Die Schweiz hat einen blinden Fleck. Wir haben zwar wunderbare Pärke für Steinböcke, Uhus und Luchse, aber Fische finden keinen einzigen Quadratmeter geschützten Lebensraum. Folge: Drei Viertel der Arten sind gefährdet oder ausgestorben. Was nun? Eine Debatte mit David Bittner, Geschäftsführer Schweizerischer Fischerei-Verband und Christoph Vorburger, Leiter der Abteilung Aquatische Ökologie an der Eawag.

© Jörn Kaspuhl

Herr Bittner, in der Schweiz kommt es jeden zweiten Tag zu einem Fischsterben. Braucht es alle zwei Tage ein Menschensterben, bis wir verstehen, dass es uns eines Tages gleich gehen könnte?
Dafür braucht es kein Menschensterben. Tote Rehe oder tote Singvögel jeden zweiten Tag würden genügen, damit wir aufwachen. Fische sind uns zu fern, sie leben verborgen im Wasser.

Der Fischerei-Verband sagt, bei einem Fischsterben solle man «die Polizei rufen». Müsste man nicht eher Greenpeace rufen?
Tatsächlich galten Fischsterben lange Zeit als Kavaliersdelikte. Die Behörden hatten Mühe, die Gesetze durchzusetzen. Inzwischen werden sie mehr und mehr als Offizialdelikte behandelt. Aber gut ist die Situation noch lange nicht – zumal der Druck auf die Lebensräume der Wasserfauna weiter zunimmt.

Für viele Tiere gibt es rechtlich abgesicherte Schutzgebiete. Nur bei der aquatischen Fauna sieht es schlecht aus.
Der Lebensraum Wasser ist im Gegensatz zum Lebensraum Land in der Tat kaum geschützt. Für Tiere wie Luchse haben wir Pärke geschaffen, in die sie sich zurückziehen können, aber Fische finden hierzulande keinen einzigen Quadratmeter wirklichen Schutz.

Die Biodiversitätsinitiative will diese Lücke schliessen und gesetzlich verankerte Schutzgebiete ausscheiden. Der Bundesrat hat dazu einen Gegenvorschlag erarbeitet, aber das Parlament hat ihn abgelehnt. Ihr Kommentar? Das bedrückt mich sehr. Der Nationalrat gab sich noch Mühe, einen Kompromiss zu finden, doch der Ständerat war nicht einmal bereit, auf die Vorlage einzutreten. Dabei brauchen wir mehr als nur die Initiative. Der Schutz der Biodiversität und damit auch der Gewässer-Lebensräume muss dringend in der Verfassung verankert werden.

Wie geht es weiter? Können Kinder in 50 Jahren noch Fische im Dorfbach beobachten?
Ich versuche stets optimistisch zu denken, obwohl die Aussichten momentan zumindest düster sind. Damit unsere Gewässer am Leben bleiben, müssen wir verstehen lernen, wie extrem wichtig sie sind – für die Biodiversität, für sauberes Trinkwasser, für saubere Böden und damit unsere Lebensmittel. Kurz: Sie sind unsere Korallenriffe und Regenwälder in einem, wahre Hotspots der Artenvielfalt!


© Jörn Kaspuhl

Herr Vorburger, drei Viertel unserer Fisch- und Krebsarten sind auf der Roten Liste verzeichnet oder bereits ausgestorben. Legen wir es darauf an, dass die Wasserwelt noch ganz verschwindet?
Ja, das kann man so sagen. Die Biodiversität in unseren Gewässern ist in einem sehr schlechten Zustand. Leider ist der Verlust an Biodiversität im Wasser noch grösser als in anderen Lebensräumen.

Aus welchem Grund?
Die Gewässer sind durch bauliche Eingriffe stark beeinträchtigt und fragmentiert. Dazu kommen viele invasive Arten, Verschmutzungen und immer stärker der Klimawandel.

So weit konnte es nur kommen, weil die Lebensräume der Wasserfauna im Gegensatz zu jenen anderer Tiere kaum geschützt sind. Wie kann das sein?
Ein wichtiger Grund ist die Nutzung der Wasserkraft. Wir brauchen sie, aber wir nehmen nicht genug Rücksicht auf die Natur. Und für die paar verbliebenen natürlichen Gewässer tun wir zu wenig.

Die Biodiversitätsinitiative will das nun ändern und fordert auch für die Wasserfauna gesetzlich verankerte Schutzgebiete.
Eigentlich ein sehr gutes Anliegen. Ich persönlich bedaure es sehr, dass sich das Parlament nicht auf einen griffigen Gegenvorschlag einigen konnte. Nun hoffe ich, das Volk wird die Initiative annehmen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Wasserfauna?
Ich wäre gerne optimistisch, bin es aber nicht. Ich gehe zwar davon aus, dass wir gewisse Bestände bedrohter Arten retten können, aber die ursprüngliche biologische Vielfalt wird es nie mehr geben. Um mehr zu tun, fehlt häufig das nötige Geld oder der politische Wille.

Was tun Sie gegen diese Entwicklung?
An der Eawag erforschen wir, welche Faktoren die Biodiversität im Wasser auf welche Weise beeinflussen und wie sich Naturschutzmassnahmen auswirken. Der allgemeine Trend ist zwar immer noch negativ, aber unsere Arbeiten zeigen, dass sich Naturschutzmassnahmen lohnen.

Versuchen Sie als Forscher auch Politik zu machen?
Da sind andere aktiver als ich. Mein Ziel ist es, die Ergebnisse unserer Forschung verstärkt in die konkrete Naturschutzpraxis einzubringen.


Am 22. September stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Hier findest du alle wichtigen Infos, um ein Ja in die Urne zu legen.