Brasiliens Amazonasregion erlebt eine historische Trockenheit. Viele Flüsse führen kaum noch Wasser, Fische und Flussdelfine verenden, die Nahrungsmittelversorgung ist unterbrochen. Expert:innen sprechen von einem Blick in die Zukunft der Region.

Wo sich sonst dunkle Wassermassen voranschieben, sind nur Sand, Schlamm und Plastikmüll übrig geblieben. Boote und Fähren liegen geneigt auf Grund, an vielen Stellen wächst Gras. Das Flussbett des Rio Negro bei Manaus, eigentlich einer der größten Ströme der Welt, gleicht einer Wüstenlandschaft. Nicht weit von hier verschmilzt er mit dem Rio Solimões zum mächtigen Amazonas. Doch nun ist aus dem Schwarzen Fluss ein Flüsschen geworden, das weit entfernt von seinen ursprünglichen Ufern vor sich hin mäandert. Sein Wasserpegel ist in den vergangenen Wochen um ganze 18 Meter gesunken, es ist ein historischer Tiefstand – und das sichtbarste Anzeichen dafür, dass in Amazonien etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Das Amazonasbecken leidet seit mehreren Wochen unter einer Dürre historischen Ausmaßes. Ausgerechnet im Regenwald regnet es nicht mehr. Flüsse und Seen trocknen aus, Wasserkraftwerke haben den Betrieb eingestellt, Millionen Fische sind an Sauerstoffmangel und Hitze verendet. Auch der Amazonas-Flussdelfin ist betroffen. Fast 200 Exemplare des emblematischen Wassersäugers wurden bereits tot aufgefunden, die meisten im Tefé-See südwestlich von Manaus. Dort war die Wassertemperatur auf fast 40 Grad gestiegen, weil kein kühleres Wasser mehr zufloss. Die Delfine wurden quasi lebend gekocht.

Drei Personen laufen durch ein ausgetrocknetes Flussbett in Amazonien. © Marizilda Cruppe / Greenpeace

Zwar tritt das Phänomen stark sinkender Wasserstände im Amazonas jedes Jahr zwischen Juni und September auf – das Ökosystem lebt in gewisser Weise von den variierenden Pegeln, weil sich dadurch Flora und Fauna ausbreiten und erneuern – aber Wissenschaftler:innen sagen, dass es dieses Jahr anders ist, extremer. Zumal das Wasser seit Ende September schon wieder steigen sollte. Von «der schlimmsten Dürre in Amazonien» spricht der Meteorologe Gilvan Sampaio vom brasilianischen Raumfahrtinstitut (Inpe), das den Zustand der Region mit Satellitenbildern dokumentiert.

Die Bewohner:innen Amazoniens bestätigen die dramatischen Veränderungen. Die Menschen am großen Rio Madeira im Westen Brasiliens berichteten heimischen Medien, dass sie schon viele Trockenperioden erlebt hätten, aber jetzt ragten Felsen aus dem Wasser, die sie noch nie gesehen hätten. Bei Manaus sorgen derweil uralte Petroglyphen – von Ureinwohner:innen in den Fels geritzte Zeichnungen – für Aufsehen. Sie waren zuvor vom Wasser des Rio Negro umspült gewesen.

Die niedrigen Pegel haben auch zu einer Versorgungskrise der Bevölkerung geführt. Da es in Amazonien kaum Straßen gibt, sondern Lebensmittel und Medikamente über Wasserwege transportiert werden, sind zahlreiche Orte von der Versorgung abgeschnitten. Mindestens 630’000 Menschen seien betroffen, so die Behörden. Das fehlende Wasser hat außerdem die Fischerei stark eingeschränkt, eine der Hauptnahrungsquellen Amazoniens. Vor allem aber mangelt es an sauberem Trinkwasser. Der Gouverneur des Bundesstaats Amazonas rief daher den Notstand aus.

Greenpeace-Aktivist:innen legen ein Banner in einen ausgetrockneten See. © Marizilda Cruppe / Greenpeace

Klimakrise und Regenwaldabholzung als Auslöser

Doch was hat die Jahrhundertdürre ausgelöst? Klimaexpert:innen machen in erster Linie das Wetterphänomen El Niño im Pazifik und die Erwärmung des Atlantiks verantwortlich. Durch die Temperaturveränderung veränderten sich die Strömungen in den Ozeanen, was in Brasilien zu zwei unterschiedlichen Effekten führe: Im Süden kommt es zu heftigen Unwettern und Überschwemmungen, die Temperaturen sinken. Im Rest des Landes ist es umgekehrt: Hitze und Dürre nehmen überhand, so wie jetzt im Amazonas.

Als zweiter Auslöser für die Dürre gilt die voranschreitende Zerstörung des Amazonasregenwalds. Er ist ein sich selbst erhaltender Kreislauf aus ständigen Niederschlägen und Verdunstung. Aber der Kreislauf funktioniert nur, wenn ausreichend Vegetation vorhanden ist, die die Feuchtigkeit speichert und wieder abgibt. Die starke Abholzung, die der Amazonas seit Jahrzehnten erlebt, hat hingegen zu weniger Verdunstung, weniger Wolkenbildung und somit auch weniger Niederschlägen geführt. Was steigt, sind die Temperaturen. Die Klimaforscherin Luciana Gatti, die ebenfalls am Inpe arbeitet, nennt die derzeitige Dürre daher eine «Katastrophe mit Ankündigung». Das Ökosystem verliere immer stärker die Fähigkeit, Regen zu produzieren.

Jedes Jahr stehen Abertausende Bäume im Amazonas-Regenwald in Brand. © Marizilda Cruppe / Greenpeace

Ihr Kollege Carlos Nobre von der Universität São Paulo geht so weit, dass er den absehbaren Kollaps des Systems Regenwald voraussagt, sollte die Zerstörung nicht sofort gestoppt werden. Er kam mit seinem Team schon 2016 zu dem Ergebnis, dass eine Abholzung von mehr als 20 bis 25 Prozent der ursprünglichen Waldfläche einen Kipppunkt darstellen würde, ab dem das Ökosystem zusammenbräche. Bis heute sind fast 20 Prozent des Waldes zerstört worden. Die derzeitige Dürre könnte daher ein düsterer Blick in die Zukunft sein. Der größte Regenwald der Welt würde zur Savanne.

Das wiederum hätte weitreichende Folgen. Es würde beispielsweise das Ende der sogenannten «fliegenden Flüsse» bedeuten. So bezeichnet man die enormen Wolkenströme, in denen Feuchtigkeit aus dem Amazonasbecken über Tausende Kilometer in Richtung Süden transportiert wird und dort abregnet. Ihr Abbruch wäre eine Katastrophe für die Wasserversorgung großer Städte wie São Paulo und Rio de Janeiro. Es wäre aber auch das Ende der im Süden und Westen konzentrierten Landwirtschaft, die die Welt mit einem Großteil ihres Getreides, Fleischs und Zucker versorgt. Die derzeitige Dürre im Amazonasbecken ist somit auch eine Warnung, die dramatischer kaum sein könnte.


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