Ein stürmischer Wind wirbelt feinen Sand über den Highway 63 nördlich der Stadt Fort McMurray in der kanadischen Provinz Alberta. Beissender Geruch liegt in der Luft. Schemenhaft ist eine rote Schiessbudenfigur zu erkennen, Schüsse knallen über eine baumlose, graue Ebene.
Noch vorwenigen Jahren breitete sich hier ein von Sumpfgebieten und mäandrierenden Flüssen durchzogener Wald mit Birken, Espen, Fichten, Kiefern und einer reichen Fauna und Flora aus. Doch unter der Erde liegt schwarzes Gold – auf einer Fläche mit der vierfachen Grösse der Schweiz. Auf 173 Milliarden Barrel, das sind 27 Billionen Liter, werden die Vorkommen geschätzt. Nur Saudi-Arabien hat noch mehr davon.
Aber dieses Öl lässt sich nicht einfach hochpumpen. Es ist als zähe, dickflüssige Masse, die als Bitumen bezeichnet wird, ins Erdreich eingebunden und muss mit riesigen Baggern buchstäblich herausgekratzt und dann in einem extrem energie- und wasserintensiven Verfahren herausgelöst werden. Es ist das dreckigste Öl der Welt.
Die katastrophale Umweltbilanz wird von Industrie und Behörden schöngeredet, denn es winken Milliardengewinne. Während vieler Jahrzehnte, als Erdöl spottbillig zu haben war, war der kanadische Ölsand mit Produktionskosten von 25 Franken pro Barrel (1 Barrel entspricht 159 Litern) kaum konkurrenzfähig. Erst in den vergangenen Jahren hat sich das Blatt gewendet. Jetzt soll die Förderung bis ins Jahr 2020 auf 4,5 MillionenBarrel pro Tag verdreifacht werden. Bei einem Ölpreis von 75 Franken lassen sich damit rund 225Millionen Franken verdienen – täglich.
Da ist die Natur nur noch im Weg. Wasservögel müssen mit Vogelscheuchen und im Minutentakt abgefeuerten Böllerschüssen daran gehindert werden, auf einem der riesigen Gewässer in der kahlen Einöde zu landen. In diesen «Tailing Ponds», die nach vierzig Jahren Förderung eine Fläche von 132 Quadratkilometern umfassen, werden täglich 1,8 Milliarden Liter giftige Abwässer aus der Ölproduktion abgelassen. Es gibt nur Erddämme, aber keinerlei weiteren Abdichtungen zum nahen Athabaska-Fluss.
Jeden Tag gelangen nach Angaben von Peter Lee von Global Forest Watch Kanada rund 5,6 Millionen Liter dieser toxischen Brühe in das Gewässer. Die Folgen bleiben nicht aus: 230 Kilometer flussabwärts liegt Fort Chipewyan, einst einer der wichtigsten Pelzhandelsplätze Kanadas. Heute leben hier 1500 Einwohner vorwiegend indianischer Herkunft.
Mike Mercredi, einer von ihnen, hat binnen weniger Jahre drei nahe Angehörige durch Krebs verloren. «Ich kann es nicht endgültig beweisen, aber für mich ist klar: Es hat mit dem Wasser zu tun, das wir hier trinken.» Der 34-Jährige hat zehn Jahre als Fahrer eines «HeavyHauler», eines der grössten Kipperlastwagen der Welt, in einer Mine gearbeitet und damit jährlich über 100 000 Franken verdient. «Sie zahlen gut. Doch was sind die Konsequenzen? Das kann ich nicht mehr verantworten.»
Mercredi stieg aus und kehrte nach Fort Chipewyan zurück, wo er heute zusammen mit seinem Freund Lionel Lepine und weiteren Mitstreitern die Zerstörung seines Lebensraumes dokumentiert – von der Wasserprobe über den missgebildeten Fisch bis zu den rapide schwindenden Wildtierbeständen. «Ich traue den offiziellen Verlautbarungen nicht mehr, wonach alles in Ordnung sei. Wir haben herausgefunden, dass die Fische stark belastet sind. Seither isst hier keiner mehr lokalen Fisch.»
Und das ist erst der Anfang. Denn gerade mal zwei Prozent der Vorkommen sind bislang gefördert worden. Geht es nach den Plänen der Provinzregierung von Alberta und Dutzenden von Ölkonzernen aus aller Welt, werden in den kommenden Jahren Ölsandminen wie Pilze aus dem Boden schiessen. 91 Projekte sind bereits in der Pipeline. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die so erschlossenen Ressourcen wie alle anderen irgendwann zur Neige gehen werden.
Fort McMurray ist die Kapitale dieses neuen Eldorados, die Stadt platzt aus allen Nähten. In nur zehn Jahren hat sich die Bevölkerungszahl auf 85 000 vervierfacht, in weiteren zehn Jahren sollen es schon 250 000 Einwohner sein. An der Primarschule werden heute Kinder aus 42 Nationen unterrichtet. Tausende Arbeitskräfte leben nicht in der Stadt, sondern direkt auf dem Gelände der Ölsandminen. Sie fliegen mit Jumbo Jets aus ganz Kanada für eine Schicht von jeweils zwei Wochen ein.
Die Industrie, die angesichts des schwachen öffentlichen Interesses ihre Umweltsünden bislang diskret unter denTeppich hat kehren können, spricht inzwischen davon, dass man die Probleme künftig ernster nehmen wolle. Dan Thompson, Präsident der Oil Sands Developers Group, des Dachverbands der Förderfirmen, verspricht grosse Effizienzsteigerungen dank neu entwickelter Technologien. Zudem werde der Grossteil des in tieferen Schichten gelegenen Ölsands unter Tage gefördert, die Landschaft also weit weniger verschandelt.
Was Thompson nicht sagt: Die CO2-Emissionen, der Wasser- und der Energiebedarf werden dann gar noch steigen.
Interessant ist auch die Frage, was mit dem geförderten Öl geschieht. Die Antwort: Es wird fast ausschliesslich in die Vereinigten Staaten gepumpt und dort raffiniert. Derweil importieren die östlichen Provinzen Kanadas Öl aus dem Nahen Osten…