordern, geht den Industriestaaten die Galle hoch – und ihre Zahlungsbereitschaft schwindet.

–       Die Verknüpfung der Themen: Es gibt nur sehr wenige Verhandlungsinhalte, die nicht in einem direkten Konflikt mit einem anderen stehen. Die geforderten neuen Verpflichtungen der bisherigen Kyoto-Vertragsstaaten werden von diesen mit der Haltung der Nichtmitglieder unter den Industriestaaten verknüpft. Beide wiederum stehen im Clinch mit den Entwicklungsländern. Dabei geht es erstens um die eigenen, konkreten Klimaschutzmassnahmen, und zweitens um deren Finanzierung durch die Industriestaaten.

Als Folge der daraus entstehenden Blockierungen und Verwirrungen erhält die Wortklauberei zentrale Bedeutung, wie es mir ein Delegationsmitglied eindrücklich beschrieb:

„Die Amerikaner akzeptieren in den Dokumententexten kein „shall“ (soll), denn das ist für sie bereits verbindlich. Sie möchten jeweils ein „should“ (sollte). Doch für die Entwicklungsländer ist bereits ein „shall“ Ausdruck von Unverbindlichkeit, das sie nicht bereit sind zu akzeptieren.“

Schluss termingerecht am Freitagabend?

Wenn wahr wird, was Stefan Ruchti, Mitglied der offiziellen Schweizer Verhandlungsdelegation, heute den TeilnehmerInnen des Klima-Express in Aussicht stellte, dann wird morgen Freitag unter den Staatspräsidenten nur noch über die Schadensbegrenzung verhandelt. Das bestmögliche Konferenzergebnis aus seiner Sicht wäre, dass sich so die Staatspräsidenten wenigstens auf klare Vorgaben einigen, was bis in einem Jahr erreicht werden soll. Und er wünscht sich – wohl ermüdet von zwei Wochen Prozesswirren – dass sie bitte auch den Prozess bis zu dieser 16. Klimakonferenz in Mexiko präzise festlegen.

Ob folglich die Staatsoberhäupter wenigstens als Prozessmanager taugen, das wird sich morgen zeigen. Die Klimakonferenz könnte so wie geplant am Freitagabend enden. Wenn auch das nicht klappt, dann gute Nacht. Der Präsident des Inselstaates Tuvalu habe mit Tränen in den Augen und halb erstickter Stimme an die Anwesenden appelliert, jetzt und hier zu handeln; vergeblich.

Dieser tristen Aussicht stemmen sich jedoch die NGOs vehement entgegen. Obwohl – oder gerade weil – sie bis auf ganz wenige VertreterInnen von der Anwesenheit im Konferenzgebäude ausgeschlossen wurden, wird sich ihr Protest und ihr Ruf nach Umkehr und neuer Handlungsbereitschaft in den verbleibenden Stunden akzentuieren. Kein entspanntes Unterfangen für die Tausenden auf der Strasse, im eisigen Nordwind, im Schnee, mit steifgefrorenen Zehen.

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