Es zeigt sich immer mehr, dass zugelassene synthetisch-chemische Pestizide Tiere und Menschen krank machen können. Die Bewilligungspraxis muss dringend angepasst werden.

Gehören Sie auch zu den Menschen, die davon ausgehen, dass die Behörden die Sicherheit von Pestiziden und deren Auswirkungen auf Menschen und Tiere sorgfältig überprüfen, eigene Tests machen, bevor sie diese bewilligen? Klingt doch logisch, und vor allem vernünftig, weil nötig. Doch mitnichten: Die Bewilligungsentscheide der Behörden basieren nicht auf eigenen Untersuchungen, sondern auf den Daten der Hersteller.

Philippe Schenkel, Agrarexperte bei Greenpeace Schweiz, sagt: «Die Behörden – nicht selten Mitarbeitende mit einer Vergangenheit in der Agrochemie – erstellen Bewilligungen von Pestiziden lediglich auf Basis von Hersteller-Angaben; nicken de facto einfach Industrie-Resultate ab, ohne diese selbst überprüfen zu können. Das heutige Zulassungsverfahren gewichtet Wirtschaftsinteressen stärker als den Schutz der Umwelt und unserer Gesundheit. Das ist unverantwortlich.»

Der neue Greenpeace-Bericht «Europas Abhängigkeit von Pestiziden: So schädigt die industrielle Landwirtschaft unsere Umwelt» untersucht den Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide in Europa und die daraus resultierenden weitreichenden und schwerwiegenden Auswirkungen auf die Umwelt. Der Bericht stellt fest, dass die Biodiversität in Europa in den letzten Jahrzehnten um fast 50 Prozent abgenommen hat und zeigt auf, dass der Pestizideinsatz für einen wesentlichen Teil dieses Verlustes verantwortlich ist. Er betont, wie dringend die Zulassungbestimmungen verschärft werden müssen, um die negativen Folgen für Mensch und Umwelt zu verringern.

Risiko wird nachträglich oft anders beurteilt

Pestizide können bei Tieren und Menschen eine Vielzahl von subtilen und komplexen Wirkungen beispielsweise auf das Immunsystem und das Hormonsystem sowie Spätfolgen hervorrufen. Auch Krebs, neurodegenerative Krankheiten wie Parkinson sowie Autoimmunerkrankungen werden vermehrt mit Pestiziden in Verbindung gebracht. Risikobewertungen und Zulassungen dieser Produkte haben sich wiederholt als problematisch oder ungenau erwiesen. Zwei Beispiele gaben in jüngerer Zeit zu reden:

Die Teilverbote der so genannten Neonicotinoide Thiamethoxam (Syngenta), Imidacloprid und Clothianidin (Bayer) erfolgten erst, nachdem sich in der wissenschaftlichen Literatur die Hinweise dafür gemehrt hatten, dass diese systemischen Insektizide schwerwiegende negative Auswirkungen auf Honigbienen und andere Bestäuber haben. Die betroffenen Konzerne reagieren mit Einschüchterungsversuchen, Klagen und Diskreditierung unabhängiger wissenschaftlicher Untersuchungen als «unwissenschaftlich».

Ein weiteres Beispiel: Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Glyphosat als «wahrscheinlich krebserregend» eingestuft – Jahrzehnte nach der Bewilligung durch die Behörden. Untersuchungen der Universität Leipzig bringen das Totalherbizid mit weiteren schweren Erkrankungen beim Menschen und bei Tieren in Verbindung, unter anderem mit Missbildungen bei Ferkeln. In den nächsten Monaten werden die Behörden sowohl in der Schweiz wie auch in der EU über die weitere Zulassung von Glyphosat entscheiden.

Bewilligungspraxis eine Farce

Aufgrund der bekannten möglichen Gefahren von Pestiziden, die in offenen Systemen angewendet werden, müssen alle Pestizide ein Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor sie eingesetzt werden dürfen. Da für die Bewertungen normalerweise keine Felddaten zur Verfügung stehen, wird auf eine mathematische Modellierung zurückgegriffen. Die Bewilligungsentscheide der Behörden basieren nicht auf eigenen Untersuchungen, sondern auf den Daten der Hersteller.

Ein weiteres grosses Defizit im Regulierungssystem der EU und der Schweiz ist, dass die Überwachung neuer Pestizide oft deutlich hinter deren Einführung herhinkt. Probleme können deshalb nicht 
immer rechtzeitig erkannt werden. Das toxikologische Verhalten von Wirkstoffgemischen wird zum Beispiel kaum erforscht. Die Bewilligungsentscheidung ist gründlich zu überdenken.

Der einzig sichere Weg, die Exposition gegenüber giftigen Pestiziden zu verringern, ist die Umstellung auf einen langfristigen und nachhaltigen Ansatz in der Nahrungsmittelproduktion. Statt weiter in eine Intensiv-Landwirtschaft zu investieren, braucht es die Förderung und Weiterentwicklung (Erforschung) ökologischer Anbaumethoden, die ohne synthetische Pestizide auskommen. Behörden und Politik müssen die Lebensgrundlagen sowie die Menschen und Tiere vor den Risiken durch Pestizide schützen. Es braucht einen griffigen nationalen Pestizidreduktionsplan.

Greenpeace, die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) sowie die Stiftung für Konsumentenschutz SKS fordern mit der Petition «Glyphosat verbieten – jetzt!» ein Verbot von Glyphosat. Zudem fordern die Organisationen im Sinne des Vorsorgeprinzips konkrete Reduktionsmassnahmen für alle Pestizide im Rahmen des nationalen Aktionsplanes Pestizide. Statt weiterhin in eine Intensiv-Landwirtschaft zu investieren, braucht es die Förderung und Weiterentwicklung ökologischer, chemiefreier Anbaumethoden, die Menschen und Tiere nicht krank machen, sondern schützen.

 

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