Hettie Geenen, 61 Jahre, ist seit 2016 Kapitänin auf dem Greenpeace-Flaggschiff «Rainbow Warrior III». Wir fragten die Niederländerin, was sie bewegt.

Hettie, welchen Charakter muss eine ­Kapitänin mitbringen?
Schwierige Frage. Als Kapitänin oder Kapitän musst du es auf jeden Fall 24/7 auf engem Raum mit Leuten aushalten und damit klarkommen, zwei Mal im Jahr für drei Monate unterwegs zu sein.

Welcher Typ bist du persönlich?
Ich mag es, im Team zu arbeiten und jeden nach seinen Fähigkeiten einzusetzen. Mehr über mich zu sagen, fällt mir schwer, deshalb habe ich einfach meine zurzeit 17-köpfige Crew gefragt. Sie sagte: flexibel, hart arbeitend und direkt – wie es sich für eine Niederländerin gehört.

Wie muss man sich die Atmosphäre und den Umgang miteinander vorstellen?
Für ein gutes, vertrauensvolles Miteinander zu sorgen, ist eine meiner wichtigsten Aufgaben. Dazu gehört, Konflikte oder Meinungsverschiedenheiten ­frühzeitig und offen anzusprechen und schnell zu klären. Ich schätze, da kommt mir zugute, dass ich ein paar Jahre Psychologie studiert habe. Ich sage oft, die Crew an Bord, das ist meine Familie.

Hettie Geenen mit einem Crew-Mitglied auf der Brücke der Rainbow Warrior.

Wie reagierst du in gefährlichen oder schwierigen Situationen?
Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben, und sage nicht besonders viel. Ich kann mich an eine Aktion in Brasilien erinnern, als Waldarbeiter und Polizei ziemlich brutal reagierten. Ich blieb die ganze Zeit konzentriert und gefasst, aber als die Aktion vorbei war, habe ich geheult. Die Anspannung musste raus.

Was war die für dich bisher größte Herausforderung?
Eine Aktion im brasilianischen São Luís im Jahr 2012. Zehn Tage lang hängten sich Leute an die Ankerkette und verhinderten so das Entladen von Roteisen. Im Hafen legten wir uns mit der Rainbow Warrior ­längsschiff, sodass die Kräne nicht arbeiten konnten. Dazu muss man wissen, dass man – um Roteisen herzustellen – Holzkohle braucht, für die unter sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen Bäume aus dem Regenwald verfeuert werden. Wir forderten ein Treffen aller Beteiligten und waren tatsächlich erfolgreich: Die Unternehmen sagten zu, auf Holzkohle aus dem Amazonas zu verzichten und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Wie sieht dein Alltag auf dem Schiff aus?
Tatsächlich ist auf See jeder Tag anders. Als Kapitänin repräsentiere ich Greenpeace und bin für die Crew, das Schiff und die Ausrüstung verantwortlich. Ich muss alles im Blick haben – die Planung, die Kampagne, die Kommunikation. Deshalb sitze ich auch viel am Computer, leider. Aber natürlich bin ich auch oft auf der Brücke. Wenn meine Leute mich brauchen, bin ich da.

Du hast unglaublich viele Länder kennengelernt. Welche Erkenntnisse ziehst du aus dieser Erfahrung?
Ich sehe und erlebe, dass Menschen, die mehr im Einklang mit der Natur leben als wir in den Industrieländern, so viel stärker unter den Folgen der Klimakrise leiden. Eine Flut, wie jene im Ahrtal vergangenen Sommer, erleben Menschen beispielsweise auf den Philippinen die ganze Zeit. Wenn ich Freundinnen und Freunden zu Hause von meinen Erlebnissen berichte, merke ich, dass sie das kaum verkraften können. Deshalb muss mein Partner oft herhalten.

Hettie Geenen gemeinsam mit Emma Thompson in Venedig, wo die beiden gegen Greenwashing der fossilen Industrie demonstrierten.

Lässt sich das Kapitäninnendasein mit einer Partnerschaft vereinbaren?
Sicher! Wir haben uns bei Greenpeace kennengelernt, er fährt auch zur See. Klar ist es manchmal nicht einfach. Aber der Vorteil ist: Wenn wir uns nach langer Zeit wiedersehen, fühlt es sich wie neu an. Wir sagen immer: Wir leben zwei Leben gleichzeitig.

Du bist jetzt seit mehr als zwei Jahrzehnten bei Greenpeace. Was hat sich verändert?
Die Organisation ist größer geworden und verfügt über mehr Ressourcen. Und wir sind nicht mehr allein, auch andere Initiativen engagieren sich für die Umwelt. Ich habe den Eindruck, dass wir politischer geworden sind.

Kam es auch mal vor, dass ihr Geflüchtete aus Seenot gerettet habt?
Nein, das kann aber natürlich jederzeit passieren. Wir würden in dem Fall die Seenotrettungsschiffe informieren oder – wenn dafür keine Zeit bleibt – selbst helfen.

Was ist dein Herzensthema?
Ganz klar der Klimaschutz, denn die Klimakrise berührt alle anderen Bereiche. Wenn du um die Welt segelst, spürst du, dass sich das Wetter verändert. Viele Mitglieder unserer internationalen Teams können krasse Geschichten über Dürren, Überschwemmungen oder vernichtende Stürme erzählen – die Klimakrise ist überall sichtbar. Die Pandemie hat uns gezeigt, was alles möglich ist, wenn der politische Wille da ist. Genauso müssen wir jetzt auch in puncto Klimakrise gegensteuern.

Was hast du persönlich für dich gelernt?
Ich nehme Dinge viel bewusster wahr. Zum Beispiel liebe ich es, mit Holz zu arbeiten. Seit ich die Waldzerstörungen mit eigenen Augen gesehen habe, kann ich kein tropisches Hartholz mehr nutzen. Bewusstseinsbildung ist so wichtig, da müssen wir noch viel mehr bewirken.

Die Rainbow Warrior vor der Küste von Queensland.

Bleibst du trotz allem optimistisch?
Mit einer Schiffstour lässt sich die Welt natürlich nicht von heut auf morgen verändern. Aber wenn wir heute anfangen, Dinge zu ändern, wird der Wandel einsetzen. Alle können anfangen und zum Beispiel Plastikmüll auflesen, andere werden es nachmachen. Greenpeace hat vor 50 Jahren schließlich auch klein angefangen.

Was sind deine glücklichsten Momente an Bord?
Das zu tun, was wir tun müssen: Vor Ort Zeugnis abzulegen und den Menschen eine Stimme zu geben, die keine haben. Auf dem Wasser bin ich zu Hause. Ich liebe das Meer und den Moment, wenn alle Segel gesetzt werden. Daheim lebe ich auf einem Hausboot, ich würde nie woanders wohnen wollen.

Apropos Segel, wie oft nutzt ihr die Kraft des Windes?
Ich würde sagen, zu dreiviertel der Zeit, die wir unterwegs sind. Ich liebe die Stille, und wenn wir kreuzen, fühlt sich das an wie Rock ’n’ Roll auf dem Wasser.